Pessach- Haggada für
Yachad
- auf deutsch mit
traditionellen und alternativen Berachot
[glbt.israel-live.de]
Begrüßung
Schalom, chaverot vechaverim
Wir sind heute
abend zusammengekommen, um Pessach zu feiern, das Fest der Befreiung
unseres Volkes aus der Sklaverei in Ägypten. Zum Pessach- Seder versammeln
sich heute jüdische Familien in der ganzen Welt, um ihre Verbundenheit
miteinander und mit allen Juden der Welt zu feiern und zu stärken. Zu
ihnen gehören auch wir.
Wir sind heute zum Yachad- Seder beisammen. Auch wir sind eine Familie.
Wir haben eine Verbundenheit, die wir stärken möchten. Wir sind verwandt
durch unsere gemeinsame Entscheidung: als Jüdinnