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Nachrichten
Wahlen beim ZJD -
Teil 3:
Uralte antisemitische Klischees
[Teil
1] [Teil 2]
Von Jörg Lau
http://www.ZEIT.de/tag/aktuell/200002.lau.2_.html
Nr. 2/2000
Die Münchner
Buchhändlerin Rachel Salamander kennt sich mit dem wahren Charakter der von
Daniela Pinto im 2. Teil dieser Serie angesprochenen
Rezeption jüdischer Inhalte durch die nicht-jüdische Umwelt aus wie sonst
wohl niemand im deutschen Sprachraum. Sie ist allerdings weder eine Freundin
des hymnisch-hochfliegenden Tons, den Pinto pflegt, noch des
kulturpessimistischen Basso continuo, den Wasserstein anschlägt.
Von den ewigen
Identitätsdebatten hat sie genug. Immer schon seien es die Juden gewesen,
die sich definieren und für ihr Bleiben in Deutschland rechtfertigen
sollten, während die schweigende Mehrheitsgesellschaft der Nichtjuden
neugierig bis schadenfroh zuschaute. Angesichts solcher Zumutungen greift
Rachel Salamander gern zu dem Wort des Regisseurs Fritz Kortner: "Jude sein
ist nicht abendfüllend."
Die Starken wanderten nach Israel oder Amerika,
die Schwachen blieben hier
Für Rachel
Salamander hat sich die Leidenschaft für jüdische Literatur und Literatur
zum Judentum als lebensfüllend erwiesen. Ihre Buchhandlungen in München,
Berlin und Wien genießen weltweites Renommee, die von ihr zusammengestellte
und jährlich aktualisierte Judaika-Bibliografie mit vielen tausend Titeln
ist ein unverzichtbares Arbeitsmittel der Wissenschaft geworden.
Ihre erste
"Literaturhandlung" gründete sie 1982 in der Schwabinger Fürstenstraße. Mit
Lesungen, Liederabenden, Kabarettveranstaltungen und Diskussionen hat sie
daraus einen Treffpunkt gemacht, literarischer Salon und Volkshochschule
zugleich. Rachel Salamander, die zähe Geschäftsfrau und elegante
Gesellschaftsdame, hat jene intellektuelle Welt rekonstruiert und
wiedereingebürgert, die einst durch die "Entjudung des deutschen
Buchhandels" vertrieben und vernichtet wurde. Im Januar vergangenen Jahres
wurde sie dafür mit dem Kulturpreis der Stadt München ausgezeichnet.
Staatsminister Michael Naumann ließ es sich nicht nehmen, seiner
langjährigen Freundin, der "schönen, klugen Zweiflerin", die Laudatio zu
halten.
Rachel Salamanders Weg
in Deutschland begann in Deggendorf und Föhrenwald, den bayerischen Lagern
für "Displaced Persons". Dort hat sie ihre ersten sechs Lebensjahre
verbracht. Die Eltern, ursprünglich aus Polen, waren 1946 aus der
Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Bei ihrer Einschulung sprach Rachel
kein Wort Deutsch. Im Lager, dem "letzten Schtetl auf deutschem
Sprachgebiet", ausgerechnet in einer ehemaligen Wehrmachtskaserne
untergebracht, war Jiddisch Umgangssprache, und die alten Riten wurden
befolgt. Die Kinder wuchsen in dieser von den Amerikanern geschützten
Enklave vollkommen isoliert von der deutschen Gesellschaft auf. Die Starken
wanderten weiter nach Israel und Amerika, die Schwachen blieben als
"heimatlose Ausländer" hier. Rachel Salamanders Eltern sind in Deutschland
als Staatenlose gestorben, sie selbst hat noch lange an diesem Status
festgehalten, auch als sie schon etablierte Geschäftsfrau und Liebling der
Münchner Gesellschaft war. Sie bezeichnete sich als "heimatlose Inländerin".
Erst mit über 40 Jahren erwarb sie einen deutschen Pass.
