Zehn Schritte aus der Arbeitslosigkeit
Europa zeigt:
Einen einzigen Königsweg aus der Arbeitslosigkeit gibt es nicht.
Viele Wege führen zum Ziel.
Doch Europa zeigt auch:
Ein Jobwunder ist möglich. Dann nämlich, wenn verschiedene Maßnahmen zu
einem Gesamtkonzept gebündelt und in einem Bündnis für Arbeit verwirklicht
werden.
1. Technik nutzen - Arbeit teilen
Problem: Immer weniger Menschen können mit immer
besserer Technik immer mehr Waren und Dienstleistungen herstellen.
Gleichzeitig suchen immer mehr Menschen Erwerbsarbeit. Dies ist eine der
Hauptursachen für die wachsende Erwerbslosigkeit.
Vorschlag: Die noch vorhandene Arbeit muß gerechter auf mehr Menschen
verteilt werden: durch Arbeitszeitverkürzung. Dabei gibt es jedoch ein
Dilemma. Bei vollem Lohnausgleich sind Arbeitszeitverkürzungen sehr teuer,
Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich sind sozial oft nicht zumutbar.
Deshalb sollten alle Betriebe vom Staat Lohnkostenzuschüsse erhalten, wenn
sie die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten durchgreifend verringern - und
entsprechend registrierte Arbeitslose einstellen.
Wirkung: Mit den Zuschüssen können die Unternehmen neue Leute einstellen und
Geringverdienern zumindest einen Teil-Lohnausgleich bezahlen. So entstehen
neue Arbeitsplätze zu geringen Kosten für den Staat, weil er ohne diese
Zuschüsse die Arbeitslosen bezahlen muß.
2. Überstunden sparen - neue Jobs schaffen
Problem: Die Beschäftigten in Deutschland leisten
pro Jahr rund 1,8 Milliarden Überstunden (Bundesanstalt für Arbeit, 1998).
Rein rechnerisch entspricht dies 1,2 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen, die
den Arbeitslosen fehlen.
Vorschlag: Wann immer möglich, führen Unternehmen
Arbeitskonten für die Beschäftigten ein und vereinbaren mit ihren
Betriebsräten, daß Überstunden nur noch als Freizeit ausgeglichen werden.
Dadurch können plötzlich eingehende Aufträge flexibel bewältigt werden - in
ruhigeren Zeiten können Arbeitnehmer ihre Überstunden in Freizeit umwandeln.
Gleichzeitig setzt das Modell der beliebigen Ausweitung von Überstunden
Grenzen. Auf diese Weise entstanden zum Beispiel bei der
Thyssen-Umformtechnik in Bielefeld-Brackwede (1550 Mitarbeiter) knapp 180
neue Arbeitsplätze.
Wirkung: Arbeitszeitkonten erhöhen die Zeit-Flexibilität von Unternehmen und
Beschäftigten. Gleichzeitig begrenzen sie die Überstunden. Dies kann 300 000
bis 400 000 neue Jobs schaffen.
3. Kapital belasten - Menschen entlasten
Problem: Die Sozialversicherungen werden vor allem
durch Lohnabgaben finanziert - je zu 50 Prozent von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern. Diese Abgaben belohnen den Ersatz von Arbeitnehmern durch
Technik, weil die Unternehmen auf diese Weise Sozialbeiträge einsparen.
Außerdem belasten diese Beiträge genau die falschen Betriebe: jene nämlich,
die viele Arbeitsplätze schaffen.
Vorschlag: Die Arbeitgeber-Beiträge zu den
Sozialversicherungen werden in eine Abgabe umgewandelt, die sich an der
Leistung der Menschen und an der Leistung der Maschinen orientiert - es
handelt sich um eine Wertschöpfungsabgabe. Die Arbeitnehmerbeiträge bleiben
unverändert.
Wirkung: Arbeitsintensive Betriebe mit vielen
Beschäftigten (Dienstleistungsbetriebe, Handwerk, Kleinunternehmen) werden
von Lohnzusatzkosten entlastet. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird nicht
mehr bestraft. Gleichzeitig sind die Renten und das Gesundheitswesen auch in
einer Zukunft finanzierbar, in der die Technik immer mehr Arbeitsplätze
ersetzt.
4. Energie besteuern - Arbeitskosten senken
Problem: Einerseits ist Energie billig und wird
verschwendet - mit schwerwiegenden Folgen für die Umwelt. Andererseits ist
Arbeit teuer und wird eingespart - mit schwerwiegenden Folgen für die
Menschen.
