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Die Geschichte hinter der Geschichte
von Aimée und Jaguar:

Zwischen Abhängigkeit, Prostitution und Widerstand

Im Februar ist der deutsche Film "Aimée und Jaguar" von Max Färberböck auf der Berlinale angelaufen. Wie schon das von Erica Fischer veröffentlichte Buch, das dem Film zugrunde liegt, war auch hier der Erfolg in den folgenden Monaten groß. Keine Zeitung, die nicht darüber berichtete.

Allerdings - die Geschichte hinter der Geschichte scheint den Medien nicht in gleicher Weise interessant. Esther Dischereit hat sie recherchiert:

Es handelt sich um folgende Ingredienzien aus einer Geschichte: erstens: eine lesbische Liebe; zweitens, eine gute Deutsche, die mit ihrer jüdischen Freundin Bett und Tisch teilt und sie mitessen läßt aus der Lebensmittelkartenration ihrer Kinder; drittens, das Grauen des Nationalsozialismus in Gestalt brennender Panzer und heruntergekommener SS-Offiziere; viertens, Deportation der jüdischen Freundin; fünftens, eine leidende Hinterbliebene und sechstens, ein bißchen, ganz dünn freilich, fällt der Satz: bin ich wohl schuld; wenn ich schuld hätte..., so die deutsche Freundin als gealterte Dame, wie sie so über einen ausgedehnten Park ihrer Altenheim-Anlage zuschreitet.

Die Deutsche "Aimée", mit seinerzeit deutlich positiven Gefühlen gegenüber dem Nationalsozialismus, – schläft gerne mit SS-Männern –, trifft dann schlußendlich in hohem Alter auf die seinerzeit linkspolitisch orientierte Freundin ihrer ehemaligen jüdischen Geliebten, und sie scheinen ausgesöhnt zu sein?! Worüber? Über die Ermordung der gemeinsamen Bekannten, bei der die Frage einer Mitschuld im Raum steht?

Senator Film

Anstelle einer Geschichte gibt es nahezu stehende Milieu-Bilder; manchmal fühlt man sich an die Requisitenkammer eines Theaters erinnert. Aufgeplusterte Szenen über lebensfrohe Mädchen-liebt-Mädchen-Parties, währenddessen der Bombenhagel über Berlin niedergeht. Oder eine Nacktkörper-Session bei einem oppositionellen Fotografen, der die Frontsoldaten mit Jewish female bodies auch noch zersetzt. Die Kamera scheint hin und wieder von der überschwappenden Liebe selbst überwältigt, eine Neigung zu Kitsch – brennende Kerze, kleines Liedchen – ist unübersehbar. Im übrigen ungebremster Einsatz der breiten Colorpalette.

Die Zuschauerin erfährt in jeder Sequenz via Farbtönung, ob es jetzt um gut oder böse geht. Der Zuschauer erlebt die "Wahrheit" – Tod, Jüdin, dunkle Haare, klug (Maria Schrader) – arische Liebhaberin, hellerer kräftiger Typ, nicht so belesen, aber Seele (Juliane Köhler), deren schauspielerische Leistungen in Hollywood beeindruckten und mit einem "Silbernen Bären" bedacht wurden. Der Film wird wesentlich als Inszenierung eines wirklichen Lebens aus der Metropole Berlin im nationalsozialistischen Deutschland promotet, vor allem durch die als Zeittzeugin und Hauptakteurin auftretende Lilly Wust.

Das Leben der in Auschwitz getöteten Jüdin Felice Schragenheim scheint durch die Akteurin "Aimée", real Lilly Wust, hindurch und über diese vermittelt. "Jaguar" – im Kosenamen eine grotesk absurde Verkehrung darüber, wer hier Jäger und wer hier Gejagte ist. Das ist eine Übernahme aus dem gleichnamigen Buch, in dem die Geschichte bereits so angelegt ist, daß wir letztlich erfahren, wie sehr die Nicht-Jüdin, Kosename "Aimée", leidet. Sie steht im Vordergrund, packt aus, berichtet großzügig von ihren sexuellen Höhepunkten, diesem und jenem. Durch den Filter ihrer Person erfahren wir von der Verfolgungsgeschichte der Jüdin, die die Deutsche "Aimée" wie in einem Mysterienspiel auf sich nimmt und posthum zu ihrem Leiden macht. In Talk-Sendungen in Deutschland verstieg sich die authentische, nun schon betagte "Aimée", Lilly Wust, zu der Bemerkung, die Tote erscheine ihr gegen Abend. Statt Hitler-Bild ist nun ein siebenarmiger Leuchter in Betrieb. Und – mit dem jüngst zur Welt gekommenen Baby der Maria Schrader sei nun wieder eine wunderbare Felice auf der Welt.

