Vor einem Jahr
aus der Berliner Zeitung
Wir erinnern heute an einen Vorschlag, der vor über einem Jahr von
Dieter Bachmann (Chefredakteur der Kulturzeitschrift 'du') in der ZEIT Nr.10
vom 26.Februar 1998 gemacht worden war. In den nachfolgenden Nummern der
ZEIT wurde dieser Vorschlag dann von verschiedenen Autorinnen und Autoren
recht ernsthaft diskutiert. Zu einem Ergebnis ist man bekanntlich nicht
gekommen. Der Streit ums Mahnmal geht inzwischen ins 12.Jahr.
Ein Judenplatz für Berlin
Von Jan Ross
Der Vorschlag hat etwas Atemberaubendes, die Sprache
Verschlagendes, und vielleicht ist er deshalb bislang nicht wirklich
erörtert, ja kaum ernsthaft wahrgenommen worden. Vor zehn Tagen
veröffentlichte die "Zeit" auf ihrer Titelseite einen kurzen Artikel des
Journalisten Dieter Bachmann, der statt eines Holocaust-Mahnmals in Berlin
die Umbenennung des Potsdamer Platzes in "Judenplatz" anregte. "Man wird
sich dort verabreden, auf dem Judenplatz. Eine U-Bahn-Station wird so
heißen. Dem Taxifahrer wird man die Adresse angeben, Judenplatz. Man wird
das Verdrängte bei jeder Gelegenheit aussprechen. Es braucht fünf, sechs
Straßenschilder, sonst nichts. Das ist das Denkmal, das wehtut."
Das ist es wirklich. Jeder, ausnahmslos jeder, der von der Idee
hört, ist in ganz anderer Weise verwirrt und schockiert als bei der
Betrachtung oder Diskussion der bildnerischen Mahnmal-Entwürfe. Im
Vergleich mit dem tatsächlich verstörenden "Judenplatz" erweist sich die
Harmlosigkeit und damit die Unangemessenheit des Ausweichens in die
Kunst, wie sinnreich oder großartig sie auch sein mag.
Es ist die krude Direktheit, von der die außerordentliche
Wirkung ausgeht; es heißt eben nicht "Platz der jüdischen Opfer" oder
"Platz der Opfer des Holocaust". "Judenplatz" klingt brutal, wie
"Judenstern" oder "Judenmord".
Es ist ein Name, der der Sache, um die es geht, gleichsam ins Gesicht
sieht. Der Haß, den die Verfolger in das Wort "Jude" legten, klingt
ebenso darin mit wie eine Selbstverständlichkeit, die es nicht mehr
geben kann und die doch das wenn auch unerreichbare Ziel alles Lernens
aus der Erinnerung ist.
Dieses Mahnmal hätte die Zeit, die weitergehende Geschichte, vor
deren gewandeltem ästhetischem Geschmack jeder avantgardistische
Kunstversuch einmal läppisch oder überholt wirken kann, nicht zu
fürchten. Was man sich bei dem Wort "Judenplatz" denken wird, mag sich
verändern mit der wachsenden Entfernung vom Nationalsozialismus.
"Einstmals", schreibt Dieter Bachmann, "wird auch dies wieder ein
gewöhnlicher Platz sein, ein Straßenname unter anderen wie
Hohenzollernallee oder Kurfürstendamm". So schneidend die Bezeichnung
"Judenplatz" jetzt auch wirkt, sie versperrt nicht eine Historisierung
im guten, nicht apologetischen, sondern zukunftsoffenen Sinn.
Sie würde das Vergehen der Vergangenheit ebenso anzeigen wie
ihre Wiederkehr. Jede Schändung eines jüdischen Friedhofs, jede
Hakenkreuzschmiererei an einer Synagoge würde den Klang des Namens
wieder verschärfen. An einem Judenplatz in Berlin wäre jederzeit
abzulesen, wie es um Deutschland steht.
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