Vorschlag: Der Staat führt eine Energiesteuer auf
fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas sowie auf den Atomstrom ein. Um
Wirtschaft und Verbraucher nicht zu überlasten, beginnt die Energiesteuer
mit einem niedrigen Satz und steigt langsam, aber stetig. Die Einnahmen aus
dieser Steuer überweist der Staat an die Renten- und
Arbeitslosenversicherung - dann können die Beiträge für die Arbeitnehmer
sinken, die Leistungen der Versicherungen bleiben garantiert.
Wirkung: Die Unternehmen reagieren auf die
steigenden Energiekosten mit einer Investitionsoffensive. Sie kaufen,
entwickeln und verkaufen Energiespartechnologien aller Art. Dies schafft
Arbeitsplätze. Gleichzeitig sinken dadurch die Arbeitskosten der gesamten
Wirtschaft - auch das ermutigt viele Betriebe zu Neueinstellungen.
5. Löcher schließen - Steuern senken
Problem: Das gegenwärtige Steuersystem ist
ungerecht. Die Lohnsteuern der Arbeitnehmer tragen immer mehr, die
Gewinnsteuern immer weniger zum Staatshaushalt bei. Nach Angaben des Bundes
der Steuerzahler wären die Steuereinnahmen um rund 150 Milliarden Mark pro
Jahr höher, wenn die zu zahlenden Einkommenssteuern auch eingezogen würden.
Vorschlag: Wir brauchen eine Steuerreform auf drei
Säulen:
Erstens müssen die sogenannten Steuerschlupflöcher
geschlossen werden. Dies gilt für die steuerliche Förderung von Beteiligung
an Schiffen und Flugzeugen ebenso wie für den unbegrenzten Abzug früherer
Verluste von künftigen Gewinnen. Dies gilt aber auch für großzügige
Abzugsmöglichkeiten, an die sich die Bürger gewöhnt haben.
Zweitens müssen alle Steuersätze sinken, wenn
Schlupflöcher geschlossen und Abzugsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Besonders wichtig ist ein höherer Grundfreibetrag und ein niedrigerer
Einstiegssatz. Beides entlastet vor allem Bezieher geringerer Einkommen.
Drittens müssen mehr Betriebsprüfer dafür sorgen,
daß die Steuern auch eingezogen werden.
Wirkung: Eine solche Steuerreform entlastet alle Steuerzahler, vor allem
aber Geringverdiener. Dies fördert Teilzeitarbeit. Gleichzeitig wächst die
Kaufkraft der Arbeitnehmer und die Investitionskraft der Unternehmen.
6. Gold verkaufen - Zukunft sichern
Problem: In traditionellen Branchen wie Kohle,
Stahl, Schiffbau, aber auch in anderen Bereichen fallen Arbeitsplätze weg.
Doch wo Altes stirbt, muß Neues wachsen.
Vorschlag: Der Staat muß und kann neue
Rahmenbedingungen für den ökologischen Umbau, den Einstieg in das
Solarzeitalter, die Förderung von Forschung und Entwicklung und die
Anwendung anderer zukunftsorientierter, aber gleichzeitig
menschenverträglicher Technologien schaffen. Dies erfordert Hilfen für die
Markteinführung erneuerbarer Energiequellen; Investitionen in ein
umweltverträgliches Verkehrssystem, in die Einsparung von Energie, die
Sanierung von Böden und in eine ökologische Landwirtschaft - und in die
Modernisierung der Wirtschaft insgesamt.
Die Finanzen für ein derartiges Zukunftsprogramm
sind vorhanden: Die Deutsche Bundesbank besitzt Goldreserven im Werte
zwischen 40 und 50 Milliarden Mark - ohne währungspolitischen Zweck.
Außerdem weist die Bundesbank jedes Jahr einen Gewinn in zweistelliger
Milliardenhöhe aus. Es wäre weit sinnvoller, dieses Kapital zur Schaffung
von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen in Zukunftsbranchen einzusetzen,
als damit Haushaltslöcher zu stopfen.
Wirkung: Da die Investitionen durch zusätzliches
Geld der Bundesbank und nicht - wie bei Steuererhöhungen - durch
Umverteilung von einer Tasche in die andere finanziert werden, steigt die
Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen. Es entsteht umweltverträgliches
Wachstum auf neuen Märkten, das dauerhafte Arbeitsplätze schafft.