Tja – warum also der Rummel über eine solche Geschichte? Lilly Wust wurde mit der Auszeichnung Gerechte unter den Völkern durch Yad Vashem ausgezeichnet. Schon das gleichnamige Buch von Erica Fischer, das zuerst 1994 erschien, hatte großen Erfolg. Warum? Mit dieser Geschichte konnte man jedermann oder Frau sagen, es ging doch! Widerstand ging doch, auch in der kleinsten Hütte und unter schwierigen Bedingungen; die Leidenschaft dieser Liebe schien Berge zu versetzen und der dämonisierte Realterror der Nationalsozialisten schien vor dieser Liebe gescheitert, wenigstens eine Zeitlang. Die Protagonistin "Jaguar" wurde getötet, das war natürlich zum Heulen, buchstäblich zum Heulen, aber etwas Trost blieb doch übrig, weil sich diese "normale" Deutsche, Aimee, mit ihren vier Kindern etwas getraut hatte und das war doch auch was.

Zupaß kam mir die Geschichte damals, weil ich wollte, daß man sich aus diesen rigiden Vorstellungen von Widerstand verabschiedete, nach denen nur die Arbeit in politischen Gruppen – Flugblatt verteilen oder ähnliches – diesen Namen verdiente. Wie aber nennt man das, wenn sich die Jüdin Felice den Nazis entzog, individuell auf dem Sammelplatz nicht erschien, in die "Illegalität", wie man es nannte, abtauchte usw. Daß die treibende Kraft eines "Widerstehens" im Fall der Geliebten "Aimée" die Liebe gewesen war und ihr ohne diese Liebe wohl nichts und gar nichts weiter eingefallen wäre, störte mich nicht. Warum nicht aus Liebe?! Dachte ich. Auch gab es kurze Zeit später aus Frankreich ein bewegendes Buch über den Mut einer Frau, das explizit den Titel trug "Widerstand aus Liebe".

Merkwürdigkeiten und Klischees

Ob aus dem Glauben heraus, der politischen Anschauung wegen, aus Liebe, oder warum auch immer; wenn wer Juden rettete, wollte mich das Motiv nicht weiter interessieren. Hauptsache, es hatte stattgefunden. So übersah ich Merkwürdigkeiten, Klischees, Ergüsse des Herzens, die in seltsamem Kontrast standen zum Verlauf der realen Verfolgungsgeschichte der Geliebten "Jaguar".

Ich übersah Behauptungen und Aussagen, die sich in deutlichem Gegensatz befanden zu dem, was man von dem Berlin der 40er Jahre, der Jagd auf Juden und der Omnipräsenz der Nazis wußte. Deportationslisten, Versiegeln der Wohnungen, Kammerjäger; der jüdische Lockvogel Stella Goldschlag war unterwegs. Andererseits gibt es in jedem Horror auch das Unglaubliche, ach! und eben diese Liebe verklebte mir die Augen.

Mit Erscheinen der 2. Ausgabe des Buchs bei dtv, 1998, traten die widerstreitenden Angaben eigentlich offen zutage. Mittlerweile hatten sich Zeitzeuginnen gemeldet, eine, hier genannt Elenai P., die sehr eng mit der getöteten Felice Schragenheim befreundet und vor deren Liason mit "Aimée" mit ihr zusammengewohnt hatte, beide zugehörig einem Kreis jüdischer junger Leute, die sich weiter trafen, sich subversiv Nachrichten über die Lage verschafften, sich Ausweise organisierten und einander Mut zusprachen.

