NACH EINER REDE VON RABBINER M.
MELCHIOR, STELLVERTRETENDER ISRAELISCHER AUSSENMINISTER, VOR DEM
DIPLOMATISCHEN KORPS. ANWESEND WAR AUCH DER DIREKTOR DER
ANTIDIFFAMIERUNGSLIGA (ADL) ABE FOXMAN. Jerusalem, 25. Juli 2001 -
Anlässlich der Vorbereitungen zur
UN-Konferenz gegen Rassismus.
Der Staat Israel
und der Antisemitismus
Der Staat Israel hat als Staat des jüdischen Volkes eine
besondere Verpflichtung gegenüber dem Weltjudentum, der Geschichte des
jüdischen Volkes, seiner eigenen Zukunft und auch gegenüber der
Menschheit, über das älteste Vorurteil zu sprechen, das Vorurteil, das
von allen Vorurteilen das bösartigste ist – den Antisemitismus, den wir
während der letzten mindestens 2.500 Jahre schon in so vielen
Verkleidungen gesehen haben.
Antisemitismus im Wandel der Zeit
Wenn ich über die Verkleidungen spreche, ist es
interessant, die Entwicklung des Antisemitismus zu verfolgen und zu
sehen, dass in jedem Zeitalter, in jedem Zeitabschnitt der
Antisemitismus auf verschiedene Weise zum Ausdruck gekommen ist, aber
das zentrale Motiv – der Hass auf Juden – ist immer dasselbe gewesen. Es
wurde stets so dargestellt, dass der Identitätsmittelpunkt der Menschen
zur jeweiligen Zeit angesprochen wurde.
In den Zeiten, in denen das Christentum die Quelle der
Legitimation war, gab es den christlichen Antisemitismus, der sich darin
widerspiegelte, den Juden als Antichristen zu betrachten oder als
denjenigen, der verantwortlich war für die Kreuzigung von Jesus, und das
war das zentrale Motiv des Antisemitismus jener Zeit. Es gab andere
Zeiten, zu denen die Menschen weniger an die Religion glaubten und das
zentrale Motiv der Jude als religiöse Person war, während die Welt um
ihn herum aus Agnostikern oder Atheisten bestand. Es gab Zeiten, zu
denen der Nationalismus das wesentliche Identitätsmotiv war und die
Juden diejenigen waren, die nicht nationalistisch waren, die
kosmopolitisch waren. Und auf der anderen Seite gab es Zeiten, als der
Internationalismus das Codewort der Identität war und die Juden die
Nationalisten waren und nicht diejenigen, die an den Internationalismus
glaubten.
Auf diese Weise kann man von Gesellschaft zu
Gesellschaft gehen und sehen, wie die Identität dieser Gesellschaft
aussah und wie sie ihren Hass auf das jüdische Volk dargestellt hat. Es
gab Zeiten der rassistischen Diskriminierung, wie zum Beispiel die Zeit
der Nazis. Es gab Zeiten und Länder, in denen es überhaupt keine Juden
gab, aber in diesen Ländern war der Antisemitismus häufig anzutreffen.
Es gab Länder mit einem sehr hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, in
denen der Antisemitismus stark vertreten war. Jean Paul Sartre, der
berühmte französische Philosoph, kam, nachdem er all die verschiedenen
Gründe für den Antisemitismus untersucht hat – die psychologischen, die
soziologischen Gründe usw., all das, was in sämtlichen Zeitaltern der
Fall war – am Ende zu dem Schluss, dass der Antisemitismus etwas
Erklärbares sei, und er erläuterte es einfach als ein metaphysisches
Phänomen der Menschheit.
Leider ist das, was ich Ihnen heute erzählen will, eine
Situation, die heute offenkundig ist, in der wir den Antisemitismus in
allen verschiedenen Aspekten durch alle Zeiten der Geschichte hindurch
heute in einer neuen, bösartigen Form ausgedrückt sehen, die sich seit
Beginn der Intifada im letzten Jahr sehr verstärkt hat. Ich denke, wir
müssen dies auf normale Weise zur Kenntnis nehmen, aber auch
dementsprechend handeln.
Ich will hier ein paar der ernstesten Erscheinungen
beschreiben, die ich in dieser Situation sehe, und wie diese mit der
anstehenden Konferenz gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit in Durban, Südafrika, zusammenhängen.