7. Zinsen senken - Investoren belohnen
Problem: Obwohl die Zinsen niedrig erscheinen, sind
sie für Investoren immer noch hoch. Denn: Mit den Zinsen sank in den
vergangenen Jahren auch die Inflationsrate. Unter Abzug der Preissteigerung
sind Kredite also kaum billiger geworden. Deshalb sind Geldanlagen auf der
Bank sicherer und oft rentabler als risikoreiche produktive Investitionen.
Vorschlag: Da die Inflation so niedrig ist wie seit
Jahren nicht, kann die Bundesbank die Zinsen senken - die höhere Geldmenge
führt dann kaum zu höheren Preisen. Da die deutsche Zentralbank unabhängig
entscheidet, bleibt der Regierung nichts anderes übrig, als in dieser
Hinsicht öffentlichen Druck auf die Zentralbank auszuüben. Diesem Druck
können sich die Bundesbänker auf Dauer nicht entziehen.
Wirkung: Geringere Zinsen senken die Kosten für Investoren, die auf Kredite
angewiesen sind. Davon profitieren Unternehmen, die in neue Märkte
einsteigen wollen, weil die Gewinnaussichten hier kurzfristig gering sind.
Geringe Zinsen erhöhen die Risikobereitschaft und tragen zu Innovationen und
damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.
8. Grenzen sprengen - Arbeit anders fördern
Problem: Deutschland ist ein Entweder-Oder-Land: Man
ist Sozialfall, oder man leistet Erwerbsarbeit. Man ist entweder in
Ausbildung oder in Erwerb. Man ist entweder im Ruhestand oder in Arbeit.
Dadurch bleiben Chancen für mehr Arbeitsplätze ungenutzt.
Vorschlag: Eine gezielte Arbeitsmarktpolitik kann
die Grenzen zwischen verschiedenen Arbeits- und Lebensbereichen
durchlässiger machen:
- Sozialhilfeempfänger können einen Teil ihrer
Sozialhilfe als Zuschuß erhalten, wenn sie eine niedriger bezahlte Arbeit
oder einen Teilzeitjob annehmen. Wer gering entlohnte Jobs annimmt, wird
belohnt.
- Zuschüsse können junge Eltern, vor allem Väter,
motivieren, Erwerbs- und Familienarbeit durch Teilzeitstellen zu
kombinieren. Dann werden Arbeitsstunden frei.
- Wie in Dänemark kann das Arbeitsamt Fortbildung
nach dem Muster der Job-Rotation finanzieren: Arbeitnehmer können dann
sechs, acht oder zwölf Monate aus ihren Job aussteigen - auf Staatskosten.
Der Job wird ihnen garantiert, aber während der Fortbildungszeit von einem
anderen Arbeitnehmer besetzt.
- Wie in Irland werden Langzeitarbeitslose sozial
betreut und auf Teilzeitbasis wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt -
dann wachsen ihre Chancen auf Arbeitsplätze.
Wirkung: Über eine Million Arbeitsplätze können
entstehen, wenn die Grenzen zwischen Sozialpolitik, Ausbildungssystem,
Erwerbs- und Familienarbeit durchlässiger werden. Dies hat Professor Günther
Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin errechnet.
9. Lehrstellen schaffen - besser qualifizieren
Problem: Periodisch fehlen in Deutschland
Hunderttausende von Lehrstellen, weil nur jeder dritte Betrieb ausbildet.
Dies gefährdet die Zukunft der Kinder - und der Wirtschaft.
Vorschlag: Wenn Appelle an die soziale Veranwortung
der Unternehmen nicht helfen, müssen finanzielle Regelungen her. Wie dies
geht, das zeigt die Bauindustrie: Alle Arbeitgeber zahlen 2,8 Prozent ihrer
Bruttolohnsumme als Ausbildungsbeitrag in einen Fonds. Aus diesem Fonds wird
den Betrieben ein Großteil der Ausbildungskosten erstattet. Außerdem
erhalten die Unternehmen aus dem Fonds einen Zuschuß von 16 Prozent für die
Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Dieses Bündnis für Ausbildung ist
ein Modell für ganz Deutschland.
Zusätzlich muß das Arbeitsamt für eine ständige
Qualifizierung arbeitsloser Jugendlicher sorgen - auch mit Anreiz und Druck
wie in Dänemark: Dort müssen die arbeitslosen Jugendlichen entweder eine
angebotene Stelle, einen angebotenen Ausbildungsplatz annehmen oder sich
schulisch weiterbilden. Ansonsten verlieren sie einen Teil ihres
Arbeitslosengeldes.
