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Jüdische Rundschau - Basel

Jüdische Rundschau Maccabi Nr. 47 vom 19.11.1998

"Süchtig nach Leben"
Interview mit Michel Friedman

Wien, 15. November 1998 - Michel Friedman (42) wurde in Paris geboren, 1965 übersiedelten seine Eltern mit ihrem Pelzgeschäft nach Frankfurt/Main. Friedmans Familie überlebte die Schoa dank "Schindlers Liste". Michel Friedman selbst war seit frühester Jugend Funktionär jüdischer Gemeinden, studierte Medizin und Jura. Heute lebt er als Multitalent (Jurist, CDU-Politiker und Talkshowmoderator) in Frankfurt und Berlin. Er ist Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland und gilt als wahrscheinlicher Nachfolger von Ignaz Bubis. Zu zahlreichen Diskussionsveranstaltungen in Wien wurde Friedman von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der CDU-Schwesterpartei in Österreich, eingeladen.

friedman Frage: Was können sich die Juden in Deutschland von der neuen Regierung erwarten, was wird sich ändern?

Friedman: Negative Entwicklungen gibt es zum einen bei der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal in Berlin, wo sich Kulturbeauftragter Michael Naumann gegen das Mahnmal ausgesprochen hat. Gerhard Schröder wieder hat sehr seltsame Dinge zum Thema Zwangsarbeiter gesagt. Er hat sich zwar mit der Industrie getroffen, um sie zu Aktivitäten motivieren, aber dann im zweiten Satz gesagt, man müsse die deutsche Industrie schützen. Vor wem eigentlich?, hab ich mich dann gefragt. Gleichzeitig hat er gesagt, irgendwann im Jahr 2000 muß dann wirklich Schluß sein mit Reparationszahlungen. Insgesamt bin ich nicht optimistisch, daß die Impulse von der neuen Regierung in dieser Frage sehr viel Tragendes beinhalten werden ...

Frage: ... obwohl rot-grün eine Gesetzesinitiative zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds einbringen möchte ...

Friedman: Das halte ich für sehr richtig und wichtig. Der Motor sind hier die Grünen. Das ist ein gutes und wichtiges Signal, aber die Aussagen der neuen Bundesregierung insgesamt sind mir zu konfus, um Endgültiges sagen zu können.

Frage: Und die Chancen für das Mahnmal in dieser Legislaturperiode?

Friedman: Das Mahnmal wird kommen. Trotz Michael Naumann, und trotz Gerhard Schröder. Weil denn doch die Parteien im Parlament - die Grünen, die CDU, die FDP und auch die SPD - eher für das Mahnmal votieren werden.

Frage: Glauben Sie, war die Rede von Martin Walser ein erstes Indiz für einen Wechsel in der deutschen Gesinnung?

Friedman: Ich halte diese Rede für ein weiteres Indiz. Wir können seit Jahren in der intellektuellen Szene eine deutliche Verschiebung beobachten. Rechtskonservative und rechtsnationale Intellektuelle brechen unverschämter Tabus, versuchen offensiver in der Gesellschaft zu testen, wie weit sie gehen können, drücken - diesmal in den Salons und Diskussionforen - deutlicher aus, was früher höchstens in Kneipen ausgesprochen wurde. Sie tun das zwar in gepflegterer Sprache, aber gepflegte Sprache allein macht das Giftige nicht ungefährlicher, sondern teilweise sogar gefährlicher, weil sie verdeckt, was da in die Gesellschaft gebracht wird, also es gibt sehr vieles, was beunruhigend ist, sehr beunruhigend.

Frage: Wird da eine intellektuelle Legitimation für neonationalsozialistisches Gedankengut vorbereitet?

Friedman: Es muß differenziert werden. Ich glaube nicht, daß man Menschen wie Martin Walser und andere mit den Nationalsozialisten der Nazibewegung in einem Atemzug nennen darf. Aber das, was die machen, führt zu einer Salonfähigkeit, zu einer Gewöhnung, zu einer alltäglichen Darstellung, wo zum Beispiel Neonazis sich plötzlich auf sogenannte anständige Menschen berufen können, sie zitieren können. Das ist ausgesprochen gefährlich, und die Hemmschwellen verändern sich. Die Stichworte, ihre Assoziationen und Reaktionen darauf verändern sich, und dies gerade im Wechsel der Generationen, wo die Überlebenden nur noch wenige Jahre leben werden. Das ist eine Entwicklung, wie ich sie mir eigentlich nicht vorgestellt habe, und die ich mit großem Argwohn beobachte.

Frage: Jüdisches Leben war im Deutschland der letzten Jahren aufgeblüht - würden Sie heute einer jüdischen Familie aus Rußland oder Georgien empfehlen, nach Deutschland zu kommen?

Friedman: Da ich selbst in Deutschland lebe, hielte ich es für heuchlerisch, jemandem zu sagen: "Komm nicht nach Deutschland". Jeder Mensch muß das für sich entscheiden. Ich lebe beispielsweise in Deutschland, und ich gehöre nicht zu denen, die anderen Eijzes geben, wo sie leben sollen. Ich habe einen Bruder in Israel mit drei Söhnen. Sie alle würden unser Interview nicht verstehen. Und das finde ich gut so.

Frage: Ein Phänomen, von dem sowohl Schweizer, deutsche wie österreichische Firmen und Banken betroffen sind, sind die Sammelklagen von Überlebenden. Was halten Sie davon?

Friedman: Diese Institution der Sammelklage hat einen Aufbruch und ein Zerbröckeln der Mauer des Schweigens seitens der Deutschen, der Österreicher und anderer Länder Industrie- und Bankenwelt bewirkt. Bis dahin war es eine der unerträglichsten Situationen, daß diejenigen, die geraubt und gestohlen haben, und die Menschenleben für Sklavenarbeit ge- und mißbraucht haben, über 50 Jahre hindurch versucht haben, sich die Hände in Unschuld zu waschen. Dabei geht es auch nicht um Wiedergutmachung, sondern um Rechtsansprüche. Es sind die Konten, die denen gehören, die sie vor Jahrzehnten eingerichtet hatten. Und es ist die Lebensarbeit gewesen, von denen, die als Sklaven mißbraucht wurden, und deswegen bin ich froh, daß das Thema endlich so weit unter Druck geraten ist, daß die Unternehmen wissen, sie können jedenfalls ihre bisherige Haltung nicht mehr aufrechterhalten.

Frage: Sie schließen sich demnach der Aussage von Ignaz Bubis, die zuletzt in der österreichischen Tageszeitung "DER STANDARD" zitiert wurde, wonach Fagan "mit seiner Methode über Leichen" ginge, nicht an.

friedman

Fotos: Michel Friedman im Gespräch
Foto: Annunziata Schmid-Chiari

Friedman: So habe ich das nicht gesagt: ich bejahe das Institut der Sammelklage prinzipiell, wie übrigens auch Ignaz Bubis. Wovon wir heute reden ist, daß die Anwälte nun nicht ihrerseits Lösungen zugunsten der Betroffenen im Wege stehen dürfen. Denn das oberste Prinzip, die wichtigste Priorität ist, daß die Opfer, um die es geht, die mittlerweile alt und krank sind, endlich zu einer Lösung kommen - und zwar solange sie noch leben. Und ich verlange und erwarte von den Anwälten, daß sie ihrerseits auf vieles für sich verzichten, sowohl ökonomisch wie auch strategisch, um diesen Menschen eine Chance auf Einigung anzubieten, die den Namen einer Einigung würdig ist.

Frage: Sie wenden sich also dagegen, daß es sich bei den Sammelklagen und normale anwaltliche Geschäfte handelt?

Friedman: Ich bin selbst Anwalt und habe Verständnis, daß Anwälte für ihre Arbeit ein Honorar bekommen wollen. Das ist nicht das Problem. Aber man muß auf dem Teppich bleiben, und man muß verstehen, daß man es hier nicht mit einem "normalen Rechtsfall" zu tun hat. Und man darf auch den eigenen Klienten, die sich einigen Wollen, nicht im Wege stehen, indem man sie falsch berät. Momentan ist die Strategie dieser Anwälte, allen voran Ed Fagan, kontraproduktiv. Das ändert aber nichts daran, daß das, was er und seine Kollegen vor Jahren begonnen haben mit der Sammelklage, ein konstruktives und wertvolles Moment war, um das Thema zu dynamisieren. Auch die Politisierung in Amerika, als etwa einige Bundesstaaten einen Boykott von Banken und Unternehmen in Erwägung gezogen hatten, war sehr hilfreich. Damit wurden die Unternehmen gezwungen, sich sehr genau zu überlegen, mit welcher Strategie sie den größeren Schaden haben würden.

Frage: Ihre so vielfältigen Tätigkeiten in der Öffentlichkeit, sei es als Funktionär bei jüdischen Gemeinden seit früher Jugend oder bei Fernsehinterviews mit Daniel Goldhagen oder Steven Spielberg, haben bei mir den Eindruck geweckt, sie hätten mit Suche nach Identität zu tun. Ist dieser Eindruck richtig?

Friedman: Ich habe eine sehr gefestigte Identität. Aus dieser Identität heraus bin ich süchtig nach Leben. Und süchtig nach Leben bedeutet neugierig zu sein, Lernen wollen. Ich kann gar nicht genug tun und lernen. Und sie werden mich noch in ganz anderen Rollen und Aufgaben beobachten können. Das ist das Faszinierende am Leben: zwischen den Welten zu leben.

Anton Legerer, Jr.

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