Der Zeitpunkt für Blairs Rede ist günstig:
Eine Vision für Europa
Rede des britischen Premierministers Tony Blair vor dem Europäischen
Parlament, 23. Juni 2005
[O-Ton:
English]
Es ist eine Ehre, heute im Parlament sein zu dürfen. Mit Ihrer Erlaubnis
werde ich nach jeder Tagung des Europäischen Rates während der britischen
Präsidentschaft hierher zurückkommen, um Ihnen Bericht zu erstatten. Darüber
hinaus bin ich gern bereit, das Parlament vor jeder Ratstagung anzuhören,
damit ich von den Auffassungen des Europäischen Parlaments profitieren kann,
bevor die Beratungen im Rat stattfinden.
Der Zeitpunkt für diese Rede ist günstig. Was auch immer in Europa
umstritten ist, über eines sind wir uns zumindest klar: Europa befindet sich
mitten in einer tief greifenden Debatte über seine Zukunft. Ich möchte heute
offen über diese Debatte sprechen, über die Gründe dafür und welche Lösungen
es gibt. In jeder Krise steckt auch eine Chance. Jetzt gibt es eine Chance
für Europa, wenn wir den Mut dazu haben.
Die Debatte über Europa sollte nicht geführt werden, indem wir uns
gegenseitig beleidigen oder persönlich werden. Sie sollte ein offener und
freier Gedankenaustausch sein. Und gleich zu Anfang möchte ich einmal
präzisieren, wie ich die Debatte und die Differenzen, die ihr zugrunde
liegen, sehe.
Es ist nämlich kein Streit zwischen einem Europa des "freien Marktes" und
einem sozialen Europa, zwischen denen, die wieder zurück zu einem
gemeinsamen Markt wollen und denen, die an Europa als politisches Projekt
glauben.
Diese Darstellung ist nicht nur falsch. Sie soll diejenigen einschüchtern,
die Veränderungen in Europa wollen, indem sie ihren Wunsch nach
Veränderungen als Verrat an der europäischen Idee darstellt; sie soll eine
ernsthafte Debatte über die Zukunft Europas abwenden, indem sie so tut, als
sei schon das Bestehen auf einer Debatte der Inbegriff antieuropäischen
Denkens.
Gegen diese Mentalität habe ich mein ganzes politisches Leben lang gekämpft.
Ideale überleben den Wandel. Sie sterben durch Untätigkeit im Angesicht der
Herausforderung.
Ich bin leidenschaftlicher Europäer. Das bin ich immer gewesen. Meine erste
Abstimmung war 1975 beim britischen Referendum über die EU-Mitgliedschaft,
und da habe ich mit Ja gestimmt. 1983, als ich kurz vor den damaligen Wahlen
als letzter Kandidat aufgestellt wurde und als meine Partei eine Politik des
Rückzugs aus Europa verfolgte, erklärte ich vor dem Auswahlkomitee, dass ich
mit dieser Politik nicht übereinstimmte. Manche dachten damals, ich würde
bei der Kandidatenauswahl durchfallen. Manche wünschen sich vielleicht, ich
wäre es. In den 80er Jahren habe ich dann unsere Politik mit verändert, und
darauf bin ich stolz.
Seit ich Premierminister bin, habe ich das Sozialprotokoll unterzeichnet,
zusammen mit Frankreich zur Schaffung der modernen Europäischen
Verteidigungspolitik beigetragen und meinen Beitrag zu den Verträgen von
Amsterdam, Nizza und Rom geleistet.
Dies ist eine Union der Werte, der Solidarität zwischen Nationen und
Bürgern, nicht nur ein gemeinsamer Markt, auf dem wir Handel treiben,
sondern ein gemeinsamer politischer Raum, in dem wir als Bürger leben.
Das wird die Union immer sein.
Ich glaube an Europa als politisches Projekt. Ich glaube an ein Europa mit
einer starken, fürsorglichen sozialen Dimension. Nie könnte ich ein Europa
akzeptieren, das nur ein Wirtschaftsmarkt wäre.
