Ursache und Wirkung:
Mediale Defizite
Von Irene Runge
Der tägliche
Schlagzeilenjoumalismus kennt aus Zeit-, Konkurrenz- und
Kompetenzgründen keine Dialektik von Ursache und Wirkung;
Analyse ist nicht die Sache auflagestarker Boulevardblätter und
privater Fernsehsender. Alles lässt sich solange drehen und
wenden, bis jede Gewähr für einen fairen Bericht verfallen ist.
Dann ersetzen Meinungen Informationen, bleiben Behauptungen ohne
Beweis, fehlen Zusammenhänge. Selektive Wahrnehmung fuhrt zu
falschen Schlüssen.
All das veranlasste
einige Israelis, sich der internationalen
Nahost-Berichterstattung anzunehmen. »Wir sind eine Gruppe, die
weder der Rechten noch der Linken zugerechnet werden kann. Wir
haben keine politische Agenda. Wir wollen, dass Israel die
gleiche faire Behandlung zuteil wird wie jeder Nation.« Mehr
unter
honestreporting@europe.com.
Bei Recherchen stießen
die Suchenden auf Auslassungen und Halbwahrheiten, auf »besetzte
Gebiete«, wenn es um Ramalla oder Gaza ging, die längst unter
palästinensischer Kontrolle stehen, stellten sie fest, dass
arabische Mobs zu Demonstranten avancierten, als sie in
Jerusalem Steine auf betende Juden warfen, und dass Palästinas
Hauptverhandler Saeb Erakat über CNN erklärte: »We are not
bombing Israeli towns... We are not firing at Israeli children.
The war is being waged against us, and the international
community must equate Israel as the aggressor...«, und der
20-Minuten-Bericht die israelische Sicht mied. So verfestigen
sich Wahrnehmungsdefizite.
Was beispielsweise
Schießereien vorangeht, ob Palästinenser mit Gewehren,
Molotowcocktails oder Steinen agieren, Israelis de- oder
eskalieren, ob Attacken auf die jüdische Zivilbevölkerung,
palästinensische Selbstmordkommandos, Alltagsterror,
Busentführungen - all dies findet den Weg ins kurzlebige
Weltwissen nur dann, wenn sich die Nachricht verkaufen lässt.
Keine Meldung wert waren die jüdische Frau, die mit ihrem
zweijährigen Kind durch die palästinensische Stadt Jericho fuhr
und angeschossen wurde, der amerikanische Rabbiner Chaim
Brovender, der versehentlich nach Beit Jalla abbog, ein
palästinensischer Ort nahe Jerusalem, und einen Überfall nur
knapp überlebte. Fast voyeuristisch wurde auch in Deutschland
das Zeitungsbild des blutüberströmten jungen Mannes und des
Gummiknüppel schwenkenden israelischen Polizisten
veröffentlicht. Entgegen der Bildunterschrift ist das 20-jährige
Opfer der amerikanische Jude Tuvia Grossman. Er studiert in
Jerusalem und wurde von Palästinensern solange
zusammengeschlagen, bis eben jener Polizist erschien.
Aus Jerusalem schrieb mir
fast zeitgleich ein kalifornischer Freund deprimiert, eine
Autobombe wäre drei Straßen neben seiner Schule explodiert. »Ich
bin etwas vereinsamt, obwohl ich hier Freunde habe, doch zu
viele sind schon Opfer der Gewalt geworden. Einen traf ein
Gummigeschoss am Auge, und mein bester Freund hier in Jerusalem
hat einen Posten vor seinem Haus. Er ist den Schießereien
faktisch jede Nacht ausgesetzt. Es sind wahrlich schlimme,
schlimme Zeiten.«
Andererseits meinte
ein Israeli mit auch deutschem Pass während seines
Berlinbesuchs, trotz alledem wäre es sehr angenehm in Jerusalem;
sie spürten kaum, was internationale Medien verbreiteten. Aus
dem Fernsehen wüsste man jedoch vom aggressiven Klima in
Deutschland, vor allem im Osten. Jetzt kann auch er nachlesen,
dass Verfassungsschützer hier eine Koalition von rechtsradikalen
Islamisten und extremistischen deutschen Rechten beobachten.
Schon machte ein Bericht über den palästinensischen Jugendlichen
die Runde, der einen Lehrer mit Elektroschocker zu antijüdischen
Äußerungen zwingen wollte, während in einer anderen Berliner
Schule, so die Presse, Schüler die Flagge Israels zerrissen.
Auch der Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, vielleicht
sogar der auf die Berliner, geht auf das Konto arabischer
Jugendlicher, die teilweise deutsche Staatsbürger sind.
Wenn über 30 Prozent der
nachrückenden deutschen Jugend zunehmend offen antisemitisch
sind, müssen wir uns wohl trotz ihres Ausländerhasses diese
arabisch- rechtsradikale Kooperation vorstellen. Nicht weniger
erschreckend ist aber, wie Medien und Politiker immer wieder
Argumentationshilfen für solche Gruppen liefern - um dann nach
jedem Attentat schwere Krokodilstränen zu vergießen.
Erstersch. in "Jüdische
Korrespondenz"
Monatsblatt des
Jüdischen Kulturvereins Berlin e.V.
Shevat 5761
haGalil
onLine 06-2001
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