Die Geschichte der
Rachel Salamander - vom kleinen Mädchen, das in der Grundschule die
deutschen Wörter nicht lesen kann, über die brillante Doktorandin bis zur
engagierten Aufklärerin, die dem interessierten deutschen Publikum wieder
Zugang zum Wissen über jüdische Dinge verschafft -, diese fast märchenhafte
Geschichte wird gern erzählt. Sie ist eine jener "Erfolgsstorys", auf die
Diana Pinto anspielt. Rachel Salamander ist sich freilich bewusst, dass die
Gesellschaft, in der sie reüssiert hat, sich mit ihr nicht ohne Eigennutz
schmückt. Aber sie ist auch unabhängig genug, zu wissen, dass solche
zuweilen lästigen Umarmungen ihre Arbeit letztlich nicht entwerten können.
Wo sie sich öffentlich
einmischt, tut sie das zuvörderst als eine Verfassungspatriotin, die nebenei
auch Jüdin, Frau, Liberale, Münchnerin ist. Die Garantien des Grundgesetzes,
sagt sie, seien für ihr Wohlbefinden in Deutschland wichtiger als die
Sympathie, die ihr entgegengebracht wird. Gut zu wissen, dass diese
Garantien nicht von Sympathie abhängen. Sie mag es nicht, als Jüdin in die
Rolle der ewigen Mahnerin gedrängt zu werden, das personifizierte schlechte
Gewissen der deutschen Gesellschaft zu sein.
An der
Walser/Bubis-Debatte allerdings hat sie der Wechsel des Tonfalls schockiert,
den der Schriftsteller unter Akklamation der versammelten politischen Elite
einübte. Am meisten entsetzt war sie über die hochfahrende Art, die Walser
sich in dem arrangierten Versöhnungsgespräch herausnahm: Welch ein Stil- und
Tabubruch, Bubis von oben herab zurechtzuweisen. Er, Walser, sei schon mit
der Reflexion der deutschen Verbrechen beschäftigt gewesen, da sei Bubis
noch "mit ganz anderen Dingen beschäftigt" gewesen. Bubis, dessen Vater in
Treblinka ermordet wurde, auf eine solche Weise im Kasinoton abzukanzeln -
dergleichen, sagt Rachel Salamander, "hat es in den so genannten besseren
Kreisen seit dem Krieg nicht gegeben".
Insgesamt zeigt sie sich
jedoch "nicht besonders beunruhigt" über die deutschen Verhältnisse. Die
nach der Wiedervereinigung befürchtete Rechtswende sei nicht bedenklicher
ausgefallen als anderswo in Europa. Es gebe Stammbesucher, die nun schon
seit über 15 Jahren in ihren Laden kommen. Viele von ihnen gehören einer
beständig wachsenden Gruppe an, die der Soziologe Y. Michal Bodemann "das
judaisierende Milieu" nennt, ein Judenexpertentum aus Amateuren und
Professionals, das Klezmer-Festivals und jüdische Kulturtage bevölkert, sich
an den Instituten für "jüdische Studien" einschreibt und die Hebräischkurse
an den jüdischen Volkshochschulen belegt.
Wenn Sie koscher kochen wollen,
sind Sie einen halben Tag lang unterwegs...
Rachel Salamander
hat festgestellt, dass sich in ihrem Publikum die anfänglich vor lauter
Gutwilligkeit und Schuldgefühlen beklommene Haltung nach und nach merklich
entspannt hat: "Mittlerweile traut man sich gelegentlich, mir zu
widersprechen, und das ist in gewisser Weise doch sehr beruhigend."
Sie schwankt etwas, ob
sie die grassierende Folklorisierung des Judentums eher grausig oder eher
rührend finden soll. "Es gibt da einen Witz: Woran kann man als Partygast
erkennen, dass die Gastgeber Nichtjuden sind? An der Klezmer-Musik." Wenn
sich auf einem der zahllosen Kulturfestivals ein Sänger mit jiddischen
Weisen abmüht, ohne dass Rachel Salamander als Muttersprachlerinauch nur ein
Wort versteht, dann ist ihr das zwar peinlich - "aber ergreifend ist es
irgendwie auch". In jedem Fall sei jüdische Kultur - oder, treffender, das,
was (oft genug von Nichtjuden) als solche inszeniert wird - übermäßig
repräsentiert, wenn man die Größe der hiesigen jüdischen Gemeinde zugrunde
legt. In deutschen Großstädten kann man fast jeden Abend eine Lesung, ein
Konzert oder eine Diskussion besuchen, bei denen es irgendwie um Jüdisches
geht. "Aber wenn Sie koscher kochen wollen", sagt Rachel Salamander, "sind
Sie einen halben Tag lang unterwegs, um die Zutaten zu bekommen."
