MAROKKO/ SERIE (TEIL 2)
Simon Levy - Symbolfigur der Koexistenz zwischen Juden und Muslimen
Ein Marokkaner «mosaischen Glaubens»
Mit der Ernennung des marokkanischen
Sozialdemokraten Abderrahmane Youssoufi zum neuen Ministerpräsidenten, dessen
Partei, die Sozialistische Union der angeblich Volkskräfte (USFP), als Sieger
aus den Parlamentswahlen vom 14. November 1997 hervorging, hat König Hassan
II. ein Signal für den politischen Wandel gesetzt, dies trotz vielerorts
bekundeter Skepsis. König Hassan II., der seit Jahren von einer schrittweisen
Demokratisierung redet, Will offenbar nicht nur einen politischen
Etikettenwechsel durchzusetzen, sondern auch eine Entwicklung einzuleiten,
welche selbst die konservativen Kräfte, einschliesslich der Islamisten
einbinden soll. Auch die in Marokko verbliebenen Juden beteiligen sich aktiv
am politischen Prozess.
VON MOURAD KUSSEROW
Dass Marokko das erste afrikanische und
arabisch-islamische Land ist, wo die Regierungsgeschäfte dem aus
demokratischen Parlamentswahlen hervorgegangenen Sieger übertragen wurden,
sprich von politischer Reife. Ein Zeichen von Toleranz dürfte zweifelsohne die
Tatsache sein, dass auch ein Jude ins marokkanische Parlament einzog - sein
Name: Simon Levy.
Simon Levy, 1939 in Essaouira geboren und
grösster privater Arbeitgeber in Südmarokko, gehört seit dem 5. Dezember 1997
der «Zweiten Kammer» des marokkanischen Parlaments an, der «Chambre des
Conseillers», für Aussenstehende eine Attraktion, denn Simon Levy ist
Marokkaner mosaischen Glaubens. Für die muslimischen Marokkaner bedeutet die
Wahl ihres jüdischen Landsmannes Levy heute offenbar einen ganz normalen
Vorgang. Schliesslich sind über 2500 Jahren «Nachfahren Abrahams» in Marokko
beheimatet. Erst im Jahre 788 kamen die Araber und der Islam.
Der von Marokkos Elite gelebte Islam predigt
Moderation, den «goldenen Mittelweg», und König Hassan II. schützt, als «Amir
al-Mouminin» (Verteidiger des Glaubens), ganz besonders seine «jüdischen
Landeskinder». Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass es im Gefolge der
Demokratisierung und der israelisch- arabischen Kriege zur Auswanderung der
meisten Juden aus Marokko kam.
Einziger jüdischer Abgeordneter
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DIASHOW MAROKKO
Simon Levy ist der einzige
Parlamentsabgeordnete jüdischen Glaubens in der gesamten arabischen Welt. Er
wurde bereits am 13. Juni 1997 im 39. Wahlbezirk - Bikarane - mit dem besten
Wahlergebnis in ganz Marokko (über 86 Prozent) in den Gemeinderat von Agadir
wiedergewählt. Seine ausschliesslich muslimischen Wähler kennen ihren
Stadtverordneten Levy seit 1992 als hilfsbereiten und einsatzfreudigen
Lokalpolitiker, der u. a. dafür sorgte, dass sein Wahlbezirk an das städtische
Netz der Strom- und Wasserversorgung angeschlossen wurde. Einfach und
menschlich ist seine Art, den Wählern seine Botschaft zu vermitteln. Er
spricht den arabischen Dialekt seiner Wähler, das «Maghrebinische». Levy, auch
Vorsitzender der «Jüdischen Gemeinde» in Agadir und der gesamten Souss-Region,
war früher «technische Führungskraft» bei der marokkanischen Post, dann
Elektroingenieur der «Ecole Industrielle» von Casablanca. Heute ist er Chef
eines Industrieunternehmens im elektrischen Anlagenbau in Agadir mit über
eintausend festangestellten Mitarbeitern. Er fällt durch seine liebenswürdige
Bescheidenheit auf, mit der er alle Probleme, die an ihn herangetragen werden,
zu lösen versucht. Oft findet er überraschende Lösungen. Seine «sozialen
Aktionen», über die er niemals spricht, sind bis ins weite Hinterland von
Agadir bekannt. Ausserdem hat er auf eigene Kosten die beiden jüdischen
Friedhöfe in Essaouira restauriert, ebenso die 1640 errichtete Synagoge von
Arazan bei Taroudant, die zum nationalen marokkanischen Kulturerbe gehört.
Simon Levy gilt als eine Symbolfigur der friedlichen Kohabitation zwischen
Juden und Muslimen. Er macht kein Aufheben von seiner Liebe zu Marokko, was
ihn nicht hindert, gute Beziehungen zu seinen marokkanischen Landsleuten in
Israel und Frankreich zu pflegen: Er bedauert, dass nur wenige von ihnen über
eine Rückkehr in die angestammte Heimat nachdenken.
Soziale Agenda
Simon Levy denkt nicht daran, sich auf seiner
«Parlamentsbank» in der «Zweiten Kammer» auszuruhen. Er brennt darauf, vor
Ort, dort, wo man ihn gewählt hat, aktiv zu sein. Seine Hauptaufgabe sieht er
darin, etwas gegen die städtische und ländliche Arbeitslosigkeit in der
Gross-Provinz Agadir zu unternehmen. Er weiss genau, dass hier keine
grossartigen und spektakulären Prestigeprojekte helfen. Sein Ziel ist es,
marokkanische Jugendliche durch gezielte Arbeitsbeschaffungsprogramme davon
abzuhalten, ihr «Heil» in der illegalen Einwanderung in Europa zu suchen. «Das
Problem muss», so Simon Levy, «vor Ort, in Marokko, gelöst werden.»
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