Was mich am meisten nervös macht, ist das, was heute in
der arabischen Welt geschieht. Ich muss Ihnen sagen, dass der arabische
Antisemitismus, der moslemische Antisemitismus sich meines Erachtens
traditionell sehr stark vom europäischen Antisemitismus unterscheidet.
Juden waren in moslemischen Ländern wie Christen tolerierte Minderheiten
und wir haben beinahe durch die ganze Geschichte hindurch keinen
Antisemitismus der traditionellen Art erlebt, wie er in erster Linie in
Europa zu finden war. In den moslemischen und arabischen Ländern der
arabischen Welt gab es nicht viele Formen dieser Art des Antisemitismus.
Natürlich gibt es ganz bekannte Ausnahmen und Ausdrucksformen von
Antisemitismus und Massakern gegen Juden, aber das war nicht die
traditionelle Tagesordnung der moslemischen Welt. Das gilt auch für die
letzten 50 Jahre. Ich denke, wenn mich irgendjemand letztes Jahr gefragt
hätte, ob es der Antisemitismus in den arabischen Ländern weit
verbreitet sei, hätte ich geantwortet: „Nein, überhaupt nicht.“
Arabischer Antisemitismus
Ich möchte eine Unterscheidung zwischen dem
Antisemitismus und dem Teil eines politischen Konflikts zwischen den
arabischen Ländern und dem Staat Israel treffen. Es handelt sich um
einen politischen Konflikt, wegen dem ich persönlich in die Politik
gegangen bin, um ihn - leider ohne großen Erfolg - zu beenden. Aber wir
werden nicht aufgeben, um diesem Konflikt ein Ende zu setzen. Aber
Israel zu kritisieren, die israelische Regierung zu kritisieren, wird
nicht, wurde nicht und darf niemals als Antisemitismus bezeichnet
werden.
Es ist absolut legitim, die israelische Regierung zu
kritisieren, genauso wie man die ägyptische Regierung, die amerikanische
Regierung oder sogar die norwegische Regierung kritisiert. Jede
Regierung kann kritisiert werden, und die Kritik an der israelische
Regierung ist eine Aufgabe, der ich persönlich seit vielen Jahre
nachgehe. Es ist in meiner derzeitigen Position etwas schwieriger, aber
es ist innerhalb eines demokratischen Rahmens absolut legitim,
Regierungen zu kritisieren. Selbst scharfe Kritik und harte Worte haben
nichts mit Antisemitismus zu tun. Wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn
es darum geht, Personen, Dinge oder Erklärungen als antisemitisch
abzustempeln.
Aber es gibt eine rote Linie und diese rote Linie wurde
in den letzten Jahren, insbesondere während des letzten Jahres, sehr
deutlich überschritten. Um es noch einmal zu sagen, hätten Sie mich vor
einem Jahr gefragt, ob es den Antisemitismus in den arabischen Ländern
als zentrale, vorherrschende Erscheinung gäbe, hätte ich dies verneint.
Aber wenn Sie mich heute fragen, weiß ich die Antwort wirklich nicht.
Ich kenne die Antwort nicht, weil ein Tornado des Hasses, der
Aufhetzung, der antisemitischen Propaganda gewütet hat, der alle
klassischen Phänomene des Antisemitismus benutzt hat, alle, die wir
kennen, einschließlich einiger neuer Phänomene in dieser Kampagne, die
durch die ganze arabische Welt gezogen ist und die von der modernen
Technologie noch verstärkt wurde – hauptsächlich vom kommerziellen
Fernsehen. Heute gibt es 30 arabische Fernsehsender – einige dieser
Sender machen ausgezeichnetes Fernsehen, anders als das
Propagandafernsehen der Vergangenheit, als jeder in der arabischen Welt
einfach irgendeinen Kanal eingeschaltet hat. Heutzutage haben wir es mit
Qualitätsfernsehen zu tun.
Wir finden ihn auch in den Zeitungen, auf eine ganz
andere Art und Weise. Es gab früher auch die klassischen Ausdrucksformen
des Antisemitismus – vor dem Frieden mit Ägypten beispielsweise – sogar
unter führenden Journalisten, aber nicht in der Intensität, mit der wir
es heute zu tun haben. Es geht heute nicht darum, ein Beispiel zu
finden. Die Beispiele werden an jedem einzelnen Tag, zu jeder einzelnen
Stunde, in den meisten Zeitungen, in den Leitartikeln geliefert von den
Hauptautoren der Zeitungen und des Fernsehens. Man sieht darin wieder
eine klassische Form des Antisemitismus, die der arabischen Welt fremd
ist, die aber die arabische Welt heute von Europa und von anderen Orten
übernommen hat.