Uralte antisemitische Klischees
Auch Julius
Schoeps, Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für
"europäisch-jüdische Studien", mag die Klezmer-Musik nicht mehr hören. "Man
hält irgendwo einen Vortrag zu einem jüdischen Thema, und schon spielt eine
dieser Combos.
Diese grauenhafte
Judentumsfolklore benutzt die uralten antisemitischen Klischees von
jüdischem Leben." Schoeps nennt sich einen "Juden mit
protestantisch-deutscher Denkstruktur" - eine dieser steifleinenen
preußischen Figuren, die man in Israel mit sanftem Spott "Jeckes" nennt:
"Wenn ich gut geschlafen habe, fühle ich mich schon als deutscher Jude, wenn
ich schlecht geschlafen habe, nur als jüdischer Deutscher."
Schoeps' Institut hat
soeben die drängendsten Probleme jüdischen Lebens in Deutschland untersucht.
Eine gerade erschienene Studie über die Lage der jüdischen Zuwanderer trägt
den verheißungsvollen Titel: Ein neues Judentum in Deutschland? Schoeps und
Kollegen haben wenig Ermutigendes mitzuteilen. Der Professor bekennt zwar im
Gespräch, er finde Diana Pintos Thesen "sehr interessant", die Ergebnisse
seiner Studie jedoch lassen sich schwerlich als Anzeichen einer
"Renaissance" deuten.
Über die Hälfte der
Eingewanderten ist auch nach dem fünften Jahr in Deutschland arbeitslos. 23
Prozent beschreiben ihre Lage als "aussichtslos" und die Schwierigkeiten als
"unüberwindlich". Es gibt zu wenig Sprachkurse, die Qualität des Unterrichts
lässt offenbar auch zu wünschen übrig. Die Wohnsituation ist für viele
Befragte prekär: Weil die Zuwanderer nach einem proportionalen Schlüssel im
Land verteilt werden, finden sich mitunter Großstädter auf dem Dorf wieder,
wo sie den Kontakt zum jüdischen Leben kaum halten können und ihre gewohnte
städtische Lebensweise aufgeben müssen.
Die Einbürgerung ist
schwierig. Nach sieben Jahren besteht die rechtliche Möglichkeit -
allerdings nur bei finanzieller Unabhängigkeit, was älteren und schwer
vermittelbaren Menschen, die kaum noch vom Sozialamt loskommen, die Chance
auf einen deutschen Pass nimmt. Aufenthaltsbefugnisse müssen alle zwei Jahre
erneuert werden - eine unerträgliche Lage für viele, die nach einem Leben in
Verfolgung und Unterdrückung hierhergekommen sind. "Nur eine Minderheit",
sagt Schoeps, "schließt sich den jüdischen Gemeinden aus
religiös-kulturellen Gründen an." Die Gemeinden würden zunehmend in die
Rolle sozialer Beratungsstellen gedrängt - eine Aufgabe, für die sie nicht
gerüstet sind.
Auch den
Alteingesessenen bereitet der Zustrom der so genannten Russen Probleme. Auf
der Leserbriefseite des Gemeindeblatts 'jüdisches berlin' etwa tobt der
Sprachenstreit: Soll man das ganze Heft zweisprachig publizieren oder nur
einen Teil? Muss die Gemeindeversammlung simultan auf Russisch übersetzt
werden? Ist es in Ordnung, wenn Angestellte der Gemeinde sich am Telefon auf
Russisch melden? Und überhaupt: Wer integriert hier eigentlich wen? Außer
den Sprachschwierigkeiten gibt es noch weitergehende Irritationen. "Stellen
Sie sich vor", sagt Schoeps, "was in alteingesessenen Mitgliedern vorgeht,
die die Verfolgung noch selbst erlebt haben, wenn bekannt wird, dass eine
Gruppe von älteren Zugewanderten - Kriegsveteranen der Roten Armee mit
ordensgeschmückten Uniformjacken im Schrank - ein Kameradschaftstreffen mit
ehemaligen Wehrmachtssoldaten veranstalten möchte!"
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haGalil 07-01-2000
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