"Antikommunistisch" meint in diesem Zusammenhang
vorrangig die großbürgerlichen, autoritär-antiliberalen und
fortschrittsfeindlichen Bestandteile und Wesenszüge bundesdeutscher
Herrschaftsideologie. In ihr wird eine fiktive kommunistische Bedrohung
instrumentalisiert, um eigene ökonomische und machtpolitische Interessen
in verdeckter Weise geltend zu machen und möglichst wirksam zu
verfolgen. Das wirkliche Feindbild reicht dabei von Kommunisten,
Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern bis zu ökologischen,
emanzipatorischen, pazifistischen und überhaupt systemkritischen
Bewegungen und Persönlichkeiten.
Unter der Überschrift "Wie sich die Deutschen mit
ihren totalitären Vergangenheiten auseinandersetzten sollten", hatte der
emeritierte Professor für Politikwissenschaft Carl-Christoph Schweitzer
einen umfänglichen Beitrag in der FAZ vom 28. Dezember 1996
veröffentlicht. Er bemühte sich darum, die zunehmende Parallelisierung
von DDR und NS-Diktatur historisch und theoretisch zu untersetzen, mit
der der vergangene zweite deutsche Staat durchweg dämonisiert und
kriminalisiert werden soll. Ungeachtet wiederholter gegensätzlicher
Beteuerungen bedeutet dies zugleich, den Hitlerfaschismus und seine
weltgeschichtlich unvergleichlichen Verbrechen gegen die Menschheit
tendenziell zu verharmlosen und sogar in wesentlichen Momenten -
beispielsweise hinsichtlich der Rolle der Wirtschaft, der Wehrmacht und
des Beamtentums - zu rehabilitieren.
Häufig wird - allerdings mehr beiläufig und in der
Regel sehr oberflächlich - diesem Vorgehen rechtfertigend hinzugefügt,
daß Vergleichen nicht Gleichsetzen bedeute. Diese richtige
Unterscheidung wird jedoch im politischen und Medienalltag aufgrund der
unablässigen und willkürlichen Behauptungen über Analogien und
Wesensverwandtschaften zwischen DDR und Drittem Reich vernachlässigt und
bleibt schließlich ziemlich wirkungslos. Außerdem wird sie oft rasch
vergessen, wenn die Bundesrepublik kritisch in geschichtliche oder
internationale Vergleiche einbezogen wird.
Die tendenzielle Gleichsetzung von DDR und
NS-Diktatur basiert auf einer grundsätzlichen, das Wesen beider
Herrschaftsverhältnisse entstellenden Fälschung. Die insbesondere der
deutschen Spielart des internationalen Faschismus eigene barbarische,
konstitutiv terroristische und schrankenlos aggressive Natur hat dabei
in den Hintergrund zu treten, um wirkliche oder vermeintliche Analogien
zwischen Faschismus und Realsozialismus festzustellen oder zu
konstruieren. Mit anderen Worten: Es wird weitgehend vom Wesen des
"Verbrecherstaates" (Karl Jaspers) von 1933 bis 1945 abstrahiert, um das
antikommunistische und fortschrittsfeindliche Hauptanliegen mit einem
Schein von Glaubwürdigkeit verfolgen zu können. Die Wahrheit ist: Alles
das, was dem Dritten Reich seinen Spitzenplatz in der Weltgeschichte der
Menschheitsverbrechen eingebracht hat, weist nicht auf Gemeinsamkeiten
und Verwandtschaften mit dem Realsozialismus des zweiten deutschen
Staates sondern auf Unvergleichliches und Gegensätzliches.
Die Hervorhebung bestimmter politischer und
ideologischer Momente in der totalitarismustheoretischen Gleichsetzung
von Rot und Braun ignoriert auch die fundamentalen Unterschiede der
sozialen Grundlagen und der historisch-politischen Leitbilder und
Funktionen. Dieses Problem sprach der Soziologe Rainer Lepsius auf einer
Tagung der Enquetekommission des 12. Deutschen Bundestages zum Thema
"Zur Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland in
Vergangenheit und Gegenwart" am 3. und 4. Mai 1994 in Berlin an. Er
halte den "Vergleich zwischen der SED- und der NS-Diktatur" für
problematisch, wenn er direkt durchgeführt werde: "Der Vergleich ist nur
möglich über einen Dritten, der die Vergleichskategorien anbietet, und
das ist der demokratische Rechtsstaat". Das Herangehen von Lepsius würde
es ermöglichen, vor allem die grundlegenden Unterschiede
herauszuarbeiten, die Faschismus einerseits und Realsozialismus
andererseits zum Bruch mit dem bürgerlich-parlamentarischen System und
der in ihm gründenden Rechtsstaatlichkeit und Liberalität geführt haben.
