Gewerkschafter und Antifaschisten bespitzelt und diffamiert:
Arbeitsname Angelo
Nach Erkenntnissen von DGB-Landeschef Frank Spieth werden
in Thüringen Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Einrichtungen
"systematisch" vom Verfassungsschutz "ausgespäht". Viele Hinweise darauf
liefert u.a. die halböffentliche VS-Hauspostille "Der Nachrichtendienst".
"Es geht bei diesen Überwachungs- und Kriminalisierungsversuchen
aber nicht nur um den DGB oder den Flüchtlingsrat", betont Julika Bürgin vom
DGB-Bildungswerk Als Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrates hatte sie in
Erfurt im März 1998 eine Demonstration anlässlich des Tages gegen den
Rassismus angemeldet - prompt tauchte ihr Name im Monatsbericht des
Verfassungsschutzes auf, obwohl alles friedlich verlaufen war. "Es stellt
sich hier die Frage, was für ein Demokratieverständnis dahinter steckt, wenn
alle, die sich kritisch mit Staat und Gesellschaft auseinandersetzen, ins
Visier des Verfassungsschutzes geraten - Gewerkschafter,
Antirassismuskomitees, AKW-Gegner, AntiFas," so Birkin.
Egal, ob Anti-NPD-Aktione, Asylantenunterstützungsgruppen oder ein
Antifa-Workcamp in Buchenwald - Augen und Ohren des Verfassungsschutzes sind
immer dabei, wie seinen Berichten zu entnehmen ist.
Gebaggert wird auch im World Wide Web. Die Auswertung im
"Nachrichtendienst" (Juli `98) liest sich dann zum Beispiel so: "Antifa im
Internet: Der unter dem Briefkopf der Gewerkschaft HBV agierende
Antifaschist F. Lucifero (Arbeitsname Angelo) teilt mit, daß das
Hauptproblem des Faschismus nur zu einem Teil die Organisationen seien, zum
anderen wesentlicheren Teil sei es diese Gesellschaft." Es folgt der
diffamierende Ratschlag an den heutigen HBV-Landesvorsitzenden, in den
Hinterlassenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit nachzulesen, wie
man Normalbürger bespitzelt.
Gespitzelt aber hat der Verfassungsschutz selbst, wobei der Teufel
hier buchstäblich im Detail steckt: Angelo (weder Arbeits- noch Deckname)
Lucifero war zum Zeitpunkt dieses versuchten Rufmordes noch nie öffentlich
mit seinem zweiten Namen Francesco aufgetreten. Antworten auf die
"Ausblick"-Fragen, welche Daten des HBV-Landeschefs der VS speichert und
warum Gewerkschafter einem ausgewählten Leserkreis als mutmaßliche
Verfassungsfeinde präsentiert werden, wurden Mitte Juli verweigert.
Polemisch und richtig leidenschaftlich wird der thüringische
Verfassungsschutz immer dann, wenn es gegen links geht - gegen
Gewerkschafter, Autonome, Kommunisten/Sozialisten. Dagegen werden
rechtsextremistische Aktivitäten zum Teil verharmlost oder gar nicht erst
zur Kenntnis genommen.
NPD und Junge Nationaldemokraten galten noch im letzten Jahr "als
nicht gewaltbereite Organisationen", bei denen nur einzelne Mitglieder
auffällig würden. Für einen Skandal sorgte Verfassungsschutzpräsident Roewer
als er im Januar `99 bei einer Podiumsdiskussion forderte, "die guten und
die schlechten Seiten" des Dritten Reiches darzustellen, um die Anfälligkeit
Jugendlicher für rechtes Gedankengut zu mindern. DGB-Landeschef Spieth hat
von Innenminister Dewes (SPD) die Abberufung Roewers gefordert. Bisher ohne
sichtbares Ergebnis.
"Regierungen, die Angst haben vor kritischen Bürgerinnen und
Bürgern, gefährden die Demokratie selbst" - ein Satz aus dem
Forderungskatalog des thüringischen DGB zu den Landtagswahlen am 12.
September bringt das politische Klima im Freistaat ziemlich genau auf den
Punkt.
Andreas Hamann
haGalil 09-99
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