Wirkung: Das Bündnis für Ausbildung beteiligt alle
Unternehmen an den Kosten für eine qualifizierte Ausbildung der
Jugendlichen. Dadurch wächst die Zahl der Lehrstellen. Wenn genügend
Arbeitsstellen und Ausbildungsplätze vorhanden sind, ist auch eine
Zwangsverpflichtung arbeitsloser Jugendlicher akzeptabel.
10. Euro nutzen - an neue Jobs koppeln
Problem: Die Einführung des Euro ist nur an
geldpolitische Bedingungen gekoppelt: geringe Inflation, geringe Zinsen,
geringe Staatsschulden. Um diese Ziele zu erreichen, sparen die
Teilnahmeländer der Europäischen Währungsunion auf Kosten der Arbeitslosen.
In ganz Europa wächst die Erwerbslosigkeit.
Vorschlag: Die Mitgliedsländer der Währungsunion
vereinbaren, die geldpolitischen Bedingungen für den Euro - geringe
Inflation, geringe Staatsschulden, geringe Zinsen - um eine weitere
Bedingung zu ergänzen: nämlich eine Arbeitslosenquote von höchstens fünf
Prozent. Dadurch sind die Regierungen gezwungen, nicht ihre gesamte
Wirtschaftspolitik ausschließlich auf einen stabilen Geldwert zu
konzentrieren. Mindestens ebenso wichtig für die Euro-Qualifikation ist nun
eine Politik zur Senkung der Arbeitslosigkeit.
Wirkung: Die Regierungen sorgen nun für Maßnahmen
zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, ohne den Geldwert zu gefährden: zum
Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten, durch die Förderung von Teilzeitarbeit
oder Sonderprogramme für Langzeitarbeitslose. Der Euro wird dadurch nicht
nur zum Symbol für eine Kapital-Union Europa, sondern auch für die
Sozial-Union Europa.
Bürgergeld für alle - Arbeit und Einkommen teilen
Wenn die Technik in Zukunft immer mehr Erwerbsarbeit
ersetzt, dann droht die soziale Apartheid:
Immer mehr Erwerbslose und Stundenjobber stehen immer weniger
Arbeitsplatz-Besitzern gegenüber.
Spätestens dann braucht die Arbeitsgesellschaft ein neues Fundament: eine
Grundsicherung ohne Arbeit.
Das Modell
Wenn allen Menschen eine Zukunftsperpektive geboten werden soll, dann muß
man ein Tabu brechen: jenes nämlich, daß nur ein Einkommen erzielt, wer
erwerbstätig ist. Notwendig ist ein Instrument, das die Menschen sozial
absichert, wenn der Gesellschaft langsam die Erwerbsarbeit ausgeht. Und
dieses Instrument gibt es. Es heißt »Bürgergeld für alle«.
Die Idee ist denkbar einfach: Alle Bürger haben ein Recht auf ein
Bürgergeld, das vom Finanzamt bezahlt wird - deshalb heißt dieses Bürgergeld
auch »negative Einkommenssteuer« (die Steuer, die Erwerbstätige heute an den
Staat zahlen, gilt danach als »positive« Einkommenssteuer). Dieses
Bürgergeld, zum Beispiel monatlich 1200 Mark, ersetzt praktisch alle
Sozialleistungen, außer ganz speziellen wie Wohngeld oder besondere
Pflegeleistungen. Keinen Einfluß hat diese Veränderung auf
Versicherungsleistungen: Renten und Arbeitslosengeld erhält nur, wer
Beiträge bezahlt hat - ansonsten gibt es nur das Bürgergeld.
Dieses Bürgergeld in Form einer »negativen Einkommenssteuer« wird mit dem
Erwerbseinkommen einer Person verrechnet - aus zwei Gründen: Erstens stellt
dies sicher, daß Gutverdiener weniger oder kein Bürgergeld erhalten.
Zweitens erhalten dann zwar alle Menschen ohne Erwerbstätigkeit ein
Einkommen - das Einkommen von Erwerbstätigen ist jedoch immer höher als
jenes von Nichterwerbstätigen. Nur so bleibt der Anreiz zu Erwerbsarbeit
erhalten.
Das Bürgergeld sichert alle Menschen sozial nach unten ab und hilft vor
allem jenen, die kein Erwerbseinkommen haben oder unterdurchschnittlich
verdienen.
Die Wirkung
Folgende Beispiele zeigen, wie sich das Bürgergeld auswirkt. Unterstellt
wird dreierlei:
l Das Bürgergeld für eine erwachsene Person beläuft sich auf 1200 Mark
monatlich.
l Das Bürgergeld für ein Kind beträgt 300 Mark monatlich.
l Das Nettoeinkommen einer Person wird zur Hälfte mit dem Bürgergeld
verrechnet.
