Yoel Bin-Nun wurde zwei Jahre vor der Gründung des Staates Israel
als Kind einer aus Osteuropa stammenden Familie in Haifa geboren.
Der Sohn eines Linguisten und Lehrers besuchte die Religionsschule,
ohne unter dem Minderwertigkeitskomplex zu leiden, der so viele
religiöse Jugendliche seiner Generation prägte.
Während die Heranwachsenden aus den säkularen Familien sich
freiwillig zu Kampfeinheiten und gefährlichen Missionen meldeten,
dienten die jungen Männer mit den gehäkelten Gebetskäppchen
vorzugsweise im Militärrabbinat oder in der Etappe. Yoel allerdings
ging zu den Fallschirmjägern, bevor er in die Jeschiwa Mercaz Harav
eintrat.
Zwar trieb ihn der gleiche messianische Eifer wie die anderen
Gründer der Gush Emunim, doch besaß er die seltene Gabe, andere
Meinungen tolerieren zu können, und zählte auch weltliche
Intellektuelle zu seinen Freunden. Während seine Freunde die
ideologischen Gegner als schwache und leere Seelen verachteten,
behandelte Bin-Nun sie immer mit Respekt. Mit geschickter Hand hielt
er auch ständig Verbindung zum säkularen politischen Establishment,
während er zugleich das Vertrauen der hitzigsten Siedler genoß,
denen beim Gedanken an weitere Eroberungen die Köpfe rauchten. Wo
andere die Gewalt predigten, blieb er ein standhafter Vertreter des
Dialogs. Diese Tugenden machten ihn zu einem gewichtigen Vertreter
der Siedlerbewegung. Nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens im
September 1993 ernannte man Bin-Nun zum Verbindungsmann zwischen dem
YeShA-Rat* und dem Büro des Ministerpräsidenten, denn er war in der
seltenen Lage, bei Rabin Gehör zu finden, der ihn wegen seiner
Integrität und seines Mutes, abweichende Ansichten zu vertreten,
bewunderte.
Während der achtziger Jahre beobachtete Bin-Nun mit wachsendem
Unbehagen, wie seine Landsleute zur Gewalt griffen, um Konflikte
auszutragen und ideologische Ziele zu erreichen. Ein Zwischenfall im
Februar 1983 erschütterte ihn heftig.
Yonah Abrushmi, ein von der zügellosen Rhetorik der Rechten
getriebener verbitterter junger Mann, warf in der Nähe des
Amtssitzes des Ministerpräsidenten eine Handgranate in eine Menge
von «Frieden jetzt»-Demonstranten. Ein Mann,
Emil Grunzweig, starb bei diesem Anschlag, elf weitere
Menschen wurden verletzt.
Nur gut ein Jahr später, im April 1984, kam das Beben noch näher:
Bin-Nun entdeckte, daß einer seiner Freunde, Yehudah Etzion, ein
führender Kopf des jüdischen Untergrunds war. Er wußte, daß Etzion
ungeduldig nach einer Abkürzung zur Erlösung suchte; des öfteren
hatten sie sich über seine radikalen Ansichten gestritten. Doch er
hätte nie geglaubt, daß ein Mann wie Etzion mit seinen Verdiensten
und seinem Ansehen in der Gush Emunim den Plan fassen könnte, die
Moschee auf dem Tempelberg zu sprengen. Je mehr er erkannte, wie
stark das nationalreligiöse Lager den jüdischen Untergrund
bewunderte, desto zorniger wurde er über die Urheber der verqueren
moralischen Haltung, die sich unter den Siedlern festsetzte. Bin-Nun
verlangte von seinen Kollegen, die extremistischen Rabbiner, die zu
Angriffen gegen Araber aufstachelten, zu verurteilen: «Wenn das
rabbinische Establishment dieses Problem weiterhin ignoriert, wird
es das Siedlungsprojekt in Yesha hintertreiben, das Ansehen der
Rabbiner insgesamt gefährden und eine Tragödie heraufbeschwören.» Er
forderte seine Mitstreiter im Gush Emunim zudem auf, ihre Werte
gründlich zu überprüfen und ihre Fehler zuzugeben. Doch er prallte
gegen eine Mauer aus zorniger Abwehr: Einen Grund, in sich zu gehen,
gebe es nicht.
Mitte der achtziger
Jahre steckte Bin-Nun voller Zweifel über den moralischen
Kurs der Siedlerbewegung. Er spürte, daß die rassistische Lehre
Rabbiner Meir Kahanes die Köpfe vieler seiner Mitstreiter
vergiftete. Ihn schauderte bei Berichten, wonach religiöse Fanatiker
Untergrundzellen bildeten, sich über das Recht erhaben fühlten und
keinen Hehl aus ihrer Verachtung für die Demokratie als «westlichem»
Wert machten. In diesen Jahren wucherte die Gewalt der jüdischen
Siedlermilizen, und er mußte immer wieder feststellen, daß die
religiösen und politischen Führer die rohe Gewalt einfach
ignorierten oder sie sogar guthießen.
Die geradezu versessene Beschäftigung mit der Heiligkeit und
Unberührbarkeit des Landes Israel, so Bin-Nun, sei dem jüdischen
Leben fremd. Vielmehr habe das Judentum der Heiligkeit des Lebens
immer den höchsten Rang verliehen. «Kein Land ohne Volk», predigte
er dem schrumpfenden Kreis jener, die ihm noch zuhören wollten. Nach
dem Massaker in der
Höhle der Stammesväter gab er alle Zurückhaltung auf und
verdammte das Lob, mit dem seine Rabbinerkollegen Dr. Baruch
Goldstein überhäuften, als «Lästerung des Allmächtigen und Schande
für die Thora».
Wie schon zuvor wandte sich Bin-Nun gegen die selbstgerechte Haltung
der Siedler, die glaubten, sie stünden immer auf der moralisch
richtigen Seite, weil sie Juden seien. Doch diese Warnungen vor der
rassistischen Verzerrung des Judentums, die bei so vielen religiösen
Siedlern Wurzeln geschlagen hatte, blieben ungehört. Der «Ideologe»
war nun in ebenjener Bewegung, die er mitgegründet und -aufgebaut
hatte, suspekt geworden. In manchen Siedlungen kursierte sogar das
Gerücht, er würde «mit den Linken kollaborieren».
Yoel Bin-Nuns Stellung unter den Siedlerfreunden war also schon
ernsthaft gefährdet, als er Ende 1994 hörte, daß sich ein neuer und
ausgesprochen gefährlicher Gedanke im Denken der religiösen
Gemeinschaft verbreitete...
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26-10-04