Gott führt Krieg
Der Mord an Rabin in den Augen eines israelischen Linken.
Amnon Kapeliuk: Rabin. Ein politischer Mord. Nationalismus und rechte
Gewalt in Israel. Aus dem Französischen von Miriam Magall. Palmyra Verlag,
Heidelberg 1997. 228 Seiten.
besprochen von Oliver Schmolke
Was macht einen Menschen zum Politiker? Mit dieser Frage wandte sich die
Journalistin Efrat Gal-Ed kürzlich an Shimon Peres. "Das Unmittelbare
unseres Schicksals. Wir waren von Arabern umgeben", lautete die sonore
Antwort des alten Staatsmannes, der nach dem Mord an Rabin noch einmal für
kurze Zeit das Amt des israelischen Ministerpräsidenten übernommen hatte,
nach der Wahlniederlage im Mai 1996 aber verbittert abtreten mußte und nun
auch die Führung der Arbeitspartei niedergelegt hat.
Mit der "Unmittelbarkeit des Schicksals" erinnert Peres sich an die
klareren Abgrenzungen seiner Jugendzeit: Es waren die Jahre vor der
Staatsgründung von 1948 und die dann folgenden Dekaden der
israelisch-arabischen Kriege. Jüdische Souveränität in Palästina mußte
gewonnen und behauptet werden. Die Zerstörung drohte von außen, der Feind
war die arabische Welt, die Moral, nie wieder wehrloses Opfer zu sein,
gebot militärische Schlagkraft. Peres machte Karriere im israelischen
Verteidigungsministerium und wurde Funktionär der Sicherheitspolitik.
Was macht einen Menschen zum politischen Mörder? Diese Frage, die über den
Tod von Rabin und über das politische Schicksal von Peres entschied, liegt
dem Buch von Amnon Kapeliuk zugrunde. Er richtet sie an den Attentäter,
Igal Amir, an dessen familiäres und universitäres Umfeld, an das rechte,
vor allem das religiös-politische Lager und schließlich an die gesamte
israelische Gesellschaft. Mit den Augen eines Linken, eines ehemals
kommunistischen Journalisten, der als erster Israeli Arafat interviewte,
zeigt Kapeliuk ein Land, dessen alte Gewißheiten aufgebraucht sind. Je
offensichtlicher die jüdisch-arabische Frontlinie aufbrach und je
realistischer die Chancen eines Friedens wurden, desto stärker wuchs das
Zerstörungspotential im Inneren Israels. Der militärische Konflikt über
die legitimen Grenzen des Staates übertrug sich auf die innerjüdische
Debatte. Als rechtsextreme Gegner der Osloer Verträge Plakate druckten,
die Rabin gleich Arafat mit palästinensischer Kiffiah auf dem Kopf
abbildeten, war damit die Haßikone der neuen Spaltung geschaffen: In den
90er Jahren wird kompromißbereiten Israelis die Rolle des arabischen
Feindes aufgedrängt. Einem nennenswerten und gewaltbereiten Teil der
Gesellschaft gelten säkulare Pragmatiker wie Rabin und Peres als Verräter.
Nationalreligiöse Fanatiker behaupten gar, die "Abtrünnigen" seien keine
Juden mehr.
Amir war 25 Jahre alt, als er auf Rabin schoß. Der selbstgerechte,
jüdisch-fundamentalistische Enkel tötete den über 70jährigen
Pionierzionisten und Armeeveteran, der im Tausch für den Frieden erobertes
Land zurückzugeben begonnen hatte. Beim Polizeiverhör gab Amir zu
Protokoll: "Wer immer das jüdische Volk gefährdet, wird sterben. Rabin
mußte sterben, und ich habe diese Aufgabe für das ganze Volk Israel auf
mich genommen."
Kapeliuk erläutert den Hintergrund dieser Selbstrechtfertigung. So hatte
Amir zwei Familien. Sein Elternhaus ist unauffälliger israelischer
Mittelstand. Seine Wahlfamilie aber fand er in der nationalistischen
Religionsschule, in der besonderen religiösen Abteilung einer Eliteeinheit
der Armee und an der nationalreligiös orientierten Bar-Ilan-Universität.
Amir durchlief in diesen angesehenen Institutionen die Schule der
Radikalisierung. Seine extremistischen Lehrer entwerten den Zionismus, der
ursprünglich neben der Staatsgründung vielmals auch den Ausgleich mit der
arabischen Region suchte, zum militanten Heilsprogramm der Landeroberung.
In ethnozentrischer Weltverengung wird aus der universalen jüdischen
Religion ein Kriegskult, dessen Exponenten Gott zum obersten Feldherrn
ernennen: "Gott nimmt an diesem Krieg teil, er hat ein persönliches
Interesse daran", lautet Kapeliuks Zitat des Bar-Ilan-Professors Hillel
Weiss.
Die Palästinenser sind der erste Feind, gegen den sich der "jüdische
Jihad" richtet. Palästinensischer Terror, mittlerweile unauflösbar in eine
Spirale der Gewalt und Gegengewalt eingespannt, bot Amir die Handhabe, den
zweiten Feind im eigenen Lager zu orten. Denn Rabin, der gemeinsam mit
Arafat die Formel gefunden hatte, daß fundamentalistische Anschläge den
Friedenprozeß nicht verhindern würden, wurde von fanatischen Rabbinern des
rechten Spektrums als "Rodef" denunziert, als "Verfolger", der sein
eigenes Volk gefährde.
Die politische Allianz, die direkt oder indirekt hinter dem Einzeltäter
Igal Amir stand und heute noch steht, motivierte Amnon Kapeliuk zu seiner
parteinehmenden Reportage. Eine konzentrierte Analyse wird daraus nicht.
Das unerreichte, nicht ins Deutsche übersetzte Standardwerk zu Geschichte
und Wirkungskraft des jüdischen Fundamentalismus bleibt Ehud Sprinzaks
Quellenstudie "Aufstieg der radikalen Rechten in Israel". Immerhin, für
den Leser, der israelische Tageszeitungen und Fernsehberichte nicht zur
Kenntnis nehmen kann, sammelt Kapeliuk Zitate und liefert lebendige
Nahaufnahmen aus dem prekären Alltag des Landes, das an der Schwelle zum
Frieden durch Bruderzwist gelähmt, durch religiösen Nationalismus
gefährdet scheint. Gravierende Schwächen des Buches sind ein
unsystematischer Aufbau, sinngemäße Doppelungen ganzer Passagen und
überflüssige Sensationslust. Die Vermutung liegt nahe, hier sei in großer
Hast einem populären Thema hinterher-geschrieben worden. |