Die Lehrer und der Judenhass

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Der Antisemitismus grassiert – vor allem auch an Schulen und Universitäten – und die Politik propagiert, dass man dem Problem mithilfe der Lehrer Herr werden soll. Sonst sind Lehrer bei der Politik nicht ganz so angesehen. Man mutet ihnen übervolle Klassen zu, sorgt für zu wenig Unterstützung und kündigt ihnen schon mal gerne zu den Sommerferien, um zwei Monate Gehalt zu sparen. Dennoch ruht die Hoffnung sämtlicher Kultusminister auf den Schultern dieser Lehrer.

Von Ramona Ambs

Mich hingegen gruselt die Vorstellung, dass ausgerechnet Studienräte und Pädagogen mit dieser Aufgabe betraut werden sollen. Denn ich habe mit Lehren in dieser Hinsicht eine lange Leidensgeschichte…

Sie fängt an in der sechsten Klasse. Da bekam ich einen neuen Deutschlehrer, der meine Aufsätze absolut nicht mochte. Er rief mich zu sich und fragte sich und mich, warum ich denn so gar nicht schreiben könne, Juden seien doch sonst die größten Schriftsteller, aber bei mir sei so keinerlei Talent erkennbar. Ich beschloss mich damit zu verteidigen, dass ich in Mathematik dafür ja sehr gut sei. Daraufhin meinte er nachdenklich, ja, Juden können ja auch gut mit Geld….

Fortsetzung in der siebten Klasse. Damals trug ich einen kleinen blauen Emaille-Davidstern, meist unterm Pulli, manchmal auch drüber. Eines Tages winkte mich meine Geschichtslehrerin (!) beiseite und sprach mich an, ob ich als Jüdin denn nicht wisse, dass ich da ein Nazisymbol an der Kette trage. Das sei der Judenstern, mit dem die Nazis die Juden gekennzeichnet hätten und sowas sollte man heute nicht mehr verwenden. Als ich meine Worte wieder gefunden hatte und ihr erklärte, dass das auch immer schon ein jüdisches Symbol sei und Davidstern heiße, glaubte sie mir nicht. Sie bestand darauf, dass ich die Kette entweder abnehmen solle oder unterm Pulli tragen müsse. Ich weigerte mich natürlich und so ging das Ganze dann zum Direktor, der mir (zum Glück) recht gab. Der Rest des Schuljahres war mein Geschichtsunterricht nicht sehr erfreulich. Die Lehrerin nahm mir sehr übel, dass sie sich geirrt hatte.

In der Oberstufe geriet ich mal mit einer muslimischen Mitschülerin aneinander. Es war irgendwann nach dem Bombenanschlag auf die israelische Botschaft in London im Juli 1994, ich war so wütend und enttäuscht, denn ich hatte auf Frieden gehofft nach den Osloer Gesprächen… und die Mitschülerin verteidigte den Terroranschlag als Widerstand. Wir brüllten uns ziemlich an auf dem Schulflur und wurden folglich ins Lehrerzimmer zitiert. Dort hatte die Lehrerin dann eine Idee: jede von uns sollte ein Referat schreiben und halten, in dem sie den Konflikt von der jeweils anderen Seite her betrachten und schildern sollte. Ich fand die Idee erst doof,- dann aber gar nicht schlecht und auch meine Mitschülerin war einverstanden. Wir bekamen zehn Tage Zeit und sollten die Referate dann in einer Doppelstunde vortragen. Die Aufgabe erwies sich als wirklich gut. Ich hab auf diese Weise tatsächlich gemerkt, dass der Konflikt von der anderen Seite manchmal anders aussehen kann. Wenn man sich darauf einlässt, kann man durchaus Verständnis für den Frust und die Ungeduld der anderen Seite entwickeln. Es hat zwar meine politische Sicht auf den Konflikt nicht verändert, was das Ziel angeht, aber die Aufgabe hat mein Empathiefeld erweitert.

Nach den zehn Tagen war ich als Erstes dran und ich hielt ein Plädoyer für die palästinensische Sicht auf den Konflikt, das jedoch natürlich auch die jüdische Perspektive mitgedacht hat. Dann sollte meine Mitschülerin ihr Referat vortragen, aber sie hatte keins gemacht. Sie begründete das damit, dass ihr das emotional nicht zuzumuten sei (Sie war übrigens Türkin ohne jeden familiären Bezug nach Gaza oder ins Westjordanland). Diese Begründung wurde so hingenommen und so kam keine weitere Sicht auf den Konflikt hinzu, stattdessen wurde über die Belastungen gesprochen, denen muslimischen Menschen in Deutschland ausgesetzt sind..

Nach dem Abitur studierte ich zunächst an der Uni, später dann an der Pädagogischen Hochschule. Thema eines Seminars waren verschiedene Schulformen und ihre jeweiligen pädagogischen Konzepte. Ich meldete mich für ein Referat über die jüdische Lichtigfeldschule in Frankfurt und stellte dann eben die Besonderheiten dieser Schule vor…  Und wurde von den angehenden Lehrern so massiv und aggressiv unter Beschuss genommen (Haupttenor dabei: die Juden wollen ja immer eine Sonderrolle spielen), dass ich den Rest meines Studiums jegliche jüdische Themen vermieden habe.

Als Journalistin ging diese Erfahrung mit Lehrern weiter. Im Jahr 2008 rezensierte ich ein Lehrbuch für Lehrer und Pädagogen mit dem Titel „Woher kommt Judenhass?“ und musste dabei feststellen, dass das Lehrbuch selbst voller Antisemitismen war. Auf die Kritik wurde nicht etwa nachdenklich reagiert, sondern pampig, denn Lehrer haben morgens recht und mittags frei. Und in ihrer Freizeit schreiben sie mir Leserbriefe, die es in sich haben…

Seit Jahren sind die Leserzuschriften, die ich von Lehrern erhalte jene, die ihren Antisemitismus einerseits eloquent bestreiten (häufig mit dem einleitenden Satz: ich bin ja kein Antisemit, aber…), während er gleichzeitig omnipotent aus allen Sätzen quillt. Das Ganze stets im belehrenden Ton formuliert, der keinen Widerspruch duldet…

Und last: die Lehrer meiner Kinder. Hier könnte ich nun ganze Bücher füllen mit Anekdoten rund um Philosemitismus, Befremdlichkeiten und Antisemitismus. Erzählen will ich nur eine Begebenheit, bei der wir dann auch auf „lehrerlichen“ Beistand verzichtet haben: Während der Projektwoche meines Sohnes, wurde er (damals siebte Klasse) von einer arabischen Schülerin (neunte Klasse) unvermittelt ins Gesicht geschlagen und angebrüllt, sie hasse alle Juden. Er war im Projekt: Antirassismus.

Zum Glück waren sofort einige Schüler an der Seite meines Sohnes und standen ihm bei. Der zuständige Lehrer hat nichts mitbekommen und mein Sohn wollte keine weitere Intervention meinerseits. Er sagte: wenn wir nen Lehrer einschalten wird alles nur noch schlimmer. Und ich fürchte, er hätte recht behalten…

Lehrer waren in dieser Hinsicht mehrheitlich keine Hilfe.

Jedenfalls muss ich immer öfter an Ignatz Bubis sel. A. denken. In seinem letzten traurigen Interview sagte er: „Im Grunde genommen meine ich heute, dass ich die Falschen besucht habe. Ich hätte nicht die Schüler, sondern die Lehrer aufsuchen müssen.“