Nach einer
jüdischen Legende ruht die Welt auf den Schultern von 36 Gerechten. Wenn es
so ist, dann war der verstorbene Frankfurter Kaufmann Ignatz Bubis mit
Sicherheit einer von ihnen.
Ignatz Bubis: „Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ |
Sein Äußeres war rau
und ungestüm, er kannte keine Furcht. Das ließ ihn den Terror überleben, das
gab ihm die Kraft durchzuhalten, als seine Eltern und Geschwister von den
Nazis ermordet wurden. Doch Ignatz Bubis Seele war zart. Das machte ihn
empfänglich für die Nöte der Menschen um ihn herum.
Nach der Befreiung
erwarb Bubis in der Schmuckbranche sein Startkapital. Als Immobilienkaufmann
wurde er einer der Größten seiner Branche. Es störte ihn nicht, „Spekulant“
genannt zu werden: „Ich bin wie jeder andere Kaufmann Spekulant. Was mich
ärgert, ist aber, dass ich als jüdischer Spekulant beschimpft werde. Niemand
weiss, ob andere Kaufleute katholisch oder protestantisch sind. Bei uns
Juden weiß das jeder. Warum?“
Ignatz Bubis’ Herz und
Streben war jedoch nicht das Geld. Persönlich war er anspruchslos, er trug
Anzüge von der Stange. Ihm ging es um die Menschen. Seit Jahrzehnten war
Ignatz Bubis Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Er baute die
Gemeinde aus, schuf ein modernes Gemeindezentrum. Doch seine Leidenschaft
blieben die kleinen Leute.
1992 wurde Bubis
Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Damit fand sein Leben die endgültige
Bestimmung. Unermüdlich trat Bubis für die Verständigung von Juden und
Nichtjuden in Deutschland ein. Die Teilung – hier Juden, dort Deutsche –
schmerzte ihn. „Ich bin ein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“,
lautete sein Motto.
Ich habe Ignatz Bubis
seit Jahrzehnten gekannt. Oft haben wir gestritten, doch als ich vor Jahren
in Not geriet, hat er mir ohne zu zögern geholfen. So machte er es mit allen
Menschen. Deshalb wurde er geliebt.
Vor zwei Monaten führte
ich mit einem Kollegen das letzte große Interview mit Ignatz Bubis. Als wir
sein Büro betraten, erschraken wir. Der einst robuste Mann war ein Schatten
seiner selbst. Hohlwangig, zusammengesunken, mit schwacher Stimme. Doch sein
Geist war klar wie eh. Er war traurig, Ignatz Bubis spürte sein Ende nahen.
„Ich habe fast nichts erreicht bei der deutsch-jüdischen Versöhnung“, meinte
er resigniert. Doch im Laufe des Gespräches blühte er wieder auf. Er war
voller neuer Pläne, wollte die Versöhnung von Juden und Nichtjuden
vorantreiben. „Eine kleine Kur noch, dann werde ich mit voller Kraft weiter
machen“, hoffte er. Ich spürte, dass dies ein Wunsch bleiben würde.
„Was ist Ihr
Vermächtnis, Herr Bubis?“ fragte ich ihn.
„Lernen!“ Aufeinander
zugehen. Dieses Motto war bestimmend für sein Leben. So wird er uns im
Gedächtnis bleiben. Wir alle, Christen, Juden, Deutsche und Ausländer
sollten von Ignatz Bubis lernen. |