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NETZ-ART
Netzkünstler leben nicht vom Bit allein

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Von Tilman Baumgärtel

Netzkunst kann man nicht verkaufen, aber Geld brauchen ihre Schöpfer trotzdem. Bei einer Konferenz in London zerbrachen sich Netzaktivisten aus ganz Europa den Kopf darüber, wie man Kultur ins Internet bringen kann, ohne zu verhungern. Jetzt soll ein "Inter-Fund" für Netzkunstprojekte eingerichtet werden.

Vielleicht ist es Ermüdung. Vielleicht liegt es am Abflauen der ersten Internet-Euphorie. Vielleicht hat auch nur die Realität Einzug in das Leben der Netzaktivisten der ersten Stunde gehalten. 1998 scheint das Jahr zu werden, in dem die Schöpfer von Netzkultur anfangen, über Methoden nachzudenken, wie sie ihre Aktivitäten langfristig finanzieren können. Bei der Konferenz "Art Servers Unlimited" am vergangenen Wochenende in London trafen sich Netzaktivisten aus ganz Europa, um eine Frage zu diskutieren, die zur Zeit zu den wichtigsten Themen des Internet-Diskurses gehören: Wie kann man Kultur ins Internet bringen, ohne dabei zu verhungern?

Als europäische Kulturschaffende 1994 das Internet entdeckten, faszinierte sie das Computernetzwerk zunächst vor allem als "Geschenkökonomie": Statt für Inhalte zu bezahlen, wie bei den "alten" Medien, konnte hier jeder Texte, Töne, Bilder publizieren und abrufen; die Regeln der freien Marktwirtschaft schienen durch die der "Tauschwirtschaft" ersetzt.

Nach vier Jahren Internet müssen die Protagonisten der Netzkultur jedoch feststellen: der Netzkünstler lebt nicht vom Bit allein. Wer seine Kunst, seine Texte, seine Projekte im Internet zeigen will, ohne auf dem Servercomputer eines kommerziellen Providers oder einer Universität im fünften Sub-Directory zu versauern, muß eine eigene Internetdomain haben. Doch die Anmeldung und der Betrieb einer eigenen Domain, die Produktion von Inhalten und deren ständige Aktualisierung kosten Geld und viel, viel Zeit. Wer schwierigere Anwendungen wie Datenbanken, CGI-Scripts oder Java-Programmierungen benötigt, muß teure Programmierer bezahlen, wenn er die entsprechenden Codes nicht selbst beherrscht.

Spätestens seit Beginn dieses Jahres, als mit der Netzgalerie äda'web aus New York und der Internationalen Stadt aus Berlin gleich zwei Netzkunst-Sites der ersten Stunde wegen finanzieller Schwierigkeiten schließen mußten, ist klar, daß die Produktion und Distribution von Netzkultur ein ökonomisches Wagnis darstellt. Und daß die schönste Netzkunst über Nacht verschwinden kann, wenn plötzlich kein Geld für den Server mehr da ist.

Selbstausbeutung!

Bisher kann man das ökonomische Modell der meisten Kultur- und Kunstprojekte im Intenet nur mit einem Wort bezeichnen: Selbstausbeutung! Es ist bisher nur wenigen Netzkünstlern gelungen, ihre Arbeiten an Museen zu verkaufen - und wenn, dann zu Preisen, die die Produktionskosten nicht deckten, und daher allenfalls "kulturelles Kapital" einbrachten. So arbeiten viele Netzkünstler im Nebenberuf als "Sysop" oder als Web-Designer für Multimedia-Agenturen.

Andere versuchen, finanzielle Förderung aus Kulturtöpfen zu bekommen. "Seit anderthalb Jahren schreibe ich eigentlich nur noch Anträge", sagt Rasa Smite vom "E-Lab" aus Riga. "Alle zwei Wochen muß ich wieder in letzter Minute Unterlagen und Formulare einreichen, und wenn wir Glück haben, bekommen wir dann manchmal ein bißchen Geld."

Zusammen mit Raitis Smits und Jaanis Garancs betreibt sie das Netzwerk X-Change, das internationale Netzradio-Kollaborationen organisiert. Das Projekt ist zwar gerade von der Jury der diesjährigen ars electronica mit einem Preis ausgezeichnet worden. Doch wie sie in zwei Monaten die Miete für ihr winziges Studio in Riga bezahlen sollen, wissen die drei Netzwerker nicht.

Besser sieht es dagegen offenbar in England aus, wo Tony Blair am Tag vor der Art Servers Conference Kulturschaffende und Museumsleute zu einem Meinungsaustausch in Number 10 Downing Street empfing. Wo Kunst so eine hohe Bedeutung zu haben scheint, wird auch die Netzkultur bedacht: Channel hat vom British Arts Council Mittel bekommen, um Netzkunstwerke und begleitende Essays in Auftrag zu geben. Bis zu 4000 Pfund erhalten Künstler für eine Arbeit für Channel; die Site ist bisher freilich vor allem ein Stück Infrastruktur, und hat mehr Design als gute Netzkunst zu bieten.