Die Anregung fand kaum Resonanz, da sie dem vorrangigen politischen
Interesse einer rigorosen Abrechnung mit der DDR weniger dienlich ist.
Die Argumentationen des Professor Schweitzer Dem
vorherrschenden selektiven Umgang mit der DDR-Geschichte folgend,
bemerkte Schweitzer, daß proportional mehr Deutsche für die Stasi als
für die Gestapo gearbeitet haben. Ihm erscheint nicht erwähnenswert, daß
- absolut und prozentual - mehr Menschen das Wirken der Gestapo mit dem
Leben, mit KZ-Haft und anderen Formen der Entrechtung und des Terrors
bezahlen mußten. Er erklärt seine Beobachtung damit, "daß nämlich der
nationalsozialistische Staat bis weit in den zweiten Weltkrieg hinein
auf die allgemeine Unterstützung einer erheblichen Mehrheit der
Bevölkerung bauen konnte, hingegen das SED-Regime nur auf eine relative
Minderheit und deshalb glaubte, mehr Spitzel einsetzen zu müssen". Die
Wortwahl ist verräterisch: hier "nationalsozialistischer Staat", aber
dort "SED-Regime". Vor allem aber wird unterschlagen, daß die
Erfahrungen der deutschen Linken mit dem Terror der Rechten seit 1918/19
und als Grundeigenschaft der Staatsmacht seit 1933 überzogene Macht- und
Sicherheitsvorstellungen der Kommunisten nachhaltig begünstigt und
verhärtet hatten.
Übrigens gerät der Befund zur Massenbasis der
Nazidiktatur bis in ihre katastrophale Schlußphase, dem kaum
grundsätzlich widersprochen werden kann, zu einer nahezu anerkennenden
Beschreibung der damaligen Herrschaftsverhältnisse und
Massenbeeinflussung. Wo zwangsläufig die kritische Frage nach den
Gründen einer jahrelangen und millionenfachen Unterstützung von
Hochrüstung, Eroberungskrieg und systematischen Massenmorden zu stellen
und sie zu beantworten zumindest zu versuchen wäre, ist von Schweitzer
nichts zu vernehmen. Der geschichtsideologisch verengte Horizont wird
auch sichtbar, wo Schweitzer den militärischen Eid auf Hitler generell
als angeblich echten Gewissenskonflikt stilisiert. Das mag für einen
Teil der aus proletarischem, bäuerlichem und kleinbürgerlichen Milieu
kommenden Soldaten gelten, die allerdings auch seit Jahrzehnten dem
Einfluß völkisch-nationalistischer, antisemitischer, antisozialistischer
und demokratiefeindlicher Ideen und Politikkonzepte ausgesetzt waren.
Aber es ist bloße Apologie und verdunkelt historisch-politische
Vorgänge, wenn es um die pronazistische Rolle, die militaristische
Initiativfunktion sowie die Verantwortung und Schuld der Masse der
Berufsoffiziere und insbesondere der Generalität von Reichswehr und
Wehrmacht geht.
In der heutigen politischen und Strafverfolgung von
Grenzsoldaten und Offizieren der NVA wird exemplarisch die riesige Kluft
im Umgang der tonangebenden Kreise und Parteien mit den "zwei
Diktaturen" in Deutschland sichtbar. Sie kann nicht überraschen bei
einer politischen und militärischen Führung, bei der beispielsweise
anläßlich des 60. Jahrestages der Zerstörung Guenicas im Frühjahr 1997
erneut sichtbar wurde, daß sie sich mehr in der Tradition der Legion
Condor als der deutschen Interbrigadisten befindet, die seinerzeit gegen
Franco, Hitler und Mussolini an der Verteidigung der spanischen Republik
teilnahmen.
