Betrifft: Martin Walser
Was hatte Herr Walser im Sinn, als er den Namen Ehrl-König
für seine Kritikerfigur wählte?
Wer noch zweifelt, lese jene Ballade nach, die sich wohl
noch im Haushalt finden wird. Um zunächst erleichtert festzustellen: Nein.
Nicht alles, was wir zum Wahren, Schönen und Guten zählen, lässt sich von
Antisemiten in Beschlag nehmen.
Goethe hat mit seinem Erlkönig das elterliche Grauen vor den
schlimmsten Gefahren ausgedrückt, durch die man das eigene Kind bedroht
sieht: Krankheit, Verführung, Vergewaltigung, Tod. Doch das Grauen bleibt
unbestimmt, dem Dämon fehlt jedes Attribut: er hat kein konkretes Profil und
spricht keinen konkreten Dialekt, er hat weder eine Haufarbe noch verbreitet
er einen Geruch. Sonst wäre dieses Gedicht niemals so schön und niemals so
schrecklich geworden. Dermaßen primitiv war Goethe nicht: Sein schwarzer
Mann ist nicht schwarz (aber - ein Mann).
Vordergründig will Herr Walser uns damit sagen: Der
Schriftsteller hat einen Roman geschaffen. Ängstlich beschützt er sein
Geschöpf, aber noch bevor es groß geworden ist und sich selbst behaupten
kann, wird es vom Kritiker überfallen und erledigt. Umgekehrt trachtet der
empörte Vater dem Ehrl-König nach dem Leben. Auf diese Lesart wird sich Herr
Walser zurückziehen und dabei ein ums andere Mal betonen, wie nebensächlich
und zufällig es sei, daß seine Kritikerfigur jüdischer Herkunft ist.
Energisch wie Herr Möllemann wird er seine Meinungsfreiheit behaupten als
die Freiheit Dummheiten von sich zu geben und seine Gewissensfreiheit als
die Freiheit von jeglichem Schamgefühl.
Aber im Hintergrund schreit es aus Walser heraus: der Jude
ist ein Dämon, der Dämon ist ein Jude!
Das verschlägt mir nicht die Sprache, und ich finde es weder
unglaublich noch unfassbar. Hier handelt es sich nicht um Le Pen und nicht
um Haider, nicht um Berlusconi und nicht um Fortyun, sondern um unseren
Nationalsozialismus, das Original. Wer es nicht wieder erkennt, der lügt
(sich selbst an).
Wenn Martin Walser den Versuch unternimmt, den Erlkönig
antisemitisch zu interpretieren und zu besetzen, so ist das eine infame
Dämonisierung von Marcel Reich-Ranitzky. Er appelliert an die radikalsten
antisemitischen Phantasien des Mittelalters: Juden als Verführer,
Vergewaltiger, Kindesmörder. Er gibt ein Lehrstück jenes Fanatismus, jener
haßerfüllten, von keinem vernünftigen Gedanken getrübten Besessenheit, die
der Antisemitismus tatsächlich ist. Gottseidank ist die FAZ nicht bereit,
dafür einen weiteren Preis zu verleihen.
Nun ist man gespannt, was Herr Unseld tun wird. Das Buch so
drucken? Es redigieren? Was soll aus dem Namen Ehrl-König werden, den wir
zur Kenntnis genommen und verstanden haben? Und was wird dann aus dem Namen
Suhrkamp? Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg: Aufhören.
dzw, Frankfurt
hagalil.com
03-06-2002
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