Wer sagt, darum gehe der Streit, drückt sich vor der eigentlichen Debatte
und kehrt zu dem lieb gewordenen Muster zurück, einander in schwierigen
Zeiten immer dieselben Dinge vorzuhalten.
Es gibt keine Trennlinie zwischen dem Europa, das für den wirtschaftlichen
Erfolg notwendig ist, und dem sozialen Europa. Das politische Europa und das
wirtschaftliche Europa leben nicht in getrennten Räumen.
Die Aufgabe des sozialen Europas und des wirtschaftlichen Europas sollte es
sein, einander Rückhalt zu geben.
Die Aufgabe des politischen Europas sollte es sein, demokratische und
effektive Institutionen zu fördern, die dann die Politik in diesen beiden
Bereichen und auch überall dort gestalten, wo wir im Interesse von uns allen
zusammenarbeiten wollen und müssen.
Aber die Aufgabe der politischen Führung besteht darin, eine richtige
Politik für unsere heutige Welt zu machen.
Das tun die Politiker Europas seit 50 Jahren. Wir reden von Krise. Reden wir
erst einmal von Errungenschaften. Als der Krieg zu Ende ging, lag Europa in
Trümmern. Heute steht die EU wie ein Denkmal für politische Errungenschaften
da. Fast 50 Jahre Frieden, 50 Jahre Wohlstand, 50 Jahre Fortschritt. Denken
Sie daran, und seien Sie dankbar.
Der Lauf der Geschichte spricht für die EU. In aller Welt schließen sich
Länder zusammen, weil sie die Stärke jedes einzelnen durch kollektive
Zusammenarbeit verbessern können. Bis zur zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts hatten europäische Nationen jahrhundertelang einzeln die Welt
beherrscht, große Teile kolonisiert, Kriege um die Vorherrschaft in der Welt
geführt.
Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs hatten die politischen Führer die
Vision zu begreifen, dass diese Zeiten vorüber waren. Unsere heutige Welt
schmälert diese Vision nicht. Sie demonstriert ihren Weitblick. Die USA sind
die einzige Supermacht. Aber in wenigen Jahrzehnten werden China und Indien
die größten Volkswirtschaften der Welt sein, jede mit einer Bevölkerung, die
dreimal so groß ist wie die Gesamtbevölkerung der EU. Ein Europa, das
geschlossen auftritt und zusammenarbeitet, ist wichtig, damit unsere Völker
stark genug bleiben, um sich in der Welt zu behaupten.
Jetzt, fast 50 Jahre später, müssen wir uns erneuern. Dafür brauchen wir uns
nicht zu schämen. Alle Institutionen müssen das tun. Und wir können es. Aber
nur, wenn wir die europäischen Ideale, an die wir glauben, wieder mit der
modernen Welt, in der wir leben, vereinen.
Wenn Europa in den Euroskeptizismus zurückfällt, oder wenn die europäischen
Staaten im Angesicht dieser immensen Herausforderung beschließen, sich
aneinander zu kuscheln in der Hoffnung, der Globalisierung entgehen zu
können, wenn sie vor den Änderungen um uns herum zurückschrecken, sich in
die jetzige Politik Europas flüchten - als könnten wir sie durch
immerwährende Wiederholung relevanter machen - dann laufen wir Gefahr zu
scheitern. Es wäre ein Scheitern an breiter, strategischer Front. Es ist
jetzt nicht die Zeit, denjenigen Verrat vorzuwerfen, die Europa verändern
wollen. Es ist die Zeit zu erkennen, dass Europa seine Stärke, seine
Relevanz, seinen Idealismus und damit auch seinen Rückhalt in der
Bevölkerung nur wiedergewinnt, wenn es sich verändert.
