Mit
dem Ende der NS-Herrschaft im Mai 1945 schien auch die jüdische Geschichte
in Deutschland definitiv beendet. Aber bereits 1945/46 kam es in mehr als 60
Städten Ost- und West-deutschlands zur Neugründung jüdischer Gemeinden.
Deutsche Politik im Spannungsfeld:
Zwischen Antisemitismus und "Wiedergutmachung"
Im dritten Teil eines Sammelbands, der auf
eine Tagung des Moses Mendelssohn Zentrums in Potsdam zurückgeht,
herausgegeben von
Professor Dr.
Julius H. Schoeps, legt Werner Bergmann
dar, inwiefern der Antisemitismus in allen Besatzungszonen nach einem kurzen
"Innehalten" 1946 wieder stark hervortritt.
Zwar gab es in der Bundesrepublik keinen
staatlich sanktionierten Antisemitismus wie in der DDR, doch zeigen
Untersuchungen über die inkonsequente Haltung im Kampf gegen den
Antisemitismus zahlreicher westdeutscher Politiker ein ebenfalls
erschreckendes Bild.
Im dritten Teil des vorliegenden Bandes mit
dem Titel "Deutsche Politik im Spannungsfeld zwischen Antisemitismus und
'Wiedergutmachung"' legt Werner Bergmann dar, inwiefern der
Antisemitismus in allen Besatzungszonen nach einem kurzen "Innehalten" 1946
wieder stark hervortritt. Seine Erscheinungsformen und politische
Instrumentalisierung waren in beiden deutschen Staaten primär von der
Haltung der jeweiligen Besatzungsmacht, dem Systemtyp und später vom
Ost-West-Konflikt bestimmt.
Während die DDR sich weigerte,
"Wiedergutmachungsleistungen" zu zahlen und die jüdischen Gemeinden unter
politischen Druck setzte, traten im Westen die politischen Parteien dem
verbreiteten Antisemitismus mit Nachsicht entgegen, so daß er sich in
bürokratischer Sabotage, Friedhofsschändungen und öffentlichen Schmähungen
äußern konnte.
Nach Wolfgang Kraushaar ist in kaum
einem anderen Vorgang das Verhältnis der Nachkriegsdeutschen zu den
jüdischen Überlebenden deutlicher vor Augen getreten als in der sich zu
Beginn der fünfziger Jahre abspielenden "Affäre Auerbach". Philipp Auerbach,
jüdischer KZ-Überlebender, wurde 1951 wegen angeblicher finanzieller
Unregelmäßigkeiten seines Amtes als bayerischer Staatskommissar für die
NS-Verfolgten enthoben, verhaftet und verurteilt. Die gegen Auerbach
erhobenen Vorwürfe gipfelten in der Bezeichnung, er sei ein "Cäsar der
Wiedergutmachung" gewesen. In der Tat, so
Constantin Goschler, spielte die sog. "Wiedergutmachung"
nationalsozialistischen Unrechts nach 1945 eine zentrale Rolle für die
Entwicklung des Verhältnisses zwischen Juden und deutscher
Nachkriegsgesellschaft. Dabei spiegeln sich an der Auseinandersetzung um die
Entschädigung und Rückerstattung vor allem die Veränderungen in der Haltung
der beiden deutschen Gesellschaften gegenüber den Juden. Darüber hinaus fand
der Streit um die Legitimität eines Neuanfangs jüdischen Lebens auf
deutschem Boden nach der Schoah im Bereich der "Wiedergutmachung" seinen
materiellen Ausdruck.
Für einen Neuanfang engagierten sich auch die
drei Bundestagsabgeordneten jüdischer Herkunft, Jeanette Wolff, Jakob
Altmaier und Peter Blachstein, wie Willy Albrecht anhand ihrer
Biographien aufzeigt. Selbst Opfer von Deportation, KZ oder Exil, setzten
sie sie sich in besonderer Weise für eine Verbesserung der sozialen Lage der
NS-Opfer, für den Kampf gegen den Antisemitismus und für die Beziehungen
zwischen Israel und der Bundesrepublik ein.
Die Ambivalenz deutscher Bemühungen um eine
"Wiedergutmachung" zeigen nach Josef Foschepoth
auch die Anfänge der "Gesellschaf ten für christlich-jüdische
Zusammenarbeit". Der Dialog zwischen Christen und Juden sollte in erster
Linie der Rehabilitierung der Deutschen dienen, während eine vertiefte
Auseinandersetzung mit religiösen, politischen und gesellschaftlichen
Gründen, die zum Mord an den europäischen Juden führten, nicht stattfand.
Damit verbunden ist auch das im Zusammenhang
mit dem Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland aufkommende
Phänomen des "Philosemitismus", das in hohem Maße von gesellschaftlichen
Tabus und Verzerrungen geprägt ist, so die These im Beitrag von Yael
Kupferberg. Staatlicherseits wurden die jüdische Minderheit und eine
philosemitsche Haltung auch dafür benutzt, eine positive Kontinuität
zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik aufzuzeigen, die
letzterer auch erlauben sollte, wieder als gleichberechtigter Partner auf
dem internationalen Parkett auftreten zu können.
Debatte
um die Rückkehr nach Deutschland
Julius H. Schoeps (Hg.)
Leben im
Land der Täter
Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland (1945-1952)
Sifria. Wissenschaftliche Bibliothek 4, Pb., ca. 320 Seiten, Format: 14,5 x
22 cm, Preis Euro[D] 34,-, ISBN 3-934658-17-2
Mit Beiträgen von Werner Bergmann, Y. Michael Bodemann, Josef Foschepoth,
Angelika Königseder, Wolfgang Kraushaar, Ina S. Lorenz, Lothar Mertens,
Ulrike Offenberg, Julius H. Schoeps, Juliane Wetzel, u.a...
Vor 51 Jahren in Frankfurt am Main gegründet:
Zentralrat
der Juden in Deutschland
Als sich im Juli 1950 Vertreter jüdischer Gemeinden aller
vier Besatzungszonen in Frankfurt versammelten, um eine Dachorganisation der
Juden in Deutschland zu gründen, war dies - fünf Jahre nach dem Ende der
Schoa - alles andere als eine Selbstverständlichkeit...