Kwasniewskis schwerster Auftritt
Im Namen aller seiner Landsleute entschuldigt sich der polnische
Staatspräsident für den Mord an den Juden in Jedwabne vor 60 Jahren.
Mit dieser Geste versucht er auch die Spaltung innerhalb der
polnischen Gesellschaft zu überwinden
aus Jedwabne GABRIELE LESSER
"Als Mensch, als Staatsbürger und als Präsident
der Republik Polen entschuldige ich mich für das Verbrechen von
Jedwabne", erklärte Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski
gestern vor dreitausend Menschen, die aus ganz Polen auf den
Marktplatz von Jedwabne gekommen waren. "Ich entschuldige mich in
meinem Namen und in dem jener Polen, deren Gewissen durch das
Verbrechen berührt wurde und die meinen, dass man nicht zugleich
stolz sein kann auf die Größe der polnischen Geschichte, ohne auch
den Schmerz und die Scham zu empfinden, die sich aus dem Bösen
ergeben, das Polen anderen angetan hat."
Das Pogrom vom 10. Juli 1941, das erst in den
letzten Monaten durch das Buch eines polnisch-amerikanischen
Soziologen in der polnischen Öffentlichkeit bekannt wurde, hatte
eine Debatte ausgelöst, die Polens bisheriges Geschichtsbild zum
Einsturz brachte. Den Mord an den Juden von Jedwabne und vielen
anderen Städten in Ostpolen hatten nicht die Deutschen begangen, wie
es auf allen Denkmälern hieß, sondern - auf Befehl der Deutschen
oder auch ohne ihn - die katholischen Nachbarn. Der Schock über
diese Entdeckung führte sowohl zu einer intensiven
Gewissenserforschung als auch zu heftigen Abwehrreaktionen. In
Jedwabne selbst klebten überall an den Hauswänden Plakate mit der
Aufschrift: "Wir entschuldigen uns nicht! Die Täter waren die
Deutschen". Am Abend vor der Gedenkfeier spielten Jugendliche
Tanzmusik. Auch im Lande selbst war die Stimmung nach der
halbherzigen Entschuldigung der Bischöfe Polens bei Gott und der
Ankündigung Primas Glemps, auf keinen Fall an der Trauerfeier in
Jedwabne teilnehmen zu wollen, gekippt.
Kwasniewski fand Worte, die sowohl Einfühlung in
den Schmerz der Opfer und ihrer Familien ausdrückten als auch
Verständnis für die Nachkommen der Täter und insbesondere die
Einwohner Jedwabnes.
Bei den Jedwabnern bat er um Mitleid mit den
Opfern, die vor 60 Jahren hier umgebracht wurden: "Die Opfer waren
hilf- und schutzlos. Vielleicht werden wir niemals die ganze
Wahrheit erfahren, aber es gibt keinen Zweifel - hier in Jedwabne
starben Staatsbürger der Republik Polen von den Händen anderer
Staatsbürger Polens. Menschen haben Menschen, Nachbarn Nachbarn
dieses Schicksal bereitet."
Dann versuchte er die Jedwabner wieder zurück in
die Gesellschaft Polens zu holen, um damit auch die Diskussion
wieder in die richtige Richtung zu lenken. "Wir sind hier, um
gemeinsam unser Gewissen zu erforschen. Wir erweisen den Opfern
unsere Ehre und sagen ,Niemals wieder!' Seien wir heute alle
Einwohner Jedwabnes! Fühlen wir mit ihnen. Verweilen wir mit ihnen
im Gefühl der Trauer, der Scham und der Solidarität."
Am Ende verwies er noch eigens auf diejenigen
Einwohner Jedwabnes, die vor 60 Jahren Juden gerettet hatten und von
denen heute kein Einziger mehr in dem Dorf lebt - aus Angst vor den
Nachbarn: "Gerecht ist derjenige, der Mitleid im Angesicht des
Leidens zeigen konnte. Zahlreiche Polen - ebenso Einwohner Jedwabnes
und umliegender Orte - verdienen den Namen eines Gerechten. Denken
wir auch an sie heute mit größter Dankbarkeit und höchster Achtung."
Der Rabbiner Jakub Baker, der vor dem Pogrom aus
Jedwabne emigiriert war, umarmte Kwasniewski. Auch Shewach Weiss,
Botschafter Israels in Polen, war die Rührung anzusehen. "Ich danke
Ihnen für Ihre warmen Worte, Herr Präsident", sagte er und fügte
hinzu, dass er nur deshalb heute in Jedwabne sein könne, weil es
auch andere "Nachbarn" in Polen gab. "Ich habe überlebt, weil mich
unsere Nachbarn gerettet haben."
taz Nr. 6493 vom 11.7.2001, Seite
10, 121 Zeilen TAZ-Bericht GABRIELE LESSER
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11-07-2001
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