Dann lassen sich folgende Fälle denken:
1. Eine alleinerziehende Mutter mit kleiner Tochter kann keine Erwerbsarbeit
annehmen. Sie erhält dann vom Finanzamt 1200 Mark pro Monat für sich und 300
Mark pro Kind - plus eventuell Wohngeld.
2. Ein alleinerziehender Vater mit schulpflichtigem Sohn tritt eine
Teilzeitstelle an, die ihm 1200 Mark netto pro Monat einbringt. Er hat
Anspruch auf ein Bürgergeld von 1500 Mark (1200 für sich und 300 Mark für
seinen Sohn). Gleichzeitig wird die Hälfte seines Nettoeinkommens - das sind
600 Mark - vom Bürgergeld abgezogen: Er erhält noch 900 Mark vom Finanzamt.
Sein gesamtes Einkommen beträgt 2100 Mark (1200 Mark Nettogehalt plus 900
Mark Bürgergeld.)
3. Eine kinderlose, ledige Lehrerin verdient netto 2400 Mark. Ihr Anspruch
auf Bürgergeld von 1200 Mark wird mit der Hälfte des Nettoeinkommens - das
sind 1200 Mark - verrechnet. Sie erhält kein Geld mehr vom Finanzamt, weil
sie über der Verdienstgrenze liegt.
Diese Beispiele zeigen: Das Bürgergeld sichert Menschen ohne Erwerbsarbeit,
Geringverdienende und Kinderreiche ab. Gleichzeitig enthält dieses Modell
einen Anreiz zu Erwerbsarbeit, da Erwerbstätige (auch mit wenigen Stunden
pro Woche) immer mehr verdienen als Nichterwerbstätige.
Die Finanzierung
Natürlich fragen alle: Was wird die Utopie kosten? Die Antwort ist: Bestimmt
nicht so viel, wie viele glauben. Der Grund liegt darin, daß zunächst einmal
große Einsparungen ermöglicht werden: Ein großer Teil der Sozialhilfe,
Arbeitslosenhilfe, Bafög, Erziehungsgeld und viele andere Sozialleistungen
werden durch das Bürgergeld ersetzt. Dazu kommen hohe Einsparungen in der
Sozialbürokratie. Denn: Es wird nicht mehr 40 Behörden geben, die für 90
verschiedene Sozialleistungen zuständig sind - wie heute. Außerdem
konzentrieren sich die finanziellen Leistungen des Staates auf eine Behörde,
das Finanzamt - dies erhöht die Effektivität und vermindert Mißbrauch. Geht
man ferner davon aus, daß das Bürgergeld die Arbeitslosigkeit entscheidend
verringert und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen steigert, dann
geht zum Beispiel Joachim Mitschke, Professor für Volkswirtschaft an der
Universität Frankfurt, davon aus, daß das Bürgergeld »haushaltsneutral«,
also ohne zusätzliche Kosten, eingeführt werden kann.
Dazu kommen jedoch finanzielle Reserven, die heute noch tabuisiert werden.
Wenn nämlich Arbeitsplätze durch Technik ersetzt werden, dann spaltet sich
die Gesellschaft endgültig: Produktivkapital und Vermögen wachsen schnell,
während ein zunehmender Teil der Gesellschaft verarmt. Dann steht die
Demokratie vor einer entscheidenden Weichenstellung: Entweder sie schafft
es, die verarmende Bevölkerung am wachsenden Produktivvermögen zu beteiligen
- oder es droht eine soziale Konfrontation. Das Bürgergeld ist ein wichtiges
Instrument für die notwendige Verteilungsgerechtigkeit.
Visionen für die
Arbeitsgesellschaft von morgen
Das Bürgergeld ist die Grundlage für die Vision von einer humanen
Arbeitsgesellschaft der Zukunft:
Das Teilen von Arbeit und Einkommen ist jetzt möglich. Die traditionelle
Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann fällt. Erwerbsarbeit wird mit anderen
Formen von Arbeit - Bürgerarbeit und Familienarbeit - verzahnt.