„Die Juden sind an allem schuld“
Sie kennen den alten Vorwurf gegen die Juden, dass
die Juden zum Beispiel die Brunnen vergiften würden, ein Vorwurf aus dem
Mittelalter. Wollten die Anführer die Aufmerksamkeit von ihrem Versagen
ablenken, sagten sie: „Die Juden sind der Grund für all unsere
Schwierigkeiten, wisst ihr, sie vergiften die Brunnen,“ als der
Hygienestandard nicht so war wie er sein sollte.
Dieses alte antisemitische Motiv kommt heute in der
arabischen Welt, in einem Artikel nach dem anderen, in
Fernsehprogrammen, auf viele verschiedene Arten wieder ins Spiel: die
Israelis bringen Drogen in Umlauf; die Israelis stellen einen besonderen
Kaugummi her, der die arabische Bevölkerung langsam schwächt; die
Israelis benutzen Giftgas; die Israelis ermutigen die arabischen
Nationen zum Glücksspiel; die Israelis vergiften die Nahrung und das
Wasser, um der palästinensischen Bevölkerung Krankheit und einen
langsamen Tod zu bringen.
Sie werden Arafat nie darüber reden hören, dass die
Israelis die Palästinenser erschießen; er wird immer sagen, dass die
Israelis Uranmunition verschießen, um daraus nicht nur einen Kampf zu
machen, sondern ein Verbrechen gegen die Menschheit. Sie werden in der
palästinensischen Presse hören, dass die israelischen Hubschrauber
Schokolade für die jungen Palästinenser abwerfen, so dass sie von dieser
Schokolade vergiftet werden; dass die Israelis Gürtel sehr billig
verkaufen, für nur ein paar Schekel. Warum? Weil diese Gürtel
radioaktives Material enthalten, das die arabische Bevölkerung vom
Gürtel abwärts schwächt, so dass die nächste Generation, die in der
arabischen Welt geboren wird, eine schwache Generation sein wird, nicht
in der Lage, sich gegen die Juden aufzulehnen. Und wieder haben wir es
mit einem Vorwurf zu tun, einem klassischen antisemitischen Motiv, und
es wiederholt sich immer und immer wieder in allen Formen.
Die Gier und die Weltverschwörung
Religiöser Antisemitismus ist ein anderes Thema, das
in vielen Formen in der arabischen Presse auftaucht. Es gibt ein Motiv,
dass die Juden nicht an das Leben nach dem Tod glauben und daher so
gierig sind. Darum müssen sie die Welt kontrollieren, sie müssen die
Weltpresse kontrollieren, sie müssen die Regierungen der Welt
kontrollieren.
Man hat das Motiv, wie das Protokoll der Ältesten von
Zion, das heutzutage in der arabischen Welt als gültiges Dokument
angesehen wird. Jeder, der es vom historischen Standpunkt aus untersucht
hat, weiß natürlich, dass dies eine diffamierende Fälschung ist, aber in
der arabischen Welt wird es heute leider als eine als authentische
Hauptquelle akzeptiert, und alle darin enthaltenen Beschuldigungen
werden verbreitet.
Außerdem gibt es alle traditionellen Bilder der Juden,
des hässlichen Juden, des satanischen Juden, des Juden mit Hörnern, des
gerissenen Juden, des gierigen Juden – all diese Bilder sieht man wieder
und wieder, und heute gibt es keine Unterscheidung zwischen den
einzelnen Juden: manchmal ist es ein Jude ohne Gesicht, manchmal trägt
er das Gesicht von Sharon, manchmal das von Peres oder von Barak. In
diesem Zusammenhang gibt es keine Unterscheidung zwischen rechts und
links.
Das Leugnen des Holocaust
Noch gravierender ist der Einsatz des Holocaust. Das
ist sehr interessant. Das Leugnen des Holocaust existierte in der
arabischen Welt überhaupt nicht.