Und wie immer sind die Bürger den Politikern voraus. Wir, die politische
Klasse, denken immer, die Menschen, die nicht täglich mit der Politik zu tun
haben, verstehen sie vielleicht nicht, verstehen vielleicht nicht ihre
Feinheiten und Komplexitäten. Aber in Wirklichkeit sehen die Menschen die
Politik klarer. Gerade weil sie nicht täglich damit zu tun haben.
Es geht nicht um die Idee der Europäischen Union. Es geht um Modernisierung.
Es geht um Politik. Es geht nicht darum, Europa aufzugeben, sondern zu
erreichen, dass es das tut, wofür es gegründet wurde: um das Leben der
Menschen zu verbessern. Und sie sind gerade jetzt nicht überzeugt. Bedenken
Sie das.
Vier Jahre lang diskutierte Europa über unsere neue Verfassung, zwei Jahre
davon im Konvent. Sie war eine detaillierte und sorgfältig formulierte
Arbeit, die die neuen Regeln für ein Europa von 25 und später 27, 28 oder
mehr Mitgliedstaaten festlegte. Sie wurde von allen Regierungen unterstützt.
Sie wurde von allen Regierungschefs unterstützt. Sie wurde dann in
Referenden in zwei Gründungsstaaten vernichtend abgelehnt, im Falle der
Niederlande mit über 60 Prozent. Die Realität ist, dass es in den meisten
Mitgliedstaaten heute schwer wäre, in einer Volksabstimmung ein Ja dafür zu
bekommen.
Es gibt zwei mögliche Erklärungen dafür. Eine ist, dass die Menschen die
Verfassung studiert haben und mit den Artikeln im Einzelnen nicht
einverstanden waren. Ich bezweifle allerdings, dass das die Grundlage des
mehrheitlichen "Nein" war. Dies war keine Frage eines schlechten Entwurfs
oder konkreter inhaltlicher Differenzen.
Die andere Erklärung ist, dass die Verfassung lediglich das Vehikel war, mit
dem die Bürger ihre breitere und grundsätzlichere Unzufriedenheit mit den
Verhältnissen in Europa bekundeten. Ich glaube, dass diese Auslegung
zutrifft.
Wenn ja, ist das keine Krise der politischen Institutionen, es ist eine
Krise der politischen Führung. Die Bürger in Europa stellen uns schwierige
Fragen. Sie machen sich Sorgen über die Globalisierung, die Sicherheit ihrer
Arbeitsplätze, die Renten und den Lebensstandard. Sie sehen, wie sich nicht
nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft um sie herum verändert.
Traditionelle Gemeinschaften zerbrechen, ethnische Strukturen verändern
sich, das Familienleben gerät unter Druck, wenn Arbeit und Familie unter
einen Hut gebracht werden sollen.
Wir leben in einer Zeit grundlegender Veränderungen und Umwälzungen. Schauen
Sie sich Ihre Kinder an und die Technologie, mit der sie umgehen, und den
Arbeitsmarkt, der sie erwartet. Die Welt ist gegenüber der, die wir vor 20,
30 Jahren als Studenten erlebten, nicht wiederzuerkennen. In solchen
Umbruchzeiten müssen Menschen mit moderaten Einstellungen die Führung
übernehmen. Wenn sie es nicht tun, bekommen die Extreme Einfluss auf den
politischen Prozess. Das ist auf der Ebene der Staaten so. Und jetzt auch in
Europa.
Überlegen Sie einmal. Die Erklärung von Laeken, mit der die Verfassung auf
den Weg gebracht wurde, sollte Europa bürgernäher machen. Hat sie das? Die
Lissabon-Agenda wurde 2000 mit dem Ziel vereinbart, Europa bis 2010 zum
wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die Hälfte der Zeit
ist abgelaufen. Hat sie ihr Ziel erreicht?
Ich habe eine Ratssitzung nach der anderen erlebt, in der in den
Schlussfolgerungen gefordert wurde, Europa wieder bürgernäher zu machen.
Gelingt uns das?
