Frankfurter Buchmesse:
Jenseits der Klischees
In der arabischen Welt streitet man
darüber, wie repräsentativ die Kultur ist, die auf der Buchmesse in
Frankfurt am Main vorgestellt wird
Von Hannah Wettig, Beirut
Jungle World 42 v.
6.10.2004
Als die Arabische Liga die Organisation für die
Präsentation der arabischen Gäste auf der diesjährigen Buchmesse in
Frankfurt am Main übernahm, wurde schnell Skepsis laut. Diesseits und
jenseits des Mittelmeers fanden Autoren, Künstler und Literaturkritiker,
dass die Dachorganisation der 22 arabischen Länder nicht der richtige
Partner für eine Kulturveranstaltung sein könne.
In Europa lebende Araber und Kurden warnten, dass die Liga
als Repräsentantin repressiver Regime Zensur üben würde. Doch in der
arabischen Welt läuft die Kritik zumeist in eine ganz andere Richtung. Hier
hat man vor allem die Inkompetenz der notorisch zerstrittenen Arabischen
Liga vor Augen. Die ägyptische Autorin Salwa Bakr beschwerte sich in einem
Interview mit der libanesischen Tageszeitung As-Safir, dass die Araber sich
mal wieder nicht einigen könnten. Im selben Artikel, den die Zeitung mit
"Die Messe in Frankfurt – eine Katastrophe?" übertitelte, wird auf die
eifrigen Koreaner hingewiesen, die viel früher mit der Organisation ihres
Ehrenauftritts auf der Frankfurter Buchmesse im kommenden Jahr begonnen
hätten.
Der Fernsehsender al-Jazeera zeigte jüngst eine Fragerunde mit dem
Präsidenten der Arabischen Verlegergemeinschaft, Ibrahim Muallim. Ob denn
auch der Hass auf die USA und der wirkliche Islam in Frankfurt angemessen
dargestellt würden, fragte ein Zuschauer. Und der Moderator kritisierte,
dass die arabischen Repräsentanten nur das säkulare westliche Denken
verträten.
"Glücklicherweise", würde die libanesische Schriftstellerin Iman
Humaidan-Junis sagen: "Ich hoffe, dass dies nicht so eine Veranstaltung ist,
wo der Westen denkt, Dialog mit der arabischen Welt bedeute Dialog mit
Fundamentalisten. Ich habe dieselben Probleme mit Fundamentalisten", sagt
die Autorin, deren Roman "Wilde Maulbeeren" zu Beginn der Messe ins Deutsche
übersetzt wird. "Ich höre von allen um mich herum, dass es ein Skandal wird,
weil wir nichts zu zeigen hätten. Selbstverständlich haben wir das! Das
Problem ist, dass wir auf das, was wir haben, nicht stolz sind."
Der Stolz sei mit den Leitbildern verloren gegangen, glaubt sie: "Die großen
Ideologien sind tot. Übrig sind der Fundamentalismus und die alten Regime.
Leute wie wir sind marginalisiert. Meine erste Reaktion war zu fragen: Wie
können wir in den Raum zwischen diesen beiden Polen eindringen?" So sehr man
Humaidan-Lunis zustimmen mag, die Reaktionen der Zuschauer und des
Moderators in jener al-Jazeera-Sendung zeigen, was das Problem ist. Nämlich
die Frage, wie repräsentativ die Kultur ist, die in Frankfurt vorgestellt
wird. Der Islamismus hat anders als vormals linke Ideologien keine großen
Schriftsteller hervorgebracht, sondern Massen an religiösen Schriften, die
auf früheren Buchmessen häufig das einzige waren, was arabische Verleger an
ihren Ständen darboten.
Staatliche Zensur, sagen viele Kulturschaffende, ob in Marokko oder Ägypten,
ist ein geringeres Problem als die gesellschaftliche Stimmung. Mit dem
Zensor kann man vielleicht verhandeln. Militante Islamisten hingegen
bedrohen nicht nur ihre Gegner mit dem Leben, ihre Mitläufer lesen auch
einfach keine unreligiöse Literatur. In Ländern wie Ägypten, wo die
Alphabetisierungsquote bei nur 50 Prozent liegt, ist der Anteil derer, die
mal ein Buch lesen, ohnehin gering. Doch auch im Libanon mit seinem hohen
Bildungsniveau klagen Buchhändler wie Pädagogen über eine geringe
Bereitschaft zum Lesen. Hier wie auch in den Ländern des Maghreb kommt noch
das Problem der Sprache hinzu. Der französische Kolonialismus hat in einigen
Gegenden ein Bildungssystem hinterlassen, das das Arabische dem
Französischen unterordnet. Noch heute müssen Kinder, die im Libanon
französische Schulen besuchen, nicht nur auf dem Pausenhof französisch
reden, selbst ihre Eltern werden dazu angehalten, kein Arabisch zu sprechen.
