Bubis: Deutsche gegenüber Juden
stark befangen Erinnerung an die
"Reichskristallnacht"
DW
Baden-Baden - Nach Ansicht des Zentralratsvorsitzenden der Juden in
Deutschland, Ignatz Bubis, sind die meisten Deutschen im Umgang mit Juden
weiterhin stark befangen. In einem Interview des Südwestfunks forderte Bubis
am Freitag mehr Aufklärung in den Schulen über die Geschichte des Judentums
in Deutschland, die nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus umfasse. Die
Gedenkfeiern zum Jahrestag der "Reichskristallnacht" am 9. November 1938
nannte er in ihrer Intensität angemessen, da die Nachkommen daran erinnert
werden müßten, was Menschen Menschen antun können.
Bubis nannte ein Beispiel dafür, daß das Verhältnis
zwischen Deutschen und Juden immer noch nicht normalisiert sei. Wenn in
einem Wohnhaus unter zehn Mietparteien eine jüdische Familie sei, dann seien
sich die übrigen Parteien dessen voll bewußt, während sie sich vermutlich
nicht darum scherten, ob die anderen Mieter nun katholisch oder evangelisch
seien. Aber allein die Tatsache, daß Juden wieder in Deutschland leben
könnten, sei für ihn ein Stück Normalität, auch wenn er diesen Begriff nicht
gerne verwende. Normalität im gegenseiten Umgang dürfe auf keinen Fall
bedeuten, einen Schlußstrich unter die Geschichte zu ziehen. Den Jahrestag
der Reichspogromnacht, in der Deutsche erstmals gezielt jüdische Geschäfte
zerstörten, nannte Bubis einen Tag der Mahnung für die Nachkommen. Aber auch
die Überlebenden dürften nicht "ihre Geschichte versenken und sagen: ,Ich
will nicht mehr daran denken'". Quelle: DIE WELT,
(C) 9.11.'96 |