Es ist Zeit, dass wir uns einem Reality-Check unterziehen. Dass wir auf den
Weckruf hören. Die Menschen posaunen es von den Stadtmauern herunter. Hören
wir zu? Haben wir den politischen Willen, hinauszugehen und mit ihnen zu
reden, damit sie unsere Führung als Teil der Lösung und nicht als das
Problem selbst betrachten?
Das ist der Zusammenhang, in den die Haushaltsdebatte gestellt werden
sollte. Manche sagen: wir brauchen den Haushalt, um Europas Glaubwürdigkeit
wiederherzustellen. Das stimmt natürlich. Aber es muss der richtige Haushalt
sein. Er sollte nicht von der Debatte über die Krise Europas abgetrennt
werden. Er sollte Teil der Antwort sein.
Ein Wort zum Gipfel letzten Freitag. Es ist behauptet worden, ich sei nicht
bereit gewesen, Kompromisse beim britischen Rabatt zu schließen; ich hätte
das Thema Agrarreform erst in letzter Minute vorgebracht; ich hätte
erwartet, dass wir am Freitag Nacht neu über die Agrarpolitik verhandeln
sollten. In Wirklichkeit bin ich der einzige britische Politiker, der sich
jemals bereit erklärt hat, den Rabatt auf den Verhandlungstisch zu legen.
Ich habe nie gesagt, wir sollten die GAP jetzt beenden oder über Nacht neu
aushandeln. So etwas wäre absurd. Jede Veränderung muss die legitimen
Bedürfnisse der bäuerlichen Gemeinschaften berücksichtigen und allmählich
durchgeführt werden. Ich habe nur zwei Dinge gesagt: dass wir einer
Finanziellen Vorausschau nicht zustimmen können, die nicht mindestens einen
Prozess vorzeichnet, der zu einem rationaleren Haushalt führt; und dass es
möglich sein muss, dass ein solcher Haushalt in der zweiten Hälfte der
Finanzperiode bis 2013 zum Tragen kommt. Sonst wird das Jahr 2014 kommen,
bevor eine grundlegende Wende vereinbart oder gar umgesetzt wurde. Bis dahin
wird Großbritannien natürlich seinen fairen Anteil an der Erweiterung
zahlen. Ich möchte noch betonen, dass wir in jedem Fall der zweitgrößte
Nettozahler in der EU bleiben werden, nachdem wir im Zeitraum der aktuellen
Finanziellen Vorausschau Milliarden mehr als andere Länder vergleichbarer
Größe gezahlt haben.
Das ist also der Kontext. Wie sähe eine andere politische Agenda für Europa
aus?
Erstens würde sie unser Sozialmodell modernisieren. Auch hier haben einige
behauptet, ich wolle Europas Sozialmodell aufgeben. Aber sagen Sie mir: Was
für ein Sozialmodell ist das, wenn 20 Millionen Menschen arbeitslos sind,
die Produktivität hinter der der USA zurückfällt, wenn Indien in den
Naturwissenschaften mehr Hochschulabsolventen hervorbringt als ganz Europa,
und wenn alle Indikatoren für eine moderne Volkswirtschaft - Ausbildung,
Forschung und Entwicklung, Patente, IT - nach unten tendieren. Indien wird
seinen Biotechnologiesektor in den nächsten fünf Jahren verfünffachen. China
hat seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den letzten fünf Jahren
verdreifacht.
Von den 20 Spitzenuniversitäten der heutigen Welt sind nur zwei in Europa.
Unser Sozialmodell sollte darauf angelegt sein, unsere Konkurrenzfähigkeit
zu verbessern, unseren Bürgern zu helfen, mit der Globalisierung fertig zu
werden, die Chancen zu ergreifen und die Gefahren zu meiden. Natürlich
brauchen wir ein soziales Europa. Aber es muss ein soziales Europa sein, das
funktioniert.
