6. Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit
[ZUR
DISKUSSION IM FORUM]
"Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist
die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass
ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen."
Wohl kaum ein Beitrag der kritischen Theorie wurde im
Rahmen pädagogischer Diskurse quantitativ weitgehender rezipiert, als jener
Vortrag Erziehung nach Auschwitz, aus welchem der oben zitierte
Abschnitt stammt. Vor allem auf die Theorie und Praxis politischer
Bildungsarbeit, als sozialpädagogische Teildisziplin, im Westen nach 1968
wirkt Adornos obiges Diktum geradezu sinnstiftend. So beziehen sich auch
verschiedene Autoren, in dem von der Bundeszentrale für politische Bildung
herausgegebenem Handbuch zur politischen Bildung,
affirmativ auf Veröffentlichungen von Adorno. Beispielhaft sei nur Autor
Gerd Stein erwähnt, der in Anlehnung an Adorno "Mündigkeit als pädagogisches
und politisches Ziel"
formuliert.
Wie bisher dargelegt ist die Abwehr von Schuld und
Erinnerung der Kernpunkt in der Entstehung eines Antisemitismus nach und
wegen Auschwitz, der sich auch mit Elementen eines säkularisierten
Antijudaismus und dem modernen, rassistisch begründeten Antisemitismus
verschlingt. Weiterhin findet politische Bildungsarbeit in Deutschland vor
dem Hintergrund einer Gesellschaft und einer Kultur statt, die weitgehend
von einer Nichtaufarbeitung des Holocaust und von Antisemitismus affiziert
ist. Der gesellschaftliche Anspruch an politische Bildung im Post-Holocaust
Deutschland, "den »nachgeborenen Generationen« im Land der Täter und
Zuschauer historisches Wissen über den Nationalsozialismus und den Mord an
den europäischen Juden zu vermitteln",
ist auch zugleich in der Eigensicht vieler Pädagoginnen und Pädagogen eine
Präventionsarbeit gegen Antisemitismus und Rassismus.
Für die historisch-politische Bildung zum NS, und
darüber hinausgehend, ist der Bezug auf den genannten Vortrag Adornos
selbstverständlich geworden.
Nicht nur Gedenkstätten-Pädagogik und der erzieherische Umgang mit dem
Nationalsozialismus suchen ihre Begründung darin, dass jede "Debatte über
Erziehungsideale (...) nichtig (ist) und gleichgültig diesem einen
gegenüber, dass Auschwitz sich nicht wiederhole".
Gerade im Zuge der ansteigenden Manifestationen
rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Einstellungsmuster seit
der deutschen Wiedervereinigung werden auch "Erziehungsprogramme mit ihm
begründet, durch die Menschen moralisch verbessert und zu Toleranz, Frieden
und Humanität erzogen werden sollen."
Die historisch-politische Bildung steht vor dem
grundsätzlichen Problem, die gesellschaftlichen und auf die Individuen
wirkenden Strukturen zu vermitteln, aber eben damit auch aus den
Massenmorden ihren professionellen Sinn zu ziehen. Auschwitz wird derart
leicht von PädagogInnen für die Profession funktionalisiert und die
Sinnlosigkeit der deutschen Tat droht in der Beliebigkeit einer Verbesserung
der Menschen aufzugehen.
Die Akteure politischer Bildungsarbeit, in der
Mehrzahl aufgewachsen im Post-Holocaust-Deutschland, sind ebenso wenig
losgelöst vom sie umgebenden kulturellen Klima, wie auch die ihre Arbeit
bestimmenden Rahmenbedingungen. Diese Verstrickung besteht nicht nur in
ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen von Förderern, also von Stiftungen,
Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung oder Aktionsprogrammen
der Bundesregierung. Sie ist auch eine der persönlichen Verschlingung
BildnerInnen selber als der Nachfahren der Täter. Diese Verhältnisse sollen
näher beleuchtet werden, um vor ihrem Hintergrund abschließend einige
Ausblicke und Skizzierungen einer Praxis politischer Bildung gegen
Antisemitismus zu geben. Die stets implizit mitschwingende Frage dieses
Kapitels lautet, ob und wie weit politische Bildung, als Teilbereich von
Sozialpädagogischer Arbeit, überhaupt die Möglichkeit hat im Angesicht der
Totalität des Marktförmigen und der vor diesem Hintergrund produzierten
Subjekte Programme gegen den Antisemitismus bieten kann.
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