Das ''Mitteljiddisch'', welches S.Birnbaum in
die Zeit von 1450 bis etwa 1650 (und Otto F. Best zwischen 1500 bis 1750)
ansetzt, besaß zum Unterschied zum 'Alt-Jiddisch' bereits eine
Selbständigkeit nicht nur als Sprache, sondern auch in seiner Schrift.
Aus der Periode des ''Mitteljiddisch'' hat sich wesentlich mehr, auch Dank
der Erfindung der 'schwarzen Kunst' erhalten.
Die Autoren griffen zunächst wieder auf die
'klassischen' Themen zurück (also auf geistliche, biblische Stoffe) und
versuchten den Leser von den vielgescholtenen 'törichten Bychern'
abzubringen.
Aus Bibel und Midrasch schöpfte z.B. Mosche ESRIM WeARBA mit
epischen Gedichten in seinem ''Sefer m'lochim'' (Buch der Könige); -
und auch das ''Sefer schel Rav Anschel: Markevet ha-Mischna'' (Wagen des
Wesirs), war ebenfalls nichts anderes als ein
'jiddisch-teutsch-hebräisches' Glossar zur Bibel.
Rabbi Ascher LEML stellte es zusammen und veröffentlichte es im
Jahre 1534.
Vor allem das ''BOVO MA'AßE'' (Bovo-Buch) des aus Neustadt stammenden
Elia LEVITA-BOCHER (1469-1549), war überaus beliebt. Levita hatte
dieses Werk zwar 1507 verfaßt, doch das Buch gelangte erst im Jahr 1541
zum Druck.
Seine 650 Strophen umfassende Dichtung, war keineswegs 'rein' religiös,
sondern richtete sich mit einer gewissen Ironie und spöttischem Unterton
gegen die frühere Ritter-Welt. In einigen Anspielung verweist der
Verfasser auch auf die Geschichte der jüdischen Könige, und meint in
diesem Zusammenhang, mittels einer damals volkstümlichen Moral, daß man
sich vor bösen Weibern in acht nehmen solle:
''Drum libe hern ir solt schouen
was umglik kumt fun den besen weibn...
seht was Schlome HaMelech buchr schrejbn,
wie er sucht ein frou ein rejne
un al sejn tag fand er ni kejne.''
Doch nicht alle Bücher waren gegen die
'liderlich froun' gerichtet, sondern es erschien auch eine große Anzahl
sogenannter ''Muser''-Bücher (hebr. Musar, Moral) für die brave jüdische
Frau.
Sie sind als Sammlung traditioneller Vorschriften für die, des Hebräisch
nicht mächtigen, jüdische Frau entstanden. Sie dienten ihrer Erbauung und
Belehrung. Deshalb wurde dieses Jiddisch zeitweise auch ''wajber-tajtsch''
genannt.
Als Hörprobe eines ''Muser-Textes'' habe ich für Sie die 5. Strophe eines
Schabbat-Gedichtes gewählt, welches von einem gewissen BENJAMIN aus
Zürich im Jahre 1574 verfaßt wurde:
Am
schabeß sölen sejn drej eßen berajt
as unds di vejsen lejren.
Ouf dem tisch sölen vesen gemajt
Smieres sagen se'eren
fergest trourikajt unde al das lajt,
das günt öich got der here,
ir sölt an'tuen ajn guetes klajt,
dem hailigen schabeßß zu ejren
ei, seks tagen beschuef got himel unde erd
am sübenden ruet got der verd.
(Am Shabbat sollen 3 (warme) Speisen
bereitgehalten werden, wie es uns die Weisen lehren. Man solle beten und die
Traurigkeit und das Leid vergessen, das gönnt uns der Herr; und man soll
schöne Kleider anlegen, um den heiligen Schabbat zu ehren...)
Ein anderes, ebenso interessantes Dokument aus dem
''Mitteljiddisch'', ist die ''Klageschrift des Götz von Fiderholz''.
In diesem, an die jüdische Gemeinde zu Regensburg gerichteten Brief, klagt
Götz über seinen Stiefvater Mendel:
''Menzel schames, ich tue ach das zu visen un kol
haKa'al zu sagen den groosen gevalt un das groos unrecht, das uns waaisen
ist viderfaren in Regenspurk fon unserem stiffater Man...
Götz beklagt sich, daß sein Stiefvater, der
bereits einen ansehnlichen Anteil von der Mutter bekam, nun, nach ihrem Tode
alles, auch seinen Erbteil und das Haus an sich gerissen habe. Das Geld, das
der leibliche Vater eigentlich für die Schulbildung der Kinder zurücklegte,
war längst von Mendel vergeudet.