Es ist ein Phänomen der westlichen Welt, das sich mit
vielen Hassgedanken der westlichen Welt ausbreitet, da man, vor dem
Hintergrund dessen, was während des Holocaust geschah, heute nicht neue
Verbrechen gegen die Menschheit vorbereiten oder Rassismus praktizieren
kann. Darum muss man zuallererst den Holocaust leugnen bzw. wenn man den
Holocaust nicht leugnet, ihn zumindest zu etwas Belanglosem machen, ihn
bagatellisieren, minimieren oder relativieren, ehe man die eigene
Bevölkerung auf neue Verbrechen gegen irgendjemanden vorbereiten kann,
gegen Juden, Schwarze oder Moslems oder gegen irgendjemanden sonst. Es
handelt sich dabei um ein Phänomen, das man an verschiedenen Orten in
der westlichen Welt finden kann, und ich weiß, dass dies eines der
Motive ist, die z.B. Abe Foxman (ADL) sehr genau untersucht hat.
Heute wurde dies in der arabischen Welt übersetzt. Es
wurde in der arabischen Welt hauptsächlich übersetzt, so glaube ich,
weil die arabische Welt eine Interpretation der Gründung des Staates
Israel angenommen hat, von der ich glaube, dass sie absolut falsch ist,
aber diese Theorie besagt, dass die Gründung des Staates Israel aufgrund
des schlechten Gewissens der Europäer nach dem Holocaust erfolgte. Kann
man daher den Holocaust leugnen und sagen, dass er entweder nicht
stattfand oder dass er, falls er stattfand, eine von so vielen Episoden
der Geschichte ist, ein Detail in der Geschichte, und den Holocaust
bagatellisieren; wenn man das machen kann, nimmt man dem jüdischen Volk
und der Suche des jüdischen Volkes nach seiner Selbstbestimmung den
letzten Funken Legitimation.
Leider sind diese Ausdrucksformen, die für viele viele
Jahre lang nur sporadisch auftraten, sehr viel konzentrierter geworden,
sogar in Ländern wie Jordanien, in dem es bisher keinen offiziellen
Antisemitismus gab. Heute kann man sie in der jordanischen Presse finden
und viele dieser Artikel erscheinen in Ländern wie Ägypten und Syrien.
In einigen dieser Länder wird man keine dieser Ausdrucksformen bei
Staatsoberhäuptern finden, in anderen Ländern, insbesondere Syrien und
in den verbrecherischen Ländern Irak, Iran, Libyen usw. hört man, wie
selbst die Staatsoberhäupter diese antisemitischen Äußerungen von sich
geben.
Ich möchte Ihnen nur ein paar der berühmten Beispiele
aus Syrien geben. Als
Bashar Assad
vor kurzem den Papst empfing, am 5. Mai, sagte er, die Israelis würden
versuchen, alle Prinzipien der monotheistischen Religionen abzuschaffen.
Es sei die gleiche Art von Mentalität, die sie dazu brachte, Jesus zu
verraten und ihn zu foltern, und es sei die gleiche Mentalität, mit der
sie versuchten, den Propheten Mohammed zu töten. Es gibt viele solcher
Äußerungen. Ich gebe Ihnen nur sehr wenige Beispiele. Da gibt es den
Ausspruch des Verteidigungsministers, der ein notorischer Antisemit ist
und sogar Bücher darüber geschrieben hat. Er sagte zum Beispiel am 6.
Mai im syrischen Fernsehen: „Das israelische Problem hat wirklich keine
Priorität, wenn jeder Araber nur einen Juden tötet, wird es keine Juden
mehr geben. Also gibt es kein Problem.“ Das sagt der
Verteidigungsminister eines Landes, das Mitglied des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen sein will. Er sagte, dass er der erste sein
möchte. „Wenn mir ein Jude gegenübersteht, werde ich der erste sein,
diesen Schritt zu unternehmen und den Juden töten.“ Das sagt er
öffentlich im Fernsehen und niemand ficht das an.
Meine Sorge ist, dass dieser Hass und diese Aufhetzung
etwas sind, das heute in der arabischen Welt eine neue Bewegung gründet,
an der viele der arabischen Führer selber kein Interesse haben. Ich bin
sicher, dass die Staatsoberhäupter solcher Länder wie Marokko oder
Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien an Stabilität interessiert sind,
und ich bin der Meinung, dass sie daran interessiert sind, Lösungen zu
finden, aber gleichzeitig lassen sie dies geschehen. Dadurch entsteht
eine neue Situation aufgrund der Tatsache, dass ein tiefer Hass unter
den Menschen, die dies tagtäglich sehen, gesät wird. Es sind nicht nur
Worte, es ist etwas, das Wirklichkeiten verändert.
