RUSSLAND (UdSSR,
1922-1991)
Von Chaim Frank
Der erste russische Pogrom fand im Zuge der Erhebung Wladimirs (der Monomach;
1113-1125) in Kiew statt. Es kam zu Plünderungen jüdischer Häuser und der
Ausweisung der Juden aus der Stadt. Antijüdisches Verhalten war schon vorher,
besonders durch den später heilig gesprochenen Mönch FEODOSIJ (11. Jahrhundert)
aus dem Kiewer Höhlenkloster mit seiner eigenwilligen Askese eingeläutet worden:
Er mahnte seine Gläubigen, sie sollte mit allen und jedem friedlich zusammen
leben, außer mit den Juden.
Nach der Einnahme Kiews 1240 durch die Tartaren, verlagerte sich der Schwerpunkt
des russischen Staatswesen Richtung Nordosten nach Moskau und allmählich mit ihm
die kirchliche Tradition, einschließlich der antijüdischen Polemik. Obwohl es im
Moskauer Staat kaum Juden gab, ereiferten sich Mönche mit judenfeindlichen
Texten. Überliefert ist der Text eines SAWWA, der 1488 sein 'Sendschreiben gegen
die Juden und Häretiker' verfasste. in dem er auch die gekürzte Fassung einer
Predigt des Metropoliten Ilarion (um 1040-50 entstanden) einfügte.
Grausamer war es da schon unter Iwan IV., genannt 'Groznyj' (der Schreckliche),
der nicht nur Juden aus seinem Land verbannte, sondern sie bei verschiedenen
Anlässen verfolgen und ermorden ließ: Am 15.2.1563 bei der Eroberung der Stadt
Plozk ließ er die Juden der Stadt in der Duena ertränken.
Auch unter den beiden Zarinnen hatte sich die Lage der Juden nicht verbessert.
Die Juden wurden 1790 auf Drängen der Kaufmanns- und Kleinbürgerschaft von
KATHARINA II. aus dem Kaufmannsstand ausgeschlossen und in Ansiedlungs-Rayons an
der Westgrenze des russischen Reiches verbannt und mit doppelter Steuerzahlung
belegt. Der kirchliche Anti-Judaismus unter dem Moskauer Metropolit Platon
(Lewschin; 1737-1812) und dem Erzbischof Lawrentij (1776-1838) wurde
fortgesetzt. Antisemitische Agitationen wurden unter dem ultrareaktionären
Regime Zar Nikolaus I. (1825-55) fortgesetzt.
1825 kam es in Odessa zu Ausschreitungen gegen Juden, die sich 1841 und 1871
wiederholten und als Vorboten der Pogrome von 1881-1882 gesehen werden. Sie
waren vorwiegend von kirchlicher Seite geschürt, wie jene Ritualmord-Vorwürfe
die in Welizh (Gouverment Witebsk) 1823/24 und Sartow 1857, die alle wegen nicht
erwiesener Schuld zu Freisprüchen führten.
1827 wurde ein neues Militärgesetz eingeführt, das einen 25-jährigen
Militärdienst vorschrieb und auch die jüdischen männlichen Kinder erfasste, die
bereits im Alter von 12 Jahren den Eltern entrissen wurden. Die Rekrutierung
betraf etwa 70.000 jüdische Jugendliche und besonders zum Ende der Ausbildungs-
bzw. Dienstzeit war der Übertritt zum Christentum verankert, respektive
Bedingung. Dieses Gesetz wurde 1850 verschärft und noch bis 1874 beibehalten.
Mehrere Ritualmord-Anschuldigungen folgten, wie jener von Kutajsi in Georgien
1879 und der Kiewer-Prozess, bekannt geworden als der Fall Mendel Bejlis, der
1913 ebenfalls in einem Freispruch endete. In der Regierungszeit Alexander III.
(1881-94) und Nikolaus II. (1894-1917) kam es zu mehreren Pogromwellen. Waren es
vorwiegend die arbeitslosen Scharen großrussischer Bauern, als hauptsächliche
Träger dieser Pogrome, so darf auch die beachtliche Mitwirkung der
Gesamtbevölkerung und vornehmlich die groß angelegte Plünderung durch
kleinrussische Bauern nicht übersehen werden.
Es erfolgten erste große Fluchtwellen nach Westeuropa und schließlich nach
Amerika. Während und nach dem Russisch-Japanischen Krieg hatten Juden erneut
Erniedrigungen und Ausschreitungen zu erdulden.
Der zweite große Pogrom fand Ostern 1903 unter der Agitation der 'Schwarzen
Hundert' in Kischinew statt, schwappte im selben Jahr nach Gomel über.
Unterschwellig flammte es immer wieder weiter, bis die Pogrome 1905 Hunderte von
Ortschaften erfasste. Sie verliefen weitaus blutiger als jene der
vorangegangenen Jahre (1881-1882).
