iw 2000 / TSh''S
Ein Besuch in
Mecklenburg-Vorpommern:
Brauntöne bereiten dem
Land Kummer
Neue und alte, bisher missachtete
Probleme, ideologische Altlasten, ein jahrelanges Verkennen und
Verniedlichen der Situation und eine teilweise mutwillig verschobene
Berichterstattung in- und ausländischer Medien halten das neue
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern im Osten Deutschlands in «rechtem»
Trab. Ein Lokalaugenschein.
Von Steffi Bollag
Schwerin, Hauptstadt des
Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern (MV), mit ca.100.000 Einwohnern am
gleichnamigen See gelegen und rund eine Autostunde sowohl von Hamburg
als auch von der Ostsee entfernt, hat denselben Breitengrad wie
Schottland.
Die Natur ist im Vergleich zu
hiesigen Verhältnissen um drei Wochen später dran, dementsprechend dicht
belaubt und grün ist es Mitte Oktober noch. Die politische Landschaft
wird jedoch von einer anderen Farbe beherrscht – Brauntöne sind es, die
dem Land Kummer bereiten.
Gerade in den letzten Wochen
schien kein Nachrichtenblock ohne erschreckende Meldung aus den
ehemaligen Bundesländern auszukommen: Sei es, dass drei Jungen einen
15-Jährigen «aus Langeweile» zu Tode traten, dass Jugendliche eine
vietnamesische Familie überfielen und zusammenschlugen, oder dass die
Gedenkstätte KZ Buchenwald verwüstet wurde.
Die Frage nach dem «Warum» ist
das nötig-verständliche Eine, die Suche nach dem singulären «Weil» ist
das gefährlich-verzögernde Andere, und muss unweigerlich im falschen
Auffinden eines alleinig verantwortlich Schuldigen münden, wobei der
schon aus Prinzip immer der andere ist.
Das hatte und hat, so hört man in
Schwerin immer wieder, im ehemaligen Osten Tradition: Die DDR kannte
angeblich fünf Feinde: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und den
Imperialismus. Die Frage Nummer eins lautete (und lautet bei manchen bis
heute): Sind wir Weltmeister? – und wenn nicht – wer hat Schuld? Über
diese wenig zielführenden Diskussionen hat es Deutschland inzwischen zu
traurigen 1.112 rechtsextremistischen statistisch festgehaltenen
Delikten alleine im Monat August des laufenden Jahres gebracht, was fast
eine Verdoppelung zu den Vormonaten bedeutet.
In denselben Statistiken sucht
man jedoch ein gerne vermutetes Ost-West- Gefälle umsonst. Was die
Straftaten betrifft, aufgegliedert in fremdenfeindlich,
rechtsextremistisch und antisemitisch, gibt es ein eindeutiges
Nord-Süd-Gefälle, mit Hamburg an der Spitze und dem Saarland als
Schlusslicht.
Rechte Straftaten
in «Meck-Pomm» rückläufig
Kriminaldirektor Ulrich Hinse vom
Landeskriminalamt in Schwerin ist seit 1991 in dieser Funktion, er weiss
ganz genau, wovon er spricht und hält am eingeschlagenen Weg fest: «Im
Gegensatz zum Bundestrend ist die Zahl der rechtsextremistischen
Straftaten in MV deutlich rückläufig. Die einzelnen Länder gehen aber
auch völlig unterschiedlich an das Problem heran.» MV kennt seine rechte
Szene sehr gut, die zwischen 30 und 50 schwankende Zahl der
Kameradschaften sind bekannt, obwohl die Fluktuation sehr hoch ist («die
sind sich oft selber nicht grün. Jeder will Führer sein»), und den
Jugendlichen wird klar gezeigt: Wir sind da, und beobachten euch.
Daraus resultiert dann vielleicht
auch die kontroverse Haltung, die Hinse auch schon im Fernsehen ein
schlechtes Urteil einbrachte, denn es wird ein- statt ausgegrenzt, ein
kritisches Integrieren nennt es Gottfried Timm, der Innenminister von
MV. «Wir wollen Straftaten verhindern, nicht nur Strafen vollziehen, wie
Sachsen das zum Beispiel tut, und verhindern können wir nur, wenn wir
Zugang und Vertrauen haben.» Ein wichtiges Kriterium sind die
Treffpunkte; Lokale zur Verfügung stellen ja, heisst es im
Innenministerium, aber nur unter bestimmten Auflagen (keine Waffen,
keine Symbole). Denn, so Hinse: «Wenn sie hingehen und irgendein Lokal
mieten, haben wir gar keine Kontrolle mehr.»
In dieselbe Richtung geht Maex,
«Mobile Aufklärung Extremismus». Da pflegen Beamte den direkten Kontakt
zur Szene, einerseits, um Präsenz zu zeigen, und andererseits, um
Strukturen und Motive erforschen und anpacken zu können. Es handelt sich
hierbei durchwegs um junge Beamte, die auch das Vokabular dieser Leute
kennen.
Alternativen für
Rechte
Im Weiteren hält Maex Vorträge in
Schulen, benennt Versammlungsorte und steht in engem Kontakt mit
Präventionsräten (Bürgermeister usw.). Hinweise werden kommunal
weitergegeben, und nicht zuletzt werden vor allem latent Rechten
Alternativen geboten, wo die Jugendlichen, denen körperliche Stärke
prinzipiell zu imponieren scheint, als «Kerl» gefordert werden, ohne
andere zu gefährden, wie zum Beispiel bei der freiwilligen Feuerwehr.
Maex – diese Art der Ermittlungen gibt es seit Mitte 1999 – hat in MV
nachweislich einen Rückgang rechtsextremistischer Straftaten um 20– 30
Prozent bewirkt (127 anstatt 180 im Vorjahr bis Ende August).
Die Medien, in diesem Fall der
WDR (Westdeutscher Rundfunk), die die Methode im Fernsehen als «den
Rechtsradikalen auch noch die Bierdose nachtragen und umsonst Lokale zur
Verfügung stellen», präsentierten, indem sie nur Aggression und nicht
deren Verfolgung zeigten, zerstörten für eine Sendung und deren
Einschaltquote auf diese Weise jahrelange Aufbauarbeit im Raume Rostock.
Erfolge seien auch deswegen schwer zu belegen, weil die Prävention von
Gewalt in Zahlen nicht auszudrücken sei und daher auch nicht leicht
finanziert würde.
Was zu tun wäre
bei der Prävention
Hinse hat trotzdem klare
Vorstellungen, was man tun könnte. «Es gibt einen Punkt, da ist
Aufklärung sinnlos, da muss die Härte des Gesetzes her, aber auch in der
Gesetzesanwendung gibt es schlichte und effiziente Möglichkeiten.»
Gerade unter Berücksichtigung des sogenannten «Altersbauch», dem
Schwerpunkt bei den 14–21 Jährigen, könne zum Beispiel die Konfiszierung
des Tatmittels, sprich Auto, wenn damit zu einer rechten Demo gefahren
wird, verdammt weh tun. Weiter stünde das Erlauben der Demos, jedoch mit
bestimmten Auflagen auf seiner Liste: Ohne Stiefel, Fahnen, Waffen,
keine Bildung von Marschblocks usw. «Im Jogginganzug und Turnschuhen
freut die das Aufmarschieren bald nicht mehr!» Bei diesen schlichten,
exekutiv problemlos anwendbaren Mitteln, fragt es sich allerdings
ernsthaft, warum sie nicht angewendet werden.
Weitere, wissenswerte
Einzelheiten: Fast alle auf- oder straffälligen Rechten sind in Arbeit
oder Ausbildung, Hintergrund eher Kleinbürgertum. Zwischen 14 und 17
Jahren steigt die Zahl ständig an, bleibt konstant bis 20 und nimmt dann
wieder ab. Ein fast völliges Fehlen von 25–27-Jährigen in der Szene
beweist dies. Es muss auch erwähnt werden, dass die neuen Bundesländer
rund elf Prozent Jugendliche, gegenüber sechs bis sieben Prozent in den
alten Bundesländern aufzuweisen haben, was in absoluten Zahlen natürlich
andere Werte ergibt.
Fremdenfeindliche Straftaten
werden fast zu 100 Prozent angezeigt, rechtsextreme und antisemitische
nicht. Letztere bestehen meist aus Holocaustleugnungen und
Sachbeschädigungen. Tatsache ist jedoch, dass in MV rechtsextremistische
und fremdenfeindliche Straftaten im Vergleich Januar bis August 1999 und
2000 deutlich abnahmen: 106 zu 61 (rechtsextrem), resp. 58 zu 49
(fremdenf.). Die Zahl der antisemitischen Straftaten hat sich nicht
verändert, die Aufklärungsquote liegt bei unter 40 Prozent, was auch an
der hohen Zahl anonymer Briefe liegt.
Hinse zum diskutierten Verbot der
NPD: «Wo die NPD in den Kameradschaften präsent ist, übt sie auf die
Gruppierungen eine primär gewaltreduzierende Wirkung aus, das ist
momentan ein Fakt, auch wenn wir nicht wissen, wie lange. Aber bei einem
generellen Verbot würden sowohl Stimmen als auch Steuergelder auf die
DVU und die Republikaner aufgeteilt werden und diese wiederum stärken.
Denn eines ist klar: Die Köpfe sitzen nicht im Osten.»
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