Und es wurde uns gezeigt, wie wir das erreichen können. Der Kok-Bericht von
2004 weist uns den Weg. Investitionen in Wissen, in Ausbildung, in eine
aktive Arbeitsmarktpolitik, in Wissenschaftsparks und Innovation, in die
Universitäten, in die Erneuerung der Städte, in die Unterstützung kleiner
Unternehmen. Darin sollte eine moderne Sozialpolitik bestehen, nicht in
Regulierung und einem Kündigungsschutz, der vielleicht einige Arbeitsplätze
für kurze Zeit schützt - auf Kosten vieler Arbeitsplätze auf längere Sicht.
Und da wir schon dabei sind, Klischees zu zertrümmern, hier das zweite: die
Idee, Großbritannien sei von einer extremen angelsächsischen
Marktphilosophie besessen, die auf den Armen und Benachteiligten
herumtrampelt. Die jetzige britische Regierung hat den New Deal für
Arbeitslose eingeführt, das größte Arbeitsbeschaffungsprogramm in Europa,
und die Langzeitarbeitslosigkeit bei Jugendlichen praktisch beseitigt. Sie
hat die Investitionen in die staatlichen Dienstleistungen in den letzten
fünf Jahren mehr als jedes andere europäische Land gesteigert. Das war
zugegebenermaßen nötig, aber wir haben es durchgezogen. Wir haben in
Großbritannien erstmals einen Mindestlohn eingeführt. Wir haben unsere
Städte saniert. Wir haben fast eine Million Kinder aus der Armut
herausgeholt und zwei Millionen Rentner aus akuter Not; und jetzt haben wir
das radikalste Programm zur Verbesserung der Kinderbetreuung und der
Mutterschutz- bzw. Elternzeiten in der Geschichte unseres Landes in Angriff
genommen. Wir haben das aufgrund unserer starken Wirtschaft getan, und es
hat ihr auch nicht geschadet.
Zweitens sollte der Haushalt diese Realitäten widerspiegeln. Hier zeigt uns
der Sapir-Bericht den Weg. 2003 von der Europäischen Kommission
veröffentlicht, beschreibt er im Detail, wie ein moderner europäischer
Haushalt aussehen sollte. Setzen Sie ihn um. Aber ein moderner Haushalt für
Europa ist nicht einer, der in zehn Jahren noch immer 40 Prozent für die
Gemeinsame Agrarpolitik ausgibt.
Drittens: die Lissabon-Agenda umsetzen. In Sachen Arbeitsplätze,
Beschäftigungsquote, Schulabschlüsse, lebenslanges Lernen machen wir
Fortschritte, die weit entfernt sind von den konkreten Ziele, die wir uns in
Lissabon vornahmen. Die Agenda sagt uns, was zu tun ist. Tun wir es.
Viertens, und hier bin ich vorsichtig, sollten wir einen makroökonomischen
Rahmen für Europa vorgeben, der diszipliniert, aber auch flexibel ist. Es
steht mir nicht zu, mich über die Eurozone zu äußern. Ich sage nur dies:
Wenn wir uns auf echte Fortschritte bei der Wirtschaftsreform einigten, wenn
wir unsere Ernsthaftigkeit in punkto Strukturwandel unter Beweis stellten,
dann würden die Bürger eine Reform der makroökonomischen Politik für
sinnvoll und begründet halten - sie würden sie nicht als Ergebnis
finanzpolitischen Laisser-faires, sondern als vernünftig betrachten. Und
diese Reform brauchen wir dringend, wenn die Wirtschaft Europas wachsen
soll.
Nach den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen sollten wir uns
dann auch mit einer weiteren Gruppe von verwandten Themen befassen:
Kriminalität, Sicherheit und Zuwanderung.
Die Kriminalität überscheitet die Grenzen jetzt leichter als je zuvor. Die
organisierte Kriminalität kostet Großbritannien mindestens GBP 20 Mrd. (€30
Mrd.) jährlich.