Auch Auschwitz begann mit Propaganda
Sie müssen wissen, dass all der Hass mit Worten
begann, aber mit Handlungen fortgesetzt wurde. Auschwitz begann mit
Worten, aber fuhr fort mit Handlungen. Auschwitz begann nicht in
Auschwitz. Auschwitz hatte vor dem Hintergrund von so viel Hass und
Aufhetzung eine Legitimation.
Wir wissen aus unserer Erfahrung, wie gefährlich das
ist, und um es noch einmal zu sagen, dies geschieht sehr oft in Ländern,
in denen man nie irgendeine andere Meinung darüber hören kann.
Man kann natürlich auch Beispiele in der demokratischen
Welt finden, auch in Israel, schreckliche Beispiele und Ausdrucksformen
von Hass. Man wird sie auch hier bei uns finden. Sogar einige unserer
führenden Politiker und einige unserer Verantwortlichen, bei denen man
davon ausgeht, dass sie verantwortungsbewusste Menschen sind – religiöse
Führer, führende Politiker, können mit denselben Äußerungen des Hasses
aufwarten.
Der Unterschied besteht darin, dass man, wenn dies in
einem demokratischen Land geschieht, wenn es in einem Land wie Israel
geschieht, eine Bevölkerung hat, Meinungsmacher hat, andere führende
Politiker hat, die an die Öffentlichkeit treten und dies mit der ganzen
Kraft dessen, was richtig und vernünftig ist, verurteilen.
Ich befürchte, dass dies so weitergehen wird, es wird
sich entwickeln und es wird einen völlig veränderten Mittleren Osten
schaffen. Ich befürchte, dass dies, auch wenn wir praktische Lösungen
für unseren Konflikt mit den Palästinensern finden können, den Konflikt
von einem territorialen Konflikt zwischen zwei Völkern, die dasselbe
Gebiet als das ihrige beanspruchen, was wir mit territorialen Mitteln
lösen können – ich hoffe, ich gehe davon aus, dass wir ihn lösen können,
in dem wir uns an den Verhandlungstisch setzen, so wie es anfing mit dem
Besuch des Präsidenten Sadat hier und mit dem Frieden mit Jordanien und
mit dem Osloer Abkommen und mit den Vorschlägen von Camp David – auf
einen religiösen Konflikt ausweiten wird.
Man kann an einem Tisch sitzen und man kann den Konflikt
lösen, indem man teilt oder aufteilt. Man kann politische Lösungen für
politische, für territoriale Fragen finden. Aber wenn man den Konflikt
zu einem religiösen Konflikt macht, in dem es um meinen Gott gegen
deinen Gott geht - in dem es nur so sein kann, wie es der Mufti von
Jerusalem kurz nach dem Beginn der Intifada ausdrückte: „Dies ist ein
existentieller Kampf zwischen dem Judentum und dem Islam,“ wenn man es
zu dem macht und man weiterhin sagt, dass es nur einen Überlebenden in
diesem Kampf geben kann, dann macht man ihn zu einem existentiellen
Kampf, in dem wir nicht gemeinsam existieren können. Es kann keinen
Friedensprozess geben, wenn es sich hier um einen existentiellen Kampf
gegen ein absolutes Böses in der Welt handelt.
Der Weg nach Durban
Genau dies geschieht auch bei den Vorbereitungen für
Durban. Unter Initiative der regionalen Konferenz, abgehalten in
Teheran, wurden Vorschläge zurück nach Genf gebracht, die den Konflikt
hier als einen Konflikt gegen das jüdische Volk definierten.
Nach diesen Vorschlägen, die jetzt in Genf zur Debatte
stehen, und die unter Umständen in Durban akzeptiert werden, wird Israel
das einzige Land der Welt sein, das gegen die Prinzipien des Weltrechts
verstößt und den Rassismus praktiziert, das den Völkermord praktiziert,
das ethnische Säuberung praktiziert, das eine neue Apartheid
praktiziert, wenn wir es nicht schaffen, diesbezüglich etwas zu
unternehmen. Es wäre das einzige Land der Welt.