Der damalige Innenminister W.K. Plewe (1846-1904) stellte diese Pogrome als
Racheakte der christlich-patriotischen russischen Menschheit gegen die jüdischen
Revolutionäre hin. Nach den Pogromen 1906 /07 verstieg sich die Wochenzeitung
>Potschajewskij Listok
Dies war aber auch die Zeit der >Protokolle der Weisen von Zion<über angebliche
Pläne zur Errichtung einer 'jüdischen Weltherrschaft', dessen eigentliche
Herkunft unbekannt blieb. Sie erschienen 1905 als Anhang in einer Schrift von
Sergej Nilus in Moskau. Nilus´ Pamphlet diente zur Bekämpfung liberaler Ideen
und der Festigung des zaristischen Systems und dem Kampf gegen das russische
Judentum. Der Echtheitsbeweis für die 'Protokolle' konnte nie erbracht werden,
(Hg. das Pamphlet gilt als eine Fälschung der Geheimpolizei Ochrana und setzt
sich zusammen aus vielen der bösartigen Mythen über Juden, die seit
Jahrhunderten überliefert worden waren) sie waren aber millionenfach verbreitet
und spielten als Kampfmittel der Antisemiten während der Pogrome 1918-20, später
für die Nazi und bis heute eine unheilvolle Rolle.
Nach der Oktoberrevolution wurden 140 antijüdische Gesetze aufgehoben, bis
zur Stabilisierung der sowjetischen Regierung erlebten Juden allerdings
noch einige Pogromwellen. Zwischen 1917 und 1921 fanden rund 1.500 Pogrome
in Weißrussland und der Ukraine statt, bei denen mehr 150.000 Juden
umkamen.
Doch auch nach der Konstitution der Sowjets war es aber auch nicht viel besser.
Wie jene der orthodoxen Kirchen, wurden jüdische Religionslehrer, religiöse
Führer des Judentums (z.B. der Ljubawitscher Rebbe J.I. Schneersohn) vor
sowjetische Gerichte gestellt und mit harter Zwangsarbeit bestraft. Unzählige
Synagogen wurden geschlossen und in Werkstätten, Kaufhäuser, Geschäfte und
Sporthallen umgewandelt. Die hebräische Sprache wurde als Instrument für
zionistische Agitation gesehen und daher verboten. Die jiddische Sprache wurde
zwar nicht verboten, wurde jedoch stark assimiliert: hebräische Worte mussten
per Dekret phonetisch geschrieben (- hebräische Worte machen etwa 20 Prozent der
jiddischen Sprache aus, sie sind nicht vokalisiert).
Die stalinistisch geprägte Nachkriegszeit brachte kaum Ruhe oder wesentliche
Erleichterungen. Stalins Kampf gegen den 'Kosmopolitismus' führte zur Anklage,
Verurteilung, Deportierung und Erschießung zahlreicher Juden. Wobei, und das
wird zum Teil übersehen, vieles auch auf das Konto Lawrentij Berija's, einem
eifrigen Handlanger Stalins, zugeschrieben werden muss. Ihre Opfer waren
bedeutende Juden: Schauspieler, wie Michoels und Suskin (Hg. - beide, wie viele
andere Verfolgte waren Mitglieder des Jüdisch- Antifaschistischen Komitees,
einer Anti-Hitler-Koalition, vgl. Lustiger); dann, ab 1952, 26 jiddische
Schriftsteller; und beim Ärzteprozess, mit Beschuldigung des Mordversuchs an
Stalin, traf es Kapazitäten aus Medizin und Wissenschaft. Im Oktober 1959 kam es
zu antisemitischen Gewalttaten in Malachowka, nahe Moskaus.
Erst die Chrustschov-Ära zeigte Anzeichen eines 'Tauwetters' bis etwa 1963. Nach
seinem Sturz regte sich wieder vermehrt alte antisemitische Ressentiments, die
sich besonders während der sogenannten Korruptions-Prozesse 1963/4 bemerkbar
machten. 60% der ausgesprochenen Todesurteile betraf Juden.
In den nachfolgenden Jahren richtete sich die anti-jüdische Haltung in der
Sowjetunion (sie betraf nun Juden auch in anderen Ländern Osteuropas), bezüglich
der pro-arabischen Haltung aller Warschau-Pakt-Staaten, jeweils nach der
Israelischen Außenpolitik oder militärischen Sieg Israels.
Unter Gorbatschov's 'Glasnost' und 'Perestroika'-Politik hat sich in diesen
Jahren zunehmend eine nationale Bewegung, die slawophile Pamjat, Platz
verschafft. In den Jahren nach 1989 (bis 1998) wanderten, aufgrund vermehrter
antisemitischen Ausschreitungen, über 900.000 Juden aus, von denen alleine
annähernd 700.000 nach Israel gingen.
Iwan Seleznev Im Zweiten Weltkrieg wurden Juden Opfer mehrerer Anschuldigungen:
So wurden die Juden einerseits als 'Kollaboranten' der Deutschen betrachtet, und
von den deutschen Faschisten wurden Juden, (abgesehen der rassistischen
Ideologie) als 'Verbreiter des Bolschewismus' verfolgt und ermordet.
hagalil.com
20-04-2002
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