Die Zuwanderung hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Ein Großteil
davon ist nützlich und zu begrüßen. Die Zuwanderung muss jedoch gesteuert
werden. Die illegale Zuwanderung ist ein Problem für alle unsere Staaten und
endet für viele Tausend Menschen in einer Tragödie. Schätzungen zufolge
werden 70 Prozent der illegalen Einwanderer von organisierten
Schleuserbanden unterstützt. Dann gibt es das abstoßende Geschäft des
Menschenhandels, wo organisierte Banden Menschen von einer Region in eine
andere schaffen, um sie nach der Ankunft auszubeuten. Jedes Jahr werden
weltweit zwischen 600.000 und 800.000 Menschen gehandelt. Jedes Jahr werden
über 100.000 Frauen Opfer des Menschenhandels in der Europäischen Union.
Eine relevante justiz- und innenpolitische Agenda hätte folgende
Schwerpunkte: Umsetzung des EU-Aktionsplans für die Terrorismusbekämpfung,
der enorme Möglichkeiten vorsieht, die Strafverfolgung zu verbessern und die
Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen zu verhüten;
grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Nachrichtendienste und der Polizei
bei der organisierten Kriminalität; Erarbeitung von Vorschlägen, um den
Menschen- und Drogenhändlern das Handwerk zu legen, und zwar durch
Offenlegung ihrer Bankkonten, Störung ihrer Aktivitäten, Festnahme und
Anklage ihrer führenden Mitglieder; Vereinbarung von Rückübernahmeabkommen
für abgelehnte Asylbewerber und illegale Migranten mit Nachbar- und anderen
Staaten; Entwicklung der Biometrie zur Sicherung der Grenzen Europas.
Dann gibt es noch den gesamten Bereich der GASP. Wir sollten uns auf
praktische Maßnahmen zum Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeit
verständigen, bereit sein, mehr Einsätze zur Friedenserhaltung und
Friedensdurchsetzung zu übernehmen, die Fähigkeit aufbauen, zur Bewältigung
von Konflikten schnell und effektiv einzugreifen - mit der NATO oder, wo
diese sich nicht beteiligen will, ohne sie. Schauen Sie sich die
Mannschaftsstärken in den europäischen Armeen an und unsere Ausgaben. Werden
sie wirklich den strategischen Anforderungen von heute gerecht?
Eine solche Verteidigungspolitik ist notwendiger Bestandteil einer
effektiven Außenpolitik. Aber auch ohne sie sollten wir überlegen, wie wir
Europas Einfluss zu Geltung bringen können. Als die Europäische Union vor
kurzem eine Verdoppelung der Hilfe für Afrika vereinbarte, war das ein
Impuls nicht nur für diesen von Unruhen gezeichneten Kontinent, sondern auch
für die europäische Zusammenarbeit. In der Entwicklungshilfe sind wir
Weltführer und stolz darauf. Wir spielen eine Führungsrolle in der Debatte
über den Klimawandel und entwickeln paneuropäische Instrumente, ihn zu
bekämpfen. Dank Javier Solana hat Europa angefangen, im
Nahost-Friedensprozess Präsenz zu zeigen. Meine Logik ist einfach. Ein
starkes Europa wäre ein aktiver außenpolitischer Akteur, ein guter Partner
natürlich für die USA, aber auch in der Lage, seine eigene Fähigkeit, die
Welt zu gestalten und weiterzubringen, unter Beweis zu stellen.
So ein Europa - ein Europa, dessen Wirtschaft modernisiert würde, dessen
Sicherheit durch konkrete Maßnahmen innerhalb und außerhalb der Grenzen
gestärkt würde - wäre ein selbstbewusstes Europa. Es wäre selbstbewusst
genug, um die Erweiterung nicht als Bedrohung zu empfinden - als ob sie ein
Nullsummenspiel wäre, bei dem die alten Mitglieder so viel verlieren, wie
die neuen gewinnen - sondern als außergewöhnliche Chance, eine größere und
stärkere Union zu schaffen. Machen wir uns nichts vor: Wenn wir die
Erweiterung stoppen oder uns gegen ihre natürlichen Konsequenzen wehren,
wird das letzten Endes nicht einen einzigen Arbeitsplatz retten, nicht eine
Existenz am Leben erhalten, nicht eine Firmenabwanderung verhindern. Eine
Zeitlang vielleicht, aber nicht auf Dauer. Und in der Zwischenzeit würde
Europa enger werden, in sich gekehrter, während diejenigen Zulauf finden
würden, die nicht in der Tradition des europäischen Idealismus stehen,
sondern in der des veralteten Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit.