Sicherlich haben wir in Israel einige Probleme und wir
gehen sie an, aber man kann auch zur Debatte stellen, was in allen
anderen Ländern passiert. Ich denke, es gibt einige andere Länder, die
auch einige Probleme haben. Aber nicht nur das, diese Probleme werden
aus dem Zusammenhang gerissen. Man nehme ein Thema wie die Siedlungen.
Ich spreche absichtlich das umstrittenste Thema an. Man kann gut und
gerne behaupten, die Siedlungen seien ein Hindernis für den Frieden. Man
kann gut und gerne sagen, die Siedlungen seien ein Verstoß gegen die
vierte Genfer Konvention. Darüber lässt sich streiten. Aber es ist
rechtmäßig als Teil einer politischen Debatte.
Dies entspricht aber nicht dem, was in Durban gesagt
wird. Was in der Vorbereitung für Durban gesagt wird, ist, dass die
Siedelungen ethnischen Säuberungen gleichkommen, Völkermord sind und
absolut teuflisch für die Menschheit. Eine Wohnung in Gilo zu haben,
heißt Völkermord zu betreiben. Zionismus – die Gründung des Staates
Israel, ist auf Sünde gebaut. Die ethnische Säuberung des
palästinensischen Volkes. Und wieder wird alles zu einer absolut
existentiellen Bedrohung der Menschheit gemacht, zu einer absoluten
Dämonisierung Israels und des israelischen Volkes.
Um das Bild zu vervollständigen: Dasselbe wird auch mit
der jüdischen Vergangenheit gemacht. Man nehme ein Thema wie den
Holocaust und sage: „Es ist nicht DER Holocaust, es gibt viele
Holocausts“ – nicht der EINE, sondern einer von vielen. Man
bagatellisiert DEN Holocaust, und dann fährt man fort, indem man sagt,
dass der wirkliche Holocaust nicht der Holocaust gegen das jüdische Volk
war, es ist der Holocaust, der gegen das palästinensische Volk geht.
Wenn die Juden so sind, dass sie den Holocaust gegen das
palästinensische Volk verüben können, dann bringt das zum Ausdruck, dass
sie auch den gegen sie gerichteten Holocaust verdient haben, weil sie
das absolut Böse der Menschheit praktizieren.
Wortspielerei und absurdes Theater
Der Antisemitismus, das älteste, hartnäckigste und
gefährlichste Vorurteil, das die Menschheit kennt, wird zu einer Farce.
In den Genfer Vorschlägen ist Antisemitismus das Phänomen, dessen
Hauptausdruck der Antisemitismus der Zionisten gegen die
palästinensischen Semiten ist. Das ist natürlich eine absolute
Verzerrung der Wahrheit und nimmt dem Wort Antisemitismus – ein Wort,
das vor ca. 130 Jahren in Mitteleuropa aufkam, als es nicht angebracht
war anti-jüdisch zu sein, aber man es anständig machen wollte.
Man erfand damals ein neues Wort für anti-jüdisch, indem
man es anti-semitisch nannte, und das war schon damals eine sehr
schickliche Einstellung, die man in den größten und schönsten
Versammlungen Mitteleuropas haben konnte. Daher kommt die ursprüngliche
Bedeutung, das ist der Hintergrund des Wortes Antisemitismus. Jeder
weiß, dass dies das historische Phänomen des Judenhasses ist.
Diejenigen, die mit Wörtern spielen wollen, können natürlich sagen, dass
die Semiten nicht nur Juden sind, sondern Völker, die zu allen
semitischen Sprachgruppen gehören, einschließlich natürlich den
Palästinensern.
Hier ist die Absurdität in eine neue Wahrheit verwandelt
worden. Der wirkliche Antisemitismus ist das, was die Juden gegen die
palästinensischen Semiten machen. Sie verspotten die jüdische
Vergangenheit, verspotten das jüdische Leiden und verspotten auch jede
moralische Lektion, die aus diesen Vorurteilen gelernt werden kann, die
aus dem Holocaust gelernt werden kann. Dies zielt nicht nur gegen das
jüdische Volk, sondern nutzt jedem, der solch ein Verbrechen gegen die
Menschheit vorbereitet. Das Verbrechen beginnt mit Spott. Wenn man
verspottet, bereitet man den Boden für die Möglichkeit, die Menschheit
in unserer Zeit wieder anzugreifen.