Die heute auf die Grenztruppen der DDR angewandte
Herangehensweise, von den historischen Bedingungen weitgehend zu
abstrahieren, rechtsstaatlich bewährte Verjährungsfristen praktisch
aufzuheben und in diesem Fall - im internationalen Vergleich einzigartig
- allgemeingültige Menschenrechte als direkten Maßstab für
strafrechtliche Ahndung anzulegen, würde und müßte bei gleichartiger
Anwendung auf die Naziwehrmacht bedeuten: Jeder Soldat, jeder Offizier
und alle Angehörigen halbmilitärischer, polizeilicher und ziviler
Einrichtungen, die unter Hitlers Oberbefehl teilnahmen an der Besetzung
und Unterwerfung anderer Länder sowie an der massenhaften Ermordung,
Deportation, Ausbeutung und Unterdrückung ihrer Bürger und der
Zerstörung der wirtschaftlichen und kulturellen - nicht zuletzt der
lebenswichtigen - Infrastruktur jener Länder, müßten bezüglich ihrer
persönlichen Mittäterschaft und ihres Schuldanteils strafrechtlich
belangt werden. Beispielsweise hätte die Öffentlichkeit des In- und
Auslandes ein Recht darauf, nach mehr als einem halben Jahrhundert zu
erfahren, für welche Verbrechen der langjährige Spitzenpolitiker der FDP
(später der CDU), der Bundesminister und Vizekanzler, Erich Mende, das
Ritterkreuz erhalten hatte. Wer solche Folgerungen ablehnt, setzt voraus
- oder müßte beweisen - daß die Teilnahme an hitlerfaschistischen
Eroberungs- und Ausrotterungsfeldzügen eine menschen- und
völkerrechtlich höherwertige Legitimität gehabt habe als die
Einbeziehung in das Grenzregime der DDR. Für das konservative
Geschichtsdenken ist das unzweifelhaft, da es die mit der Bewahrung der
bürgerlichen Gesellschaft und der Vertretung ihrer Interessen verbundene
Politik einschließlich Rüstung, militärischer Interventionen und Kriegen
als schicksalhaft hinnimmt und in dieser oder jener Weise
nationalistisch rechtfertigt.
Schweitzer fragte weiter: "Was hätte der deutsche
Normalbürger zwischen 1933 und 1945 wann und in welchem Umfang über die
Verbrechen des Dritten Reiches bis hin zum Holocaust wissen können,
wissen müssen?" Die in der Frage erkennbare apologetische Sichtweise
bleibt dem konservativ-nationalistischen Horizont vergangener Jahrzehnte
verhaftet: Wieso konnten Millionen Deutsche seit 1933 nicht nur der SA-
und SS-Terror, sondern auch die Hochrüstung und allumfassende
Militarisierung der Gesellschaft, die zielstrebige Kriegsvorbereitung
sowie schließlich die Aggressionen ab 1938 entgangen sein, die doch in
den von Goebbels dirigierten Medien triumphierend dargestellt wurden?
Aber so stellen Geschichts- und Politikwissenschaftler wie Schweitzer
die Frage nicht. Aus ihrer Sicht werden den "Nationalsozialisten" in der
Hauptsache nur die Exzesse systematischer Massenvernichtung (und selbst
diese vielfach nur selektiv) als Verbrechen angerechnet.
Die Verfolgung und Unterdrückung der Linken sowie
die militärische Komponente von Macht- und Außenpolitik subsumieren
rechte Intellektuelle unter jenem Begriff von Normalität, nach der
zurückzukehren die Herren Dregger, Herzog, Kohl, Rühe und andere sich
längst heftig sehnen und nunmehr seit 1990 höchst wirksam sich bemühen.
Konservative Version des Totalitarismuskonzepts Der
von Wissenschaftlern, Publizisten und Politikern strapazierte
"Diktaturenvergleich" erweist sich als eine konservativ dominierte und
politisch instrumentalisierte Variante der Totalitarismuskonzeption. Sie
fand ihren bevorzugten und unter den in den neunziger Jahren obwaltenden
Umständen als besonders ergiebig empfundenen Gegenstand in Staat,
Gesellschaft und Geschichte der DDR. Die Kriterien, die Begriffe und die
Beispiele des Vergleichs zwischen NS-Regime und DDR werden vorrangig
nach heutigen politischen Ambitionen ausgewählt. Für diesen Zweck werden
selbst solche Voraussetzungen und Wesenszüge des Nazifaschimus
vernachlässigt oder bleiben ungenannt wie sein barbarischer
Antibolschewismus, sein Rassismus und Antisemitismus, seine
konservativen ideologischen Quellen und politischen Verbündeten und
seine großbürgerlich-aristokratischen Förderer und Nutznießer.
