GEORGIEN / KAUKASUS
Von Chaim Frank
Wann sich die ersten Juden im Kaukasus niederließen, ist bis heute nicht
mit Sicherheit zu sagen. Verschiedene Legenden erzählen, dass die ersten
Juden bereits in frühester Zeit, vermutlich durch Salmanassar von Assyrien
(722 v.) bzw. nach der Zerstörung des Reiches Juda durch Nebukadnezar (586
v.) in den Kaukasus gekommen seien. Erwähnungen über den Aufenthalt von
Juden im Kaukasus finden sich jedoch bereits im Talmud.
Zwischen dem 10. bis 18. Jahrhundert, vor allem während der
Christianisierung des Kaukasus wurden die Juden verfolgt und zu schwerster
Arbeiten gezwungen. Viele der kaukasischen Juden traten, um den
Verfolgungen zu entgehen, zum Christentum über. Ihre Lage verschlimmerte
sich gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts während der
russisch-kaukasischen Kriege. Erst nach der Eroberung des Kaukasus durch
die Russen wurden die Juden mit der übrigen kaukasischen Bevölkerung
gleichberechtigt. Erst ab 1837 wurde ihr Residenzrecht anerkannt,
allerdings verbunden mit einem Neuansiedlungsverbot. Etwa ab 1860 begann
sich ein eigenständiges jüdisches Leben zu entwickeln, durch Neuansiedlung
und auch durch Kontakte zwischen den georgischen Juden und den Bergjuden
(s.u.) und über kulturelle und zionistische Organisationen.
Die jüdische Bevölkerung im Kaukasus zählte um die Jahrhundertwende etwas
über 57.000 Personen und bestand aus zwei elementaren Gruppen: den
eingeborenen kaukasischen Juden und den Einwanderern aus dem europäischen
Russland. Die kaukasischen Juden bilden ihrerseits ebenfalls zwei Gruppen,
nämlich die georgischen Juden und die Bergjuden. Die etwa 30.000
georgischen Juden leben hauptsächlich in den Städten und Dörfern der
grusinischen Gouvernements Tiflis und Kutais. Sie sprachen georgisch
(grusinisch) und unterschieden sich in ihrer Lebensart und ihren
Gebräuchen kaum von den Georgiern. Die Bergjuden wohnten im Gebirge,
vorrangig in den Bezirken Dagestan (Hauptstadt Derbend), Baku, Terek,
Kuban, Jelisawetpol (später Gandscha). Die rund 15.000 Bergjuden sprachen
einen iranischen Dialekt und kleideten sich wie die übrigen Kaukasier. Zu
ihrer Tracht gehört gewöhnlich auch ein Schwert, das sie sogar beim Besuch
des Gottesdienstes trugen. Sie waren in vielen Gebräuchen, Sitten und auch
in Aberglauben stark von ihrer Umwelt beeinflusst. Die Hauptbeschäftigung
der georgischen Juden war die Landwirtschaft, die Gärtnerei und der Wein-
und Tabakanbau. Die Bergjuden trieben zusätzlich auch noch Vieh- und
Seidenzucht, sowie Gerberei und Handel.
Während der Sowjetherrschaft und des Stalinismus blieb die kulturelle
Autonomie der Juden im Kaukasus weitgehend unberührt.
Nach der deutschen Sommeroffensive, im Juli 1942, und der Eroberung des
Elbrus, dem höchsten Bergs des Kaukasus, drang im Gefolge der Wehrmacht
auch die Einsatzgruppe D unter dem Brigadeführer Walter Bierkamp
(Einsatzkommandos 10a, 10b, 11 und 12) in den Kaukasus ein. Ihre ersten
großen "Aktionen" gegen Juden fdührten sie im August 1942 durch: In
Krasnodar und Ejsk wurden die Insassen von Anstalten und Kinderheimen in
Gaswagen ermordeten. 500 Juden aus Krasnodar wurden am 21./22. August 1942
in einem Wald am Stadtrand, am 1. September 1942 500 Juden in Mineralnyje
Wody erschossen. Am 9./10. September wurden die Juden aus Jessentuki und
Kislowodsk gleichfalls nach Mineralnyje Wody gebracht und dort vom
Einsatzkommando 12 erschossen. Insgesamt fanden über 6.000 Juden den Tod.
Die Juden in Pjatigorsk wurden vom Einsatzkommando 12 im September 1942 in
Gaswagen ermordet. Die restlichen Überlebenden, vor allem die zuvor
benötigten Handwerker, wurden am 4./5. Januar 1943 in Kislowodsk ermordet.
Die Einsatzgruppe D mordete im Nordkaukasus insgesamt etwa 10.000 Juden.
Im Nürnberger "Einsatzgruppen-Prozeß" wurde Werner Braune, der Führer des
Einsatzkommandos 11, verurteilt und hingerichtet. Der Führer des
Einsatzkommandos 10a, Kurt Christmann, hingegen wurde erst 1980 vom
Landgericht München zu einer Haftstrafe verurteilt.
Die Jahrzehnte nach Stalin, Chrustschev, Breschnjev bis Jelzin verliefen
für die Juden im Kaukasus relativ ruhig. Erst mit den Bestrebungen nach
Unabhängigkeit und Loslösung von der Sowjetunion flackerte ein neu
aufkommender Nationalismus in Georgien und im Kaukasus auf, der zahlreiche
Juden in den Westen, vor allem nach Israel und Amerika, trieb. Der
georgische Staatspräsident, Eduard Schewardnadse, ist zwar bemüht die
Wirtschaftlichkeit seines Landes aufrecht zu erhalten als auch
verschiedene alte Vorurteile seiner Landsleute gegenüber Minderheiten zu
verhindern, doch ist die nächste Zukunft am Kaukasus äußerst ungewiss.
So erschien 1996 beispielsweise ein antisemitischer Artikel in der
Tbiliser Zeitung "Noah", in der die Juden als "Vampire" bezeichnet wurden,
die "Geld, Gold, Nerven und Ideen aus Georgien pumpen" und angeblich
Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise des Landes
tragen. Schewardnadse verurteilte den besagten Artikel aufs schärfste und
bezeichnete ihn als "faschistisch und voll Bigotterie", doch von seiner
Warnung, dass er gegen Publikationen dieser Art energische Maßnahmen
ergreifen werde, war nicht viel zu bemerken.
hagalil.com
20-04-2002
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