1.Partnerschaftliche Arbeitsteilung
Das Bürgergeld ist eine Möglichkeit, um Tätigkeiten zu bezahlen, die heute
vor allem von Frauen ehrenamtlich geleistet werden: in erster Linie
Kindererziehung oder häusliche Pflege. Sie werden zwar nicht direkt bezahlt,
aber über den Anspruch auf Bürgergeld materiell entschädigt. Damit ist die
Diskriminierung von Personen, die ihre Erwerbsarbeit für eine gewisse Zeit
unterbrechen, um Kinder zu betreuen oder ältere Menschen, noch nicht
beseitigt. Sie sind nach wie vor schlechter gestellt als
Vollzeit-Erwerbstätige. Die Situation von Vollzeit-Familienarbeitern ist
jedoch mit Bürgergeld erheblich besser als heute: Sie erhalten mehr Geld und
sind auch im Alter abgesichert, weil sie auch dann auf das Bürgergeld zählen
können.
Noch viel wichtiger ist jedoch, daß das Bürgergeld die partnerschaftliche
Teilhabe von Frau und Mann an Erwerbs- und Familienarbeit erleichtert. Denn:
Es ist nun finanziell viel einfacher, weniger Erwerbsarbeit zu leisten, weil
die finanziellen Verluste viel geringer sind als heute. Das Bürgergeld
gleicht bei geringeren Einkommen die finanziellen Nachteile wenigstens zu
einem Teil aus. Familien, in denen beide Partner je 25 Stunden arbeiten,
können dann ihren Lebensunterhalt finanzieren - und das Zusammenleben mit
Kindern muß nicht wie heute unter der Abwesenheit der Eltern, vor allem der
Väter, leiden.
2. Arbeit teilen statt Gesellschaft spalten
Das Bürgergeld beseitigt das entscheidende Dilemma, das weitreichende
Arbeitszeit-verkürzungen bisher verhindert: Mit vollem Lohnausgleich sind
Arbeitszeitverkürzungen teuer. Wer seine Arbeitszeit jedoch ohne
Lohnausgleich auf 20, 25 oder 30 Wochenstunden reduziert, büßt viel
Nettoeinkommen ein. Mit Hilfe eines Bürgergeldes verlieren diese
Arbeitnehmer dann netto weniger an Einkommen als heute. Das Bürgergeld
leistet deshalb einen erheblichen Beitrag zur Verringerung der
Arbeitslosigkeit. Damit bietet das Bürgergeld die soziale Grundlage, um
Arbeit und Einkommen in der Gesellschaft zu teilen, statt - wie heute - die
Gesellschaft in Gewinner und Verlierer zu spalten.
3. Abschied von der Vollerwerbs-Biographie
Das gegenwärtige Sozialsystem geht im Prinzip von einer Biographie aus, die
45 Jahre Vollerwerbstätigkeit vorsieht - sie ist auf das Prinzip des
männlichen Ernährers zugeschnitten. Doch die Menschen von heute leben
anders: Sie machen eine Ausbildung oder studieren, um dann in die
Erwerbsarbeit einzusteigen. Später kommt bei vielen eine Familienphase, um
danach wieder, vielleicht nach einer erneuten Aus- oder Weiterbildung, in
den Beruf einzusteigen. Immer mehr Menschen - Frauen und Männer - leben
nicht mehr nach der Vollerwerbsbiographie, auf die die gegenwärtige
Arbeitsgesellschaft in all ihren Facetten setzt - oder sie werden durch
Arbeitslosigkeit aus dieser Biographie herausgeworfen.
Das Bürgergeld bietet genau jene lebenslange soziale Absicherung, die nach
einer Auflösung des Vollerwerbsmodells notwendig wird. Dadurch wird die
Mauer zwischen Erwerbsarbeit, Familienarbeit und ehrenamtlicher Arbeit
durchlässiger - dies erleichtert es Frauen und vor allem Männern,
gleichberechtigte Anteile in all diesen Bereichen zu übernehmen. Die
Menschen können Erwerbsarbeit, Engagement und Familienarbeit in jeder
Lebensphase so miteinander verzahnen, wie sie dies für richtig halten.
4. Gesellschaft ohne Armut
Das Bürgergeld sichert alle Menschen - ohne Rechtfertigungszwang und
bürokratische Mühlen - gegen finanziell schwierige Phasen ab. Menschen, die
nur das Grundeinkommen beziehen, werden zwar nicht reich, doch sie können
auf diese Basis zählen - in jedem Lebensalter. Gleichzeitig können sie sich
ohne bürokratische Hindernisse zu ihrem Bürgergeld noch Erwerbseinkommen
hinzuzuverdienen. Dadurch werden auch schlecht bezahlte Jobs besetzt, weil
das Bürgergeld die Einkommen aus Billig-Jobs nach oben subventioniert. Wenn
Unternehmen allerdings zu geringe Löhne oder zu schlechte Arbeitsbedingungen
anbieten, dann kann es sehr gut sein, daß sie dafür keine Arbeitskräfte
finden, da Erwerbslose durch Bürgergeld abgesichert sind. Dann müssen die
Arbeitgeber die Löhne erhöhen oder die Arbeitsbedingungen verbessern. Es
entsteht eine flexible Arbeitsgesellschaft, die - im Gegensatz zum
hochgelobten Modell der USA - ohne das Damoklesschwert der Armut auskommt.