Wenn das, was nun für Durban vorbereitet wurde, Erfolg
hat, wird es meiner Meinung nach vier Hauptopfer geben. Ein Opfer wird
das jüdische Volk sein. Das jüdische Volk wird auch das noch irgendwie
überleben. Wir kennen das seit ewigen Zeiten und wir greifen auf
Traditionen zurück, wie wir diese Art von Phänomen überleben. Ich möchte
Sie nur daran erinnern, was Präsident Sadat sagte, als er im November
1977 nach Israel kam und von Abba Eban gefragt wurde, warum er jetzt
nach Israel käme. Abba Eban war etwas verärgert, dass er kam, als der
Likud an der Macht war, und nicht kam, als Abba Eban Außenminister des
Staates Israel war. Sadat gab folgende Antwort: „Nun, ich versuchte
während des Krieges, das zurückzubekommen, was mein war. Ich habe es
nicht geschafft. Ich versuchte, es durch internationale Abkommen
zurückzubekommen.“ Wie Sie sich erinnern werden, fanden damals die
Konferenzen in Genf zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion
statt, um den Versuch zu unternehmen, ein internationales
Friedensabkommen anzuordnen – ohne Erfolg. „Ich versuchte, es
zurückzubekommen, indem ich die automatische Mehrheit in der UN und
anderen internationalen Versammlungen zur Verurteilung Israels nutzte.
Es funktionierte nicht. Nun, als ich kam und mich direkt von Angesicht
zu Angesicht mit den Israelis traf, bekam ich alles, was ich wollte.“
Das sage ich auch als Empfehlung für arabische Staaten,
die mit uns Frieden schließen wollen. Sie werden mit diesen
Verurteilungen keinen Erfolg haben. Das jüdische Volk ist an diese
Verurteilungen und an diese Art der internationalen Heuchelei gewöhnt.
Wir werden es also überleben. Aber es gibt stattdessen andere Opfer.
Opfer ist der Kampf gegen den Rassismus
Ein weiteres Opfer ist der Kampf gegen den Rassismus.
Wieder verdreht man das, was ein wichtiger Kampf gegen den Rassismus
sein soll, indem man den Sieg über die Apartheid in Südafrika feiert und
zum ersten Mal innerhalb von 18 Jahren die Konferenz gegen Rassismus
abhält, um die ganze Welt gegen dieses wirklich absolute Übel zu
mobilisieren.
Für jedes vernünftige menschliche Wesen, für jedes
gläubige menschliche Wesen, jedes humanistische menschliche Wesen, für
jeden, der auch nur ein Funke von Gottes Abbild ist und der weiß, dass
über „niedere“ und „höhere Rassen“ und Rechte für bestimmte, aber nicht
für andere Rassen, zu sprechen widerlich ist, ist der Rassismus das
widerlichste aller Phänomene. Die geplanten Verdrehung machen aus dieser
Erkenntnis ein Israel-Bashing, einen Schlag gegen Israel, einen Schlag
gegen die Juden, wobei jeder den wahren Grund der Handlungen vergessen
wird – den Kampf gegen den Rassismus.
Nicht nur das, sondern im wesentlichen, indem man sagt,
dass alles Rassismus ist und alles Apartheid ist und alles ethnische
Säuberung ist, gibt es keine moralischen Werte im Kampf gegen den
Rassismus und der ethnischen Säuberung. Die absoluten Gräueltaten werden
relativiert und darum verlieren sie jede Art von moralischem Wert.
Die Arbeit der UN wird zur Farce
Das dritte Opfer davon wären die Vereinten Nationen.
Die Arbeit der Vereinten Nationen wird zu einer absoluten Farce. Was
während der letzten zwei Jahre auch mehr und mehr geschehen ist – wir
kennen es aus den siebziger und den achtziger Jahren – und alles zu
einer absoluten Farce machte.
Man kann keine UN-Konferenz über irgendein Thema
abhalten, in der das zentrale Motiv nicht der Schlag gegen Israel ist.