Und schlimmer noch: Als Götz bei Mendel wegen seinem Erbteil vorstellig
wird, da ließ ihn der Stiefvater kurzerhand vom Erbhof vertreiben.
Mit bitterem Ton schließt Götz von Fiderholz seine Klageschrift:
''Volt got fon himel, das di byrger un aajn ganze
gemaajn fon regenspurk solt visen den groosen gevalt, der mir geschicht,
mir armen man, fon dem Mendel, mejnem stif-fater.
Es möcht got fon himel der-barmen.
Ich, göz fon fider-holz.''
Der G't im Himmel hatte leider kein Erbarmen, ...
auch nicht mit den Regensburger Juden. Denn ein Jahr später, im Februar
1519, wurden sämtliche Juden aus Regensburg vertrieben, die Synagoge und
der alte jüdische Friedhof von den 'braven Regensburger Christen' dem
Erdboden gleichgemacht.
Man sieht, nicht erst in unserem Jahrhundert wurde
nach dem Leben der Juden getrachtet, schon seit dem Mittelalter wurde
seitens der kirchlichen und weltlichen Macht vielerorts in Europa der Haß
gegen Minderheiten geschürt, was unzählige Opfer forderte.
Neben den wenigen Dingen, die die Juden während der
Verfolgung und ihrer Flucht aus Deutschland, Österreich, aus Böhmen und
Mähren mitnehmen konnten, war ihre Sprache, das Jiddisch.
Die Chachamim und religiösen Gelehrten verstanden und schrieben daneben
natürlich auch Hebräisch.
Die Händler und Handwerker, die
sich mit ihrem neuen Klientel zu verständigen hatten, erlernten allmählich
die Sprache ihrer neuen Niederlassung und nahmen selbstverständlich
Grundbegriffe auch in ihrem ''Tajtsch'' auf.
Damit steht für den Sprachwissenschafter eindeutig
fest, daß sich hier die jiddische Sprache, erstmals und zwar grundsätzlich
in Ost- und West-Jiddisch spaltete.
- Das West-Jiddisch blieb zwar bestehen, wurde
bei der Vertreibung der Juden unter anderem nach Elsaß, Frankreich und
Oberitalien getragen und erlebte in Deutschland und Österreich - so, wie
die deutsche Sprache selbst - größere Reformen und endete schließlich in
einer assimilierten Verstummung.
- Das Ostjiddisch hingegen, das zur
Hauptsprache der Juden im gesamten osteuropäischen Raum wurde, erreichte
im Verlauf der Zeit anhand verschiedener Entwicklungen die Stufe einer
vollausgebildeten Schriftsprache; das allerdings erst seit dem frühen 19.
Jahrhundert.
Ostjiddisch
Das Ostjiddisch blieb aber nicht einheitlich als
solches bestehen, sondern verteilte sich regional in nord-östliches,
süd-östliches und zentral-östliches Jiddisch auf.
Als Vergleich dienen hier die deutschen Mundarten,
wie beispielsweise das Berlinische, das Bayrische, das Hessische oder
Schwäbische, wo man ebenfalls sofort die regionale Herkunft des Sprechers
erkennt.
- Das Zentral-Ost Jiddisch erstreckt sich über
die Region von Polen über Karpathorußland und Ukraine hinunter bis zur
Krim; -
- das Nord-Ost Jiddisch erfaßt die
Pribaltischen Länder (Estland, Lettland und Litauen) sowie einen Teil
Belo-Rußland (bis etwa zum Pripjat-Fluß); -
- und das Süd-Ost Jiddisch verläuft, als
kleinerer Bereich, von der Bukowina, über Rumänien und Bessarabien
hinunter in Richtung nach Odessa.
Die wesentlichen Unterschiedsmerkmale machen sich,
abgesehen von den slawischen Elementen, vor allem im ''O'' und ''U'',
sowie im ''AJ'', ''EJ'' und ''OI''-Vokalismus der Dialekte bemerkbar. (Sie
zeigen aber keine Wirkung auf die Orthographie der jiddischen
Schrift-Sprache!)