"Die Leute, die solche Bücher hier lesen, lesen sie ohnehin auf Englisch
oder Französisch", erläuterte jüngst der arabische Verleger von Dan Browns
"Da Vinci Code" auf die Frage, warum ihn das Verbot des Buches im Libanon
finanziell nicht beunruhige. Da verwundert es nicht, dass Autoren wie der
Libanese Amin Maalouf oder der Marokkaner Tahar Ben Jelloun gleich auf
Französisch schreiben. In der Autorengemeinde sorgt das für Unmut. Bei einem
Treffen des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Amr Moussa, mit den
libanesischen Schriftstellern, die nach Frankfurt eingeladen sind, kam es zu
einem Tumult, als einer der auf französisch Schreibenden forderte, die
Frankophonen müssten mehr Raum bekommen, weil sie schließlich im Westen
bekannter seien.
Wenn auch die meisten Autoren erbost ihre Wahl für das Arabische
verteidigten, so wissen sie doch, dass nur die Übersetzung der Werke in
westliche Sprachen ihren Beruf auch zum Broterwerb machen kann. Doch auf dem
globalen Buchmarkt haben es arabische Autoren schwer. In Deutschland sind
von mehr als 125 000 belletristischen Titeln 40 Prozent Übersetzungen. Doch
weniger als 0,3 Prozent stammen aus der arabischen Welt. Das mag ein
Stilproblem sein. Wie Peter Ripken von der Gesellschaft zur Förderung der
Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in einer Untersuchung über
Übersetzungen aus dem Arabischen schreibt, sind arabischen Autoren "ein
Lesepublikum in Europa und international erfolgreiche Erzählstrategien, wie
sie besonders US-amerikanische Autoren pflegen, ziemlich gleichgültig". Doch
haben arabische Autoren auch mit Stereotypen zu kämpfen. "Es gibt deutliche
Indizien dafür, dass europäische Verleger, aber auch Leser vorgefertigte und
feste Meinungen darüber haben, worum es bei arabischer Literatur eigentlich
gehen soll", schreibt Ripken. Titel mit dem Wort "Schleier" verkauften sich
besser als Titel ohne orientalische Konnotationen.
Frauenliteratur liegt im Trend. Vor allem im englischsprachigen Raum, aber
auch in Deutschland haben Verlage auffällig viele arabische Autorinnen im
Programm, häufig mehr als deren männliche Kollegen. "Leider sind aber gerade
Bücher mit so genannten Frauenthemen diejenigen, die Klischeevorstellungen
über die Frau im Islam befördern", schreibt Ripken. "War es seit einigen
Jahren besonders der Schleier, der Texte von arabischen Frauen verkaufen
half, so ist es in jüngster Zeit neben der Gewalt an Frauen besonders die
Erotik in von Frauen geschriebenen Romanen."
Assaad Khairallah, Professor für nahöstliche Sprachen an der Amerikanischen
Universität in Beirut, bestätigt das. "Weibliche Schriftstellerinnen sind
überall en vogue, besonders im Westen. Stammen sie aus arabischen und
islamischen Ländern, sind sie noch attraktiver, weil man annimmt, sie seien
verschleiert und ohne Stimme", sagt Khairallah. Allerdings betont er, dass
es in der arabischen Welt auch tatsächlich immer mehr Autorinnen gibt. "Ihre
literarische Produktion ist der ihrer männlichen Kollegen sowohl in
Quantität als auch in Qualität gleich."
Doch häufig spielt der Geschmack von Verlegern und Lesern nur eine
untergeordnete Rolle. Zunächst einmal muss ein Buch schließlich übersetzt
werden. Übersetzer haben in der Vergangenheit viel Schelte von arabischer
Seite bekommen: Sie würden Autoren ungerechtfertigt zu Ruhm verhelfen, gar
ihre besten Freunde bei Übersetzungen bevorzugen. Übersetzer geben zu, dass
sie Lieblingsautoren haben. Das ist bei anderen Sprachen nicht anders. Doch
ist die Riege der Übersetzer aus dem Arabischen ungleich kleiner. Für
Übersetzungen ins Deutsche gibt es nur vier oder fünf professionelle
Übersetzer.
Proteste zur Frankfurter Buchmesse:
Regime Change statt Kritischer
Dialog
Presseerklärung der Veranstalter und Organisatoren des
Protestes gegen die Einladung der Arabischen Liga als Ehrengast der
Frankfurter Buchmesse 2004...
Keine Berührungsängste:
Holocaustleugner eröffnet Buchmesse
in Frankfurt
Salmawy, Herausgeber der französischsprachigen
staatseigenen ägyptischen Zeitung Al Ahram Hebdo, ist seit Jahren dafür
bekannt, den Holocaust zu leugnen und Selbstmordattentate in Israel zu
verherrlichen...
Frankfurter Buchmesse:
Schmökern
gegen Israel
Mit der Einladung der arabischen Welt als kultureller Gastregion schreibt
die Frankfurter Buchmesse 2004 ein weiteres Kapitel ins Schwarzbuch
deutsch-arabischer Verständigung. Denn verständigen kann man sich vor allem
auf eines: den Feind Israel...
Frankfurter Buchmesse:
Meister der
Zweideutigkeiten
Der umstrittene Islamwissenschaftler Tariq Ramadan
zu Gast in Frankfurt...
hagalil.com 08-10-2004 |