Es begünstigt diese geschichtsideologischen
Bestrebungen und muß sehr nachdenklich stimmen, daß - von couragierten
Ausnahmen abgesehen - liberale oder sozialdemokratische Wissenschaftler
und Publizisten insgesamt kaum Gegenpositionen einnehmen. Unzweifelhaft
wirkt hierbei die massive antikommunistische Tradition und Denkweise der
Bundesrepublik und ihrer staatlichen Vorläufer.
Vielleicht ist eine weitere Attacke aus dem
äußersten rechten Spektrum der Unionsparteien geeignet, das Schädliche
einer parteipolitisch bornierten Nachsicht gegenüber einer rigorosen
konservativ-nationalistischen Abrechnung mit der "SED-Diktatur" zu
erkennen. Der als rechtsextremer Vorreiter gegen die Ausstellung über
Wehrmachtsverbrechen erneut namhaft gewordene Peter Gauweiler (CSU)
beanspruchte in der FAZ vom 2. Januar 1997, unter dem Titel "Die
deutsche Rebellenjugend" einen "Generationenvergleich" anzustellen. Er
konstruierte darunter Analogien zwischen der nazistischen Jugendbewegung
der zwanziger und dreißiger Jahre einerseits und der
außerparlamentarischen, insbesondere studentischen Oppositionsbewegung
vom Ende der sechziger Jahre - den "68ern" - andererseits. "Mord und
Tatschlag gab es auch. Bei den zwei deutschen Fieberträumen von einer
gerechten Welt" mit solchen Gleichheitszeichen behauptet Gauweiler die
Wesensverwandtschaft der "Rudi-Dutschke- und der
Horst-Wesel-Generation". Er nutzt den von ihm gleichzeitig verharmlosten
Nazismus zur Denunziation seines Hauptfeindes - der deutschen Linken von
Gestern und heute.
Das primär gegen die DDR gerichtete
Totalitarismuskonzept wird folgerichtig auf linke, demokratische
Bewegungen und Organisationen der BRD ausgeweitet. Gegen die
antifaschistische Kritik an Kontinuitäten und Restauration in den
Westzonen und der BRD nach 1945/49 setzt Gauweiler die Täter des Dritten
Reiches als Beispiel für nachwachsende Genrationen. Er zitiert
zustimmend den Personalberater Maximilien Schubert aus einem Interview
vom Frühjahr 1968: "Deutschlands Topmanager: Von Hitler erzogen",
Schubert habe die Lanze gebrochen "für die erfolgreiche Führungsklasse
der westdeutschen Nachkriegswirtschaft, die - schon zeit- und
altersbedingt - durch die Schule der Wehrmacht, der Partei und des
Krieges gegangen war." Sie hätten "nach den Maximen eines Generals"
gearbeitet: "Pflichterfüllung, klare Überlegung und letzter und
äußerster Einsatz. Es ist tatsächlich eine Kriegsführung. "Es waren -
kurzum - "die Heldinnen und Helden des deutschen Wiederaufbaus", deren
Vorbild, Größe, Tragik und Leiden tabuisiert und nicht mehr gefragt
seien.
Gauweiler und die FAZ schreiben damit Klartext. Er
dementiert das Gerede, aufgrund der Inkonsequenzen nach der "ersten
Diktatur" müsse seit 1990 mit der "zweiten Diktatur" schonungslos
abgerechnet werden. Erkennbar ist vielmehr das in sich folgerichtig
konservative geschichtsideologische Konzept: Die Nazidiktatur
fortschreitend zu relativieren und zu historisieren, bildet eine und die
unnachsichtige Delegitimierung einer antikapitalistischen Alternative
auf deutschem Boden die andere Seite. Die Konjunktur des
"Diktaturenvergleichs" bleibt eine Herausforderung an
Geschichtsschreibung, Gesellschaftstheorie, Politik und Moral in der
Bundesrepublik von heute und morgen.
Prof. Dr.
Ludwig Elm ist Mitglied der Bundestagsgruppe der
PDS