Hierzu möchte ich Ihnen nun ein Beispiel geben und
einen kurzen Text in ''zentral-ost-jiddischer'' Ausprache lesen. Es
ist dies ist eine Zeugenaussage aus dem Jahre 1579 vor dem jüdischen
Gerichtshof zu Koousmer (Koousmer ist Kazimierz bei Krakau):
Izindert
ejn jour bin ich ibern iam gezoegen, dou bin ich gekimen ken rodos, dou
bin ich krank gewooren, dou is an alter jid gekimen zi mir in hot mich
gefreegt, fin wanen ich weer.
Dou hob ich ges'prochen: fin krouke. Dou hot er ges'prochen, er wer ouch
fin krouke, ober baai lange iouren: izindert ken ich niement nit...
Der ganze Text nochmals, jedoch in ''süd-ost-jiddischer''
Aussprache:
Azind
ajn jur bin ich ibern iam gezoign, do bin ich gekumen ken rodos, un do bin
ich krank geworn, (do) is an alter jid gekumen zu mir un hot mich gefregt,
fun wonen ich wer.
Do hob ich ges'prochn: fun krokke. Do hot er ges'prochn, er wer oich fun
krokke, ober far lange iurn: azind ken ich niement nischt...
Ins Deutsche übertragen lautet der Text:
Vor einem Jahr fuhr ich übers Meer (iam),
da kam ich nach Rhodos und da wurde ich krank. Da kam ein alter Jude zu
mir und frug mich, von wo ich wäre. Da sagte ich: von Krakau. Da sagte er,
er wäre auch von Krakau, aber vor vielen Jahren: jetzt kenne ich keinen
mehr...
Aus 1614, also vier Jahre vor dem Dreißigjährigen
Krieg (1618-48) stammt eine andere Zeugenaussage und zwar vor dem
jüdischen Gericht in Florianow (d.in Ostpolen, heute Westukraine). Es war
die Zeit der ersten Kossaken und Bauernaufstände gegen Polen.
Ein Zeuge gibt im Namen 11 anderer Bürger zu Protokoll, daß sie, als sie
beim Heer waren, gesehen haben, wie ein Jude, Boruch ben Hakodesch Aron
aus Tischwitz, 2-3 mal während des Krieges zu den Moskwitern übersprang.
Er habe auch gesehen, daß man dem Juden vom Wald aus nachgeschossen, und
daß die Ladung ihm im Rücken gesteckt habe...
Mir
11 balbatem saajn im chaiel gevesen, is arous ges'pringen a jid, brouche
ben ha'koudesch aaren mi'Tischwiz, hot gedient ouf 3 sisem, is gespringen
zim chaaiel schel moskviter 2 ve 3 peoumem kesejder ha'milchoume. Di
moskvitern hoben goiver gewesen, is der jid zi'rik ges'pringen, asoi hot
men im nouch'geschosen ous dem wald. Hob ich gese'en di loudink schtekn im
am riken... (3)
Dieser Text ist wie das vorherige Beispiel in
Zentral-Ost-Jiddisch, wobei im Gegensatz zum anderen bereits wesentlich
mehr hebräische Worte zu finden sind.
Zahlreiche solche kriegerische
Auseinandersetzungen, sowie der anschließend stattfindende 30jährige Krieg
versetzten das Land und die Bewohner der Shtetls und Dörfer in Angst und
Schrecken.
Überhaupt, als 1648 der Aufstand unter der Führung des Bogdan
CHMELNIZKIs ausbrach, der sich von der Ukraine aus, eigentlich gegen
die polnische Oberherrschaft richtete. Es kam nicht nur zu einem
tragischen Wendepunkt in der Geschichte Polens, sondern in besonderem Maße
in der Geschichte der polnischen Juden.
Die Kriege gegen die Ukraine, gegen Rußland,
Schweden, Türken usw., zwischen den Jahren 1648 - 1717, verursachten den
tragischen Niedergang der Shtetln und Städte. Die Zahl der Toten jener
Jahre wird auf rund 700 Tausend Menschen berechnet, in der auch die
Schätz-Zahl von etwa 125 - 160.000 Juden enthalten ist.
Während der zunehmenden PAUPERISIERUNG, also
der allgemeinen Verarmung, entstand quasi aus der Not heraus eine neue
jüdisch-mystische Bewegung. Es war die Antwort der Gequälten, auf die
nicht erfüllte Hoffnung, mit der sie der Pseudomessias SABBATAI ZWI
und seine Anhängerschaft enttäuschte (4), als er die Ankunft des Messias
verkünden ließ. Insofern geschah eigentlich nichts anderes als ein
schöpferischer Prozeß der religiösen Verinnerlichung: Es begann der
CHASSIDISMUS.
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