5. Gesellschaft ohne Existenz-Angst
Viele Menschen haben Angst um ihre Arbeitsplätze, um die Umwelt, um ihre
Rente, um ihre Kinder und Enkel. Die Erwerbstätigen stehen unter erheblichem
Konkurrenzdruck, werden täglich gegen Kolleginnen und Kollegen ausgespielt
und müssen jeden Tag Höchstleistungen aus sich herausquetschen, um ihren
Arbeitsplatz zu erhalten: Kinder, Alter, Solidarität und Freundschaften sind
nicht erwünscht. Hinzu kommt, daß sich viele Erwerbstätige nicht mit den
Produktionszielen ihrer Unternehmen identifizieren. Ihr Motto lautet:
Hauptsache Arbeit. Generell empfinden sich viele Menschen als Rädchen in
einem anonymen Großgetriebe, das sie auszuspucken droht, wenn sie nicht mehr
gebraucht werden. Dies ist eine der Ursachen für die zunehmende soziale
Kälte.
Das Bürgergeld wird vielen Menschen nicht zum Lebensunterhalt reichen.
Dennoch schafft es ein Gefühl von Sicherheit, von Unabhängigkeit. Man ist
dem Getriebe nicht mehr ganz so sehr ausgeliefert. Dies ist ein Schritt zu
einer humaneren Gesellschaft, in der die Menschen mehr Kreativität und
Phantasie ausleben können als heute.
Initiativen gegen Arbeitslosigkeit
Arbeitslose
machen mobil
An jedem 5. eines Monats werden Erwerbslose künftig vor den Arbeitsämtern in
Deutschland auf ihre Situation aufmerksam machen. Damit wollen die
Arbeitslosen gegen zahlreiche diskriminierende Gesetzesänderungen und gegen
die Untätigkeit der Politik protestieren. Drei Forderungen enthält der
Aufruf der Arbeitslosen-Initiativen:
l »Das Arbeitsförderungsgesetz diszipliniert Arbeitslose und fördert
schlecht bezahlte Arbeit. Weg mit Meldepflicht und Bewerbungszwang, das
schafft keinen einzigen Arbeitsplatz. Wir brauchen eine aktive Arbeitsmarkt-
und Beschäftigungspolitik und existenzsichernde Löhne.
lVon Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe oder miesen Jobs an der
Sozialhilfegrenze kann man nicht menschenwürdig leben. Wir brauchen eine
ausreichende soziale Absicherung.
l Wir brauchen deutlich kürzere und keine verlängerten Arbeitszeiten, wie
die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sie fordern.«
Informationen: Koordinierungsstelle
gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen,
DGB-Haus, Marktstraße 10, 33602 Bielefeld,
Tel. 0521/179922/ Fax: 0521/179930
Aachen: Breites Bündnis gegen Arbeitslosigkeit
»Wie kann es sein, daß wir in Deutschland sechs bis sieben Millionen
Arbeitslose haben und eine Grabesruhe herrscht?« Diese Frage will ein
breites Bündnis von Arbeitslosen, Gewerkschaften und kirchlichen Gruppen in
Aachen im Wahljahr ständig neu stellen. An möglichst vielen Aktionstagen
will man über die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit diskutieren und
entsprechende Maßnahmen bei den Verantwortlichen einfordern. Dem Bündnis
haben sich folgende Organisationen und Gruppen angeschlossen:
Pfarrgemeinderat St. Elisabeth, Arbeitslosenzentrum Alte Kaplanei,
Katholische Arbeitnehmerbewegung, Christliche Arbeiterjugend, Deutscher
Gewerkschaftsbund, Dachverband der Arbeitsloseninitiativen, Pro Arbeit,
Bongo-Initiative, Zentrum für Arbeitssuchende und das Arbeitslosenzentrum
AHA.