Elenai P. lebt, hat überlebt und machte Aussagen, die in unübersehbarem Gegensatz stehen zu der Gloriole, die "Aimée", real Lilly Wust, um ihre Liebe geflochten hatte. Da geht es zum Beispiel darum, daß die Geliebte "Jaguar" gesteht, endlich gesteht, Jüdin zu sein. "Jaguar" hat nichts zu verlieren außer ihr Leben, sie klammert sich ihrerseits an diese Bleibe bei der von ihr bezirzten "Aimée", Mutter von vier Kindern, Mutterkreuz, ehemals Hitler-Bild an der Wand. Sie muß hier bleiben, untertauchen, sie hat keine gültigen Papiere. Ein Visum für das Ausland ist abgelaufen, ein anderes ist nicht mehr zu bekommen. Die stolze, schöne und intellektuelle "Jaguar", aus einem wohlhabenden Haus stammend, ist nun liiert mit "Aimée"; einer Frau mit deutlich anderen Interessen und kleinbürgerlichem Hintergrund.

Felice Schragenheims Mündel-Konto ist mit ihrer Volljährigkeit im März 1943 vom NS-Staat eingezogen worden. Felice aber ("Jaguar") soll unbedingt die bei Freundinnen deponierten Kleider und anderen Gegenstände, ihre Rücklage fürs Überleben, abholen und Lilly Wust übergeben. Es geht um einen Pelzmantel, der "Jaguar" gehörte und den "Aimee" ausgehändigt haben möchte, um Wäsche etc. Die Gewährsleute aber stehen zu "Jaguar" und sagen, "nein", ihr und nur ihr werden sie die Sachen herausgeben. "Bereicherung an den Juden, das war das Übliche", sagt Elenai P.

Die im Buch dokumentierte Geschichte dieser Beziehung belegt eine Serie von "Schenkungen" der jüdischen Felice an die "arische" Freundin: Frauenkleider aus Foulardseide und feinem Leinen, Abendkleid aus Taft. Des weiteren wird der lieben Lilly ein königsblaues Kostüm mit feinem Karomuster beim Schneider auf Felices Kosten bestellt; ein goldener Ring; ein blauer Schlafanzug mit weißen Nöppchen; "die kleine Uhr von Käthe"; im Januar 1944 eine Zahlung von 1000 Reichsmark. Und schließlich geht es um ein Schriftstück, das "Jaguar" – bereits zur Sammelstelle der Gestapo gebracht – für "Aimee" unterzeichnen soll. Sie tut es; sie hätte in dieser Situation alles unterschrieben und "Aimee" wird Erbin. "Jaguar" war während dieser fulminanten "Liebe" stets und jederzeit erpreßbar und ist erpreßt worden? Gerade beginnen die Historiker die Geschichte der Retter zu schreiben. Das war als öffentliche Würdigung gedacht.

Felice Schragenheim hat "ihrer Aimée" Liebesbriefe geschrieben; dauernd, zum Teil mit Anleihen bei Mascha Kaléko –, allen Schwüren dieser Welt geht einmal der eigene literarische Atem aus – um gegen die Eifersucht "Aimees" anzugehen. Mußte sie? Wollte sie? Oder beides? Es fällt ein Satz, in dem sinngemäß formuliert wird, wenn sie, "Jaguar", sich nicht anders verhalte, dann brauche sie gar nicht mehr zu kommen. Wohin kann die "Geliebte" gehen? Es gibt Spannungen, Jaguar fühlt sich stranguliert, nach einem Ausflug an der Havel wartet die Gestapo, in Händen ein Foto, von dem nur zwei als Abzüge existierten. Eines bei jemandem, für die alle gut sagen aus dem jüdischen Kreis, und eines bei der Geliebten "Aimee". Woher das Foto? Noch im KZ verfolgt Lilly "ihre Jaguar" mit Eifersucht und fragt schriftlich (!) an, ob sie wirklich die einzige und Heiß-Geliebte ist.

Theresienstadt - Auschwitz

Nach dem höchst mutig erscheinenden Vordringen "Aimees" bis zum KZ-Kommandanten von Theresienstadt wurde "Jaguar" nach Auschwitz transportiert; sie kehrte nicht mehr zurück. Alle hatten "Aimee" von diesem Unternehmen abgeraten. Sie tat es trotzdem. Wenn nicht aus Berechnung, dann offenbar in einem überbordenden Selbstbezug, in dem die Gefährdung der anderen nicht sonderliche Beachtung fand. – Falls man das Geschehen überhaupt als wahr unterstellt. – Mag sein, das war auch ein Hintergrund ihres schon in Berlin so ungewöhnlichen Drangs, mit ihrer "Schönen" auszugehen, hierhin und dorthin, zu einer Zeit, zu der für "Jaguar" alles, aber auch alles gefährlich war. Überhaupt bleibt diese penetrante Abwesenheit von Angst eine Merkwürdigkeit. Entweder es handelt sich bei "Aimée" um jemanden, der wunderbarer Weise keine hat, oder um jemanden, der keine zu haben braucht.

