Das Pogrom von Jedwabne entzweit
die Polen
Heute entschuldigt sich Präsident Kwasniewski für den Mord an
Juden. Die gesellschaftliche Debatte hat eine neue Wende genommen
GABRIELE LESSER
WARSCHAU taz - Der neueste Warschauer Witz geht
so: "Wann wird Emanuel Olisadebe ein echter Pole sein? Wenn er für
Jedwabne um Entschuldigung bittet." Die Erklärung ist so einfach wie
böse zugleich: "Der aus Nigeria stammende Olisadebe ist Polens
Fußballstar Nummer eins. Er ist schwarz. Schuld an polnischen
Pogromen kann ihn nicht treffen. Wir Polen sind solche Idioten, dass
wir uns sogar für Dinge entschuldigen, die wir gar nicht getan
haben."
Die Diskussion um das Buch "Nachbarn" des
amerikanischen Soziologen Jan Tomasz Gross geht nun schon ins zweite
Jahr. Die Frage, ob Polen tatsächlich im Zweiten Weltkrieg mit den
Deutschen kollaborierten und dabei halfen, die Juden im eigenen
Lande zu ermorden, hat die Gesellschaft bis ins Mark getroffen. Das
bisherige Geschichtsbild liegt in Trümmern. Polen waren im Zeiten
Weltkrieg nicht nur Opfer, sondern auch Täter.
Vor einem guten Monat noch hielt Konstanty Gebert,
Gründer der jüdischen Zeitschrift Midrasz, die sehr
kontrovers geführte Debatte für einen Befreiungsschlag. In einem
Interview sagte er: "Ich denke, dass es für Polen unglaublich
wichtig ist, dass wir in den Spiegel sehen können, ohne Angst zu
haben vor dem Schrecklichen, das wir da eventuell in der
Vergangenheit entdecken müssen. Polen ist nicht die einzige Nation,
die sich die schwarzen Seiten ihrer Geschichte ins Gedächtnis
zurückrufen muss. Aber die Diskussion, die leidenschaftlich, aber
auch verantwortungsvoll geführt wird, zeigt, dass Polen die Kraft
und das Selbstvertrauen zu diesem Blick in den Spiegel bereits hat."
Doch heute ist Geberts Optimismus nur noch
gedämpft. Seitdem die Exhumierung eines Teils der Opfer von Jedwabne
abgeschlossen ist, hat die Diskussion eine Kehrtwende vollzogen.
Über Schuld und Sühne redet seitdem kaum noch jemand. Denn statt der
1.600 Toten wurden "nur" die Überreste von 200 gefunden. Außerdem
rund 100 Patronenhülsen und zwei Kugeln, die wahrscheinlich aus
deutschen Waffen stammen. Damit war für die so genannten echten
Polen sofort klar, dass die Überlebenden des Progroms gelogen hatten
und die wahren Täter doch die Deutschen waren.
Nicht erwähnt wird, dass das dritte Massengrab auf
dem jüdischen Friedhof nicht geöffnet wurde, um die Totenruhe nicht
zu stören. Nicht erwähnt wird auch, dass mit zwei Kugeln aus einer
Pistole und einem Karabiner nicht zweihundert Menschen erschossen
werden können. Oder dass die Patronenhülsen überall im Feld liegen.
In Jedwabne verlief zwei Mal im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die
Front.
Dennoch hofft der aus den USA stammende Rabbiner
von Warschau und Lodz, Michael Schudrich, dass zur Trauerfeier am
Dienstag möglichst viele Polen kommen werden: "Vielleicht kann man
sagen, dass das höchste Ziel, das wir erreichen könnten, darin
besteht, gemeinsam um die Toten zu trauern. Auch wenn wir nicht ganz
verstehen, was tatsächlich an jenem Tag in Jedwabne geschah. Die
gemeinsame Trauer um die ermordeten Juden von Jedwabne ist ein
weiterer Schritt hin zur Versöhnung zwischen Juden und Polen."
Bereits vor Monaten hat Primas Józef Glemp, das
Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, seine Teilnahme an der
Trauerfeier in Jedwabne abgesagt und dafür einen katholischen
Sühnegottesdienst in Warschau abgehalten. Allerdings in einer
Kirche, in deren Kellergewölbe sich bis heute die größte
antisemitische Buchhandlung Warschaus befindet. Ausgerechnet hier
hat der Primas Gott um Vergebung für die Sünde des Antisemitismus
gebeten.
Wenn heute, am 60. Jahrestag des Pogroms, bei dem
fast alle Juden Jedwabnes ermordet wurden, Staatspräsident
Aleksander Kwasniewski die Juden um Entschuldigung bittet, wird
einer fehlen: der Primas von Polen. "Schließlich", so erklärte er
unlängst, "ist die Versöhnung, insbesondere mit der jüdischen Seite,
doch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Nein, ich werde nicht nach
Jedwabne kommen. Ich will nicht, dass es dort zu einem Schaulaufen
kommt."
taz Nr. 6492 vom 10.7.2001
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11-07-2001
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