Ich möchte Ihnen aber in aller Offenheit sagen: es ist ein Widerspruch, für
die Liberalisierung der Mitgliedschaft in Europa zu sein, aber gegen eine
Öffnung der Wirtschaft.
Wenn wir diesen Kurs ansteuern, wenn wir das zusammen mit der Kommission tun
- die jetzige unter Führung von José Manuel Barroso ist dazu durchaus in der
Lage, sie ist bereit, einiges an überflüssigen Vorschriften abzuschaffen,
Bürokratie abzubauen und sich zum Fürsprecher eines globalen, weltoffenen,
wettbewerbsfähigen Europas zu machen -, dann wird es nicht schwer sein, die
Vorstellungskraft und die Unterstützung der Bürger Europas zu gewinnen.
In unserer Präsidentschaft werden wir versuchen, die Verhandlungen über den
Haushalt weiterzubringen; einige der komplizierten Fragen wie z.B. die
Dienstleistungs- und die Arbeitszeitrichtlinie zu lösen; die Verpflichtungen
der Union gegenüber Staaten wie der Türkei und Kroatien zu erfüllen, die
sich Hoffnungen machen, einmal zu Europa zu gehören; und diese Debatte über
die Zukunft Europas offen und mit allen zu führen, wobei wir unsere eigenen
Ansichten mit Überzeugung vertreten, aber die Meinung anderer voll und ganz
respektieren werden.
Ich bitte nur um eines: geben wir uns nicht der Ilusion hin, diese Debatte
sei überflüssig, glauben wir nicht, wenn wir nur zum 'business as usual'
zurückkehren würden, würden sich die Menschen früher oder später erweichen
lassen und sich mit dem Europa, wie es ist, an Stelle des Europas, wie sie
es haben wollen, zufrieden geben. In meiner Zeit als Premierminister habe
ich erkannt, dass die eigentliche Schwierigkeit nicht darin besteht,
Entscheidungen zu treffen, sondern zu wissen, wann sie getroffen werden
müssen. Man muss unterscheiden können zwischen den Herausforderungen, mit
denen man umgehen kann, und denen, die man konfrontieren und überwinden
muss. Dies ist so ein Augenblick, in dem Europa entscheiden muss.
Die Bürger Europas reden mit uns. Sie stellen die Fragen. Sie wollen Führung
von uns. Es ist höchste Zeit, sie ihnen zu geben.
Co potrebuje Evropa ze všeho nejvíc
Pohled na proces ratifikace z jejího nového stredu
Ptáme se všichni, co se s Evropou deje...
2005 wird zum Schicksalsjahr für Afrika:
Europa steht in der Pflicht
Wir müssen die Armut in der Welt insgesamt ins Visier nehmen. Insbesondere
die Bedürfnisse und berechtigten Ansprüche des ärmsten Kontinents unserer
Erde - Afrika - dürfen wir nicht vergessen...
Europa braucht die Briten:
Motor für Europa
Großbritannien bringt seine wirtschaftliche Dynamik in die
Gemeinschaft ein und ist Vorreiter bei der Verteidigungspolitik. Vor allem
aber haben die Briten eine Vision, die funktioniert...
Europa:
Die Stunde der Wahrheit
Wir können nicht auf dem europäischen Weg weitergehen, als
wäre nichts gewesen. Wir müssen vielmehr auf die Botschaft hören, die uns
die Franzosen übermittelt haben, und die Gründe für diese Abstimmung
verstehen...
[FORUM]
Britische
Botschaft
hagalil.com 23-06-2005 |