Felice Schragenheim jedenfalls befindet sich zu keinem Zeitpunkt in einem "freien" Liebesverhältnis, oder anders ausgedrückt: es hat einen deutlich prostitutiven Zug. Wie könnte es auch anders sein. Die eine hat einen funktionierenden Paß, die andere nicht, wird gesucht, man braucht sie bloß zu finden, und sie ist schon tot.
Als "Jaguar" nicht mehr zurückkehrt, präsentiert "Aimée" ihren Erbanspruch mit dem in der Gestapo-Sammelstelle erhaltenen Schein der durch Emigration geretteten Schwester Irene in London. Die ist entsetzt; von "Aimee" ziehen sich die Leute aus dem ehemaligen jüdischen Überlebenskreis zurück. Oder sind die jetzt alle undankbar?! Heute setzt sich Elenai P. nicht zusammen mit Lilly Wust, "Aimée", auf ein Podium.

"Aimée", Lilly Wust, besorgte sich die grüne Tinte, die ihre Freundin zu benutzen pflegte und übte den Stil der Freundin. Überschwappende Identifikation oder Fälschungswille? Sie behauptet, daß "Jaguar" ihre wirklich große Liebe gewesen ist und immer bleiben wird. Was würde Felice dazu sagen? Sie kann sich nichts verbitten, noch nicht einmal die lebenslängliche Vermarktung ihrer Person als Geliebte. Ein Jahr und fünf Monate. Am 28.7.1944 erhält Lilly Wust eine Schenkungsurkunde von Felice Schragenheim; am 21.8.1944 wird Felice Schragenheim deportiert. Also drei Wochen später. In den Krimis kommt an dieser Stelle immer eine Lebensversicherung vor, anschließend der Tote. Das hätte uns stutzig gemacht.

1950 heiratet Lilly Wust, zum zweiten Mal in ihrem Leben. Das war's dann aber nicht. Und dann taucht viele Jahre später ein Koffer mit diesen Briefen auf. Und – wird ein Film. Es ist schon merkwürdig, wie wir uns die Mutter von vier Kindern im Bombenhagel und Kriegsgeschehen vorstellen dürfen, wie sie da am Küchentisch sitzt und die Liebesbriefe, die sie versendet vorm Abgeben nochmal abschreibt. Warum eigentlich? Damit die Gestapo was zu finden hat? Schreiben Sie ihre Liebesbriefe ab? Oder gehen Sie zum Kopierer?

Wir wollen das eigentlich nicht, diese komplizierten Figuren, die als Opfer auch nicht geradlinig waren oder vielleicht berechnend, nicht wegen des Lesbischen, nein, wegen des Prostitutiven. Ein sinnloses Wort für welche, die zum Tod bestimmt sind. Ab Bahnhof Grunewald gehen die Judentransporte ab: 1941. Felice ist 19 Jahre alt und ziemlich alleine in Berlin; Sybelstraße 27. In der Nähe liegt heute das Asylbewerberheim. Wo sie dann wohnt, scheint bald nichts mehr zu gehen. Es gibt Spannungen. Resigniert schreibt Felice am 20. März 1942: "Das (ist) das Allerletzte. Denn mein ganzes Leben hier ... wäre umsonst."

Grüne Tinte oder einen Strick

Ihre Großmutter Hulda und deren Bruder werden im August 1942 deportiert. Im Oktober weiß sie, daß beide getötet sind. Prager Straße 29. Felice erhält den Deportationsbescheid. Sie wohnt jetzt in der Claudiusstraße bei einem Herrn Hirschfeld. Herr Hirschfeld wird deportiert und Felice täuscht Freitod vor. Sie lebt am Nollendorfplatz, hat eine Kammer in Friedenau, Kurfürstendamm 10/Halensee, mal hier mal da. Dann schließlich die Lösung: die als Nazi-Frau bekannte Lilly am Roseneck – und der Mut der Verzweiflung. Im Februar 1943 lernt Felice Lilly Wust kennen.