Kontakt: Arbeitslosenzentrum Alte Kaplanei,
Tel. 0241/532564 oder 512005
Evangelische Akademiker
gegen Arbeitslosigkeit
In einer Erklärung wendet sich der Landesverband Baden-Württemberg der
Evangelischen Akademikerschaft gegen die Tatenlosigkeit in Sachen
Arbeitslosigkeit. Die Akademiker berufen sich auf das Sozialwort der Kirchen
und verlangen eine gerechte »Verteilung der Rechte und Pflichten, die mit
dem Faktor Arbeit verbunden sind, auf alle Bürger«, »ein Steuer- und
Abgabensystem, das alle Bevölkerungsgruppen und alle Einkunftsarten
gleichermaßen belastet«, eine »Stärkung der Sozialpflichtigkeit des
Eigentums« und die »Förderung aller Technologien«, die »unsere Umwelt
schützen«.
Kontakt: Evangelische Akademikerschaft, Kniebisstraße 29, 70188 Stuttgart
Europäischer Aufruf
für Vollbeschäftigung
»Vollbeschäftigung ist möglich - aber es kann nicht um eine Rückkehr zum
Modell des männlichen Familienernährers geh en, der 40
Stunden in der Woche arbeitet.« So lautet die zentrale Zielsetzung des
Europäischen Aufrufs für Vollbeschäftigung, den 700 Abgeordnete aus
verschiedenen Parlamenten in der Europäischen Union entwarfen und der
inzwischen von vielen Parteien und Organisationen aus dem rot-grünen
Spektrum getragen wird. Der Aufruf fordert eine Vollbeschäftigungspolitik
auf europäischer Ebene und will alle «Aktionsformen und
Beschäftigungsinitiativen ermutigen, der Misere der Arbeitslosigkeit ein
Ende zu setzen.«
Kontakt: Büro Frieder O. Wolf, Boppstr. 7, 10967 Berlin. Tel.030/69409710.
Fax: 030/690 385 11
Bündnisse für ein sozial
gerechtes Europa
Kairos Europa, ein Zusammenschluß von christlichen Basisgruppen, arbeitet an
einem europäischen Kairos-Dokument, das Grundlagen für eine neue
Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union legen soll: Weg von der
globalen Machtkonzentration der Kapitalakteure, weg von dem Austricksen der
Arbeitenden, weg von der Steuervermeidung und Wirtschaftskriminalität, weg
von der erzwungenen Migration, weg von der neoliberalen Politik der
Deregulierung, des Sozialabbaus und der Entdemokratisierung, weg von der
Ökonomie als Glaubenssystem, weg von unserem eigenen Streben nach Konsum,
Reichtum und (patriarchaler) Macht - hin zu einem sozial gerechten,
lebensfreundlichen und demokratischen Europa.
Kontakt: Kairos Europa, Hegenichstraße 22, 69124 Heidelberg. Tel.
06221/712610.
Fax: 06221/781183
Monika Nöth
Engel der Arbeitslosen
Sie hat selbst die Höhen und Tiefen eines Lebens durchgemacht. Zunächst
stieg sie von der Schreibkraft zur Chef-Sekretärin auf, dann aufgrund der
Pleite ihrer Firma zur Arbeitslosigkeit hinab: Die Rede ist von der
42jährigen Monika Nöth aus Würzburg. Inzwischen wurde sie im Sozialreferat
des Landratsamtes Würzburg zum »Engel der Arbeitslosen«. Dort brachte sie
222 Sozialhilfeempfänger in einem Jahr in Lohn und Brot - und dies mit
einmaligem Engagement. Persönlich klappert sie mögliche Arbeitgeber ab - ihr
Spektrum reicht von Kneipen über Fabriken bis zu Büros aller Art. Dort
spricht sie mit den Chefs, sagt ihnen, was sie will und wen sie ihnen bieten
kann. Gleichzeitig hilft sie den Arbeitslosen, Bewerbungsschreiben zu
formulieren, bereitet sie auf Vorstellungsgespräche - oft begleitet sie ihre
»Schützlinge« zu diesen Gesprächen. Ihr Engagement hat Erfolg. »Erst vor
kurzem meldete sich ein Geschäftsmann, der seit einem Jahr über das
Arbeitsamt vergeblich jemand gesucht hatte. Am nächsten Tag habe ich ihm
jemand vermittelt.« Auf diese Weise gelang es ihr auch, einen Mann ins
Berufsleben zu integrieren, der seit 15 Jahren Sozialhilfe bezog. »Dies und
die Tatsache, daß fast alle 222 Menschen dauerhaft in Arbeit blieben, macht
mich stolz«, freut sich Monika Nöth. Ihre Arbeit zeigt, was eine
Arbeitsvermittlung leisten könnte, wenn ihr bürokratischer Aufwand geringer
und ihr persönliches Engagement für die betroffenen Menschen größer wäre.
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Dezember 2013 |