Wir reden davon, eine Konferenz über Kinder abzuhalten, also wird nicht
über die Problematik der Kinder geredet, die durch AIDS zu Waisen
wurden, es wird nicht über die Kinder geredet, die Teil der
Sklavenindustrie der Welt oder der Sexindustrie der Welt sind. Es wird
nur von den palästinensischen Kindern gesprochen. Auf diese Weise kämpft
die UN als Organisation tatsächlich nicht für die, wie ich glaube,
wesentlichen Werte der Menschheit, die Arbeit wird neutralisiert, wird
zerstört, indem man wieder alles zu einer Anti-Israeli-Feier macht.
Ein Schlag gegen den Friedensprozess
Schließlich wird der letzte Schlag, wenn er
eintrifft, ein Schlag gegen die Möglichkeit eines Friedensprozesses
sein. Denn um es noch einmal zu sagen: Es geht beim Friedensprozess um
einen Kampf, einen Streit zwischen Nationen über territoriale Fragen, es
ist dies also ein Friedensprozess, der weitergeführt werden kann. Wenn
jedoch dieser Friedensprozess, wie dort vorgestellt, ein Kampf gegen das
absolute Böse ist, gegen das große Übel dieser Welt, wie schließt man
dann Frieden mit dem großen Teufel dieser Welt, der in Sünde geboren ist
und alle Verbrechen gegen die Menschheit verübt?
Wie schließt man Frieden mit so einer Nation? Wie
schließt man Frieden mit so einem Land? Das kann man nicht machen. Dann
ist es eine Frage des Überlebens. Und dann legitimiert man die Gewalt
gegen das jüdische Volk, den Terror gegen das jüdische Volk, weil man
über das absolute Böse spricht.
Ich sage dies mit großem Schmerz, weil ich glaube, dass
wir auf dieser Region keine andere Möglichkeit haben, als zum
Friedensprozess zurückzufinden. Wir haben keine anderen Möglichkeiten,
weil wir 5,9 Millionen Menschen sind, die zwischen dem Mittelmeer und
dem Jordan leben, in einem sehr kleinen Gebiet. Ich glaube, wenn sie,
die Palästinenser, in Zukunft keinen Frieden und keine Würde und keine
Selbstbestimmung haben werden, dann werden auch wir als jüdisches Volk
des Staates Israel das nicht haben. Alle Bemühungen sollten in diese
Richtung gelenkt werden. Aber wenn man dämonisiert, wenn man die
existentiellen Begriffe allen Übels benutzt, und Israel und das
israelische Volk mit in diese Schublade steckt, dann wird das nicht
möglich sein.
Ich denke, das ist der Punkt, an dem die Weltethik
einsetzen sollte. Ich hoffe, wir werden Erfolg haben. Ich hoffe, dass
alle Länder dieser Erde, in denen eine Form der Demokratie, des
Anstands, der Gerechtigkeit oder der Bereitschaft zur Suche nach Frieden
herrscht, dass sich alle Länder der Welt um andere Resolutionen bemühen
werden, damit die Konferenz von Durban auf das zurückgeführt werden
kann, was sie sein soll: die Konferenz gegen den Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit, und damit die Konferenz nicht zu einem neuen
Codewort für die Rassistenkonferenz gegen das jüdische Volk wird.
Vielen
Dank.
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Rabbi Michael Melchior was born in 1954 in Denmark. He received
his rabbinical ordination from Yeshivat Hakotel in Jerusalem.
From a long line of Scandanavian rabbis, he has served as rabbi of a
Jerusalem congregation since 1986, and also holds the title of Chief
Rabbi of Norway (since 1980).
Melchior is International Director of
the Elie Wiesel Foundation as well as an administrator of varous
human rights, immigration and educational organizations.
Among his many awards are the
Norwegian Nobel Institute's Prize for Tolerance and Bridge-Building,
and Yeshivat Hakotel's Award for Work in the Diaspora
Rabbinate. Melchior has written numerous articles published in the
Israeli and foreign press.
Since 1996, Rabbi Melchior has been
the chairman of Meimad, a modern-Orthodox party, which in 1999
became a faction of One Israel. He was elected to the Knesset in May
1999. From August 1999 until March 2001, Melchior served as Minister
in the Office of the Prime Minister, responsible for Diaspora and
social affairs.
In March 2001 Michael Melchior was
appointed Deputy Minister of Foreign Affairs.
Meimad:
Das Licht
Israels - Ein Kraft mit der zu rechnen ist
Aussenministerium, Jerusalem:
|
haGalil onLine 10-08-2001 |