Dem Budapester Medienlabor C3 ist es dagegen gelungen, eine kleine, aber ausgesprochen feine "Sammlung" von Arbeiten auf seinem Server zusammenzustellen, obwohl es den Künstlern meist nur ein Stipendium für einen kurzen Aufenthalt in Budapest und die Benutzung seines Equipments bieten können. So erfreulich solche Initiativen sind - sie macht Künstler so abhängig von Mäzenen wie die Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts, die von gut betuchten, kunstliebenden Adeligen oder von der Kirche finanziert wurden.

Es sind nicht nur leere Kassen, die - vor allem in den Ländern Ost-Europas - die Förderung von Netzkunstprojekten verhindern. Die meisten Kulturinstitutionen investieren lieber in traditionelle, zugänglichere Kunstformen als in die immaterielle und daher nicht besonders repräsentaive Netzkunst. Nicht nur das mangelnde Verständnis der Traditionsinstitutionen des Kunstbetriebs für das junge Genre der Netzkunst verhindert die adäquate Finanzierung von Netzprojekten; die meisten Kulturbürokratien haben den Weg zur Förderung durch einen undurchsichtigen Paragraphen- und Papierdschungel verbaut. Wer zum Beispiel von der Europäischen Union Mittel haben will, bezahlt am besten einen Berater, der für ihn die zehnseitigen Bewerbungsformulare ausfüllt.

Nur wenige Netzwerker wollen ihre Zeit durch solche bürokratischen Prozeduren verschwenden - besonders, weil ihr Ausgang meist unsicher ist. Dabei würden bei vielen Netzprojekten schon geringe Summen genügen, um ihre Existenz zu sichern. Rasa Smite fordert darum die Einrichtung eines "Inter-Funds", der kurzfristig und unbürokratisch kleine Stipendien an Künstler vergibt.

Im Gegensatz zu der traditionelleren Medienkunst, die meist mit teurem High-Tech-Equipment arbeitet, kann Netzkunst mit handelsüblichen PC produziert werden. James Wallbank von der Redundant Technology Initiative sammelt darum bei Unternehmen und Privatleuten Uralt-Computer, die er umsonst gestiftet bekommt: "Die sind meist noch dankbar, wenn wir ihnen ihren Müll raustragen", sagt Wallbank über die Rechner, die heute schon nach kurzer Zeit nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik sind. Inzwischen hat die Gruppe ein ganzes Lagerhaus voll mit Hardware, das sie für ihre Installationen benutzten können.

Andere Netzaktivisten wollen sich weder von der Gnade öffentlicher Institutionen noch von privaten Sponsoren abhängig machen: James Stevens vom Londoner Internet-Café "Backspace", auf deren Server einige der interessantesten Netzkunstarbeiten liegen, ist ein entschiedener Gegner jeder Art von Fremdfinanzierung: "Kulturelle Produzenten sollten autonom arbeiten können", argumentiert er, und fügt hinzu: "Und das geht auch!" "Backspace" finanziert sich seit zwei Jahren erfolgreich durch Mitgliedergebühren, die nicht nur die Miete des kleinen Raums im Londoner Stadtteil Southwark unweit vom William Shakespeare's Globe Theatre decken, sondern mit denen auch die technische Ausstattung bezahlt wurde. Viele "Backspace"-Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich im Café mit.

Wie man mit Kunst sogar Geld verdienen kann, zeigt Oskar Obereder von Wiener Silverserver. Dieser ist zwar selbst kein Kunstprojekt. Aber in den letzten drei Jahren hat Obereder ein eigenes Backbone-Netz in der östereichischen Hauptstadt aufgebaut, an dem inzwischen Tausende von Netznutzern hängen. Künstlern, Technoproduzenten, Grafikagenturen und anderen kulturellen Produzenten richtet Obereder gerne umsonst eigene Domains ein. Auch wenn er damit nicht sofort Geld verdient, lohnt sich diese Investition für ihn: Wegen der attraktiven Inhalte seines "Vienna Backbone Services" schließen andere Internet-Provider mit ihm bevorzugt "Peering Agreements" ab - und die sind mehr wert als Bargeld. Je mehr "Peerings", also direkte Verbindungen zu anderen Netzleitungen, Obereder hat, um so schneller sind die Internet-Verbindungen, die er als Provider seinen Kunden anbieten kann - ein rares Beispiel dafür, daß man im Internet mit Content tatsächlich Geld verdienen kann.

Freilich: Den meisten Netzkünstlern hilft das Modell wenig. In London besann man sich darum auf die alte Internet-Tugend der Selbstorganisation. Zunächst soll umgehend ein "Inter-Fund" gegründet werden, auch wenn zu Beginn nur eine minimale Summe zur Verfügung stehen wird. Zweitens wollen sich die Netzschaffenden wenigstens virtuell organisieren und einen "Webring" aufbauen, der die Sites ihrer Projekte miteinander verbindet. Zusammen sind wir stark - und die nächste Konferenz zu diesem nach wie vor brennenden Thema kommt bestimmt.

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haGalil onLine - Samstag, 14. Dezember 2013

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