PRESSEERKLÄRUNG / OFFENER BRIEF
Offener Brief von Gabriel Müller:
Eine Grenze wurde überschritten
An Herrn Paul Spiegel
Sehr geehrter Herr Spiegel,
Unbehagen treibt mich dazu, Ihnen meine
Meinung zur Affäre Hohmann und zu Ihrer Rolle im Umfeld dieser Affäre offen
zu schreiben.
Über Herrn Hohmann braucht man zu der in
den letzten Tagen in der Öffentlichkeit geäußerten Kritik nichts
hinzuzufügen. Sie selbst haben sich ebenfalls in der Öffentlichkeit geäußert
und mit Recht darauf hingewiesen, dass die CDU-Franktion im Bundestag
stärkeren Druck auf ihr Mitglied ausüben müsste. Allerdings reicht das nicht
aus. Hier kann man und muss man konsequenter und schärfer durchgreifen. Und
hier sind Sie gefragt. Ihrer Rolle als Vorsitzender des Zentralrats der
Juden in Deutschland werden Sie mit Ihrem Tun nicht gerecht.
Ich gebe zu, dass Sie nicht jeden
Antisemiten in Deutschland bekämpfen können und sollen. Es gibt derer mehr
als genug. Ich gebe zu, dass es auch im Deutschen Bundestag Antisemiten
geben kann, und dagegen können Sie nichts tun. Aber darum geht es hier
nicht. Mit Herrn Hohmann sitzt im Bundestag ein Mann, der nicht nur
Antisemit ist, sondern einer, der nationalsozialistisches Vokabular und
Gedankengut in seinen Attacken gegen Juden benutzt. Jemand, der so redet,
kann nicht als Vertreter des deutschen Volkes im Bundestag sitzen. Die Posse
um seine „Entschuldigung“ macht die ganze Angelegenheit noch schlimmer. Sie
mag den Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Roland Koch zufrieden stellen,
das spricht aber nicht für Herrn Koch. Der Hinweis der
CDU-Bundestagsfraktion, dass man so etwas nicht wieder von Herrn Hohmann
hinnehmen würde, ist zu lächerlich, um ihn zu kommentieren („nu, nu, nu,
aber ja nicht wieder“).
Hier muss gehandelt werden und in erster
Linie müssen Sie handeln. Sie müssten täglich Demonstrationen vor dem
Bundestag organisieren, mit Transparenten, die darauf hinweisen, dass aus
diesem Haus 60 Jahre nach dem Krieg ein Abgeordneter in Nazi-Jargon gegen
Juden Propaganda macht. Solche Bilder müssten durch die Welt gehen; in
Israel und in Amerika sollte täglich darüber berichtet werden. Es müsste der
CDU so schmerzlich werden, dass sie ihr Mitglied Hohmann aus der Fraktion
ausschließt (aus dem Bundestag hinauswerfen kann man ihn bekanntlich nicht).
Warum tun Sie nichts Derartiges? Wollen
Sie es sich etwa mit Herrn Koch oder mit Frau Merkel und ihren Kollegen
nicht verderben?
Ihr Vorgänger im Amt, Herr Bubis, hat
zusammen mit Herrn Michel Friedmann, großen Mut bewiesen, als sie seinerzeit
gegen das Theaterstück von Fassbinder „Der Müll, die Stadt und der Tod“ auf
die Barrikaden gingen. Sie mussten gegen einen angeblichen Linken zu Felde
ziehen, der die so genannten Linken hinter sich hatte, die angeblich die
Meinungs- und Kunstfreiheit verteidigen wollten.
Ich weiß, hier braucht man Mut. Aber Sie
haben sich den Job ausgesucht, dann tun Sie ihn auch richtig. Mit Herrn
Hohmann hat sich nationalsozialistisches Gedankengut in den Bundestag
eingeschlichen. Hier ist eine Schmerzgrenze erreicht, die nicht weiter
erträglich ist. Hier muss gehandelt werden. Bloßes Reden reicht nicht mehr.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gabriel Miller
Dr. Jur.
G. Miller
[g.miller@jur.uni-frankfurt.de]
Dienstag, 4. November 2003
PRESSEERKLÄRUNGEN / OFFENE BRIEFE
[FORUM]
hagalil.com
10-11-2003 |