Im März 1943 schreibt sie: "Ich kaufe mir grüne Tinte oder einen Strick." Sie wirbt um Lilly oder macht sie "an" oder beides. In diesem Monat geht einer der letzten "Sondertransporte" ab; ich weiß von welchen aus der Prenzlauer Allee und Bornholmer Straße; "Sm" steht auf den Akten; Kürzel für Sondermaßnahme, "evakuiert" wird vermerkt. Die Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg zieht die Vermögen der "abgeschobenen" – heißt es auf dem Formular – Juden ein. Dann sollte Berlin "judenrein" sein.

Selbst Emigrierte können sich nicht immer vorstellen, was "Illegalität" in Berlin in diesen Tagen bedeutete. Wie die Gestapo Juden suchen ging im Tiergarten und die Denunzianten von Nebenan zur Macht kamen. Sind sie nicht fließend die Übergänge zwischen Abhängigkeit, Prostitution, Liebe, Dankbarkeit und Erpessung? Besonders dann, wenn Felice nicht gehen kann. "Kündigen" war eine Umschreibung für den Deportationsbescheid. Im Nachhinein zimmern wir uns Verhältnisse zurecht, die unter "freien" Bedingungen vielleicht niemals existiert hätten, aber sehen mit den Augen aus dem nachfolgenden System.

Im Vorwort heißt es, daß die Überlebenden keinen Frieden mit Lilly Wust schließen können und wollen. Nein, können sie auch nicht, wenn da Schuld wäre. Und wenn da Schuld wäre, gäbe es keinen Grund, "Aimée", Lilly Wust, zu einer Retterin zu stilisieren. Die Buchautorin Erica Fischer äußerte umlängst, ihr scheine es im Film immerhin gelungen, "mit dem Thema nicht voller Schuld, Selbstbezichtigung und Schwere umzugehen." Nun ja, es gibt wohl Themen, da gibt es Schuld und Schwere und auf Selbstbezichtigung warten die Staatsanwaltschaften noch immer. Die mittlerweile verstorbene Schwester der Getöteten hatte dann noch weitere zwanzig Jahre – bis 1965 – zu tun, bis der deutsche Staat seinen Wiedergutmachungsverpflichtungen nachgekommen war.

Die Frauenbewegung hat die "Liebes"geschichte beinahe kultisch aufgenommen, immerhin wird über lesbische Liebe so geredet, daß alle Heteros annehmen dürfen, etwas verpaßt zu haben. Aber selbst das wird ein wenig zurechtgebogen und die tiefe Beziehung, die Felice zu Elenais Bruder M. hatte, der auch ermordet wurde, kommt nicht mehr vor. Felice wurde als Jüdin getötet, nicht wegen lesbischer Liebe. Die feministischen Reflexionen über nazideutsche Täterinnen waren immer recht spärlich und spät angefallen. Und Aimée wirkt entlastend.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Geschichte der Felice Schragenheim in der öffentlichen Wahrnehmung in der Bundesrepublik völlig verschwand hinter den Talk-Show-Auftritten der freundlichen alten Dame Lilly Wust. Sie war auf dem besten Wege zur kollektiven Großmutterfigur – und die hatten über ihre führertreuen Zeiten auch eher geschwiegen. Und nicht wenige haben hinterher von Juden gesprochen, denen sie geholfen hätten.

Die Stilisierung zur "Love"-Story, wie die Geschichte im Titel eines Dokumentarfilms über "Jaguar" und "Aimée" genannt wurde, und zu einem – wenn möglich – neuen deutschen Kultfilm entspräche dem fortschreitenden "Wir"-Gefühl. Da haben die Täterinnen schon fast so viel gelitten wie die Opfer, und die Nicht-Opfer sind den Opfern empathisch jedenfalls beinahe gleich. Alle handelnden Personen im Film haben verdeckte Namen, nur Jaguar nicht. Sie heißt Felice. Sie kann keinen Einspruch gegen die Darstellung erheben.

Es fehlt nicht mehr viel, bis Auschwitz als das kollektive Massada der Deutschen in eine geläuterte nationale Selbstdefinition eingeht. Opfer sind alle und Erinnerung "gemeinsam". Die Toten aber könnten beiseite bleiben. Die stören. Überlebende manchmal noch mehr. Ehre, Würde, Vermögen, Leben der Opfer waren schon gestohlen, bleibt noch deren Geschichte.

Esther Dischereit
(haGalil 10-99 / mit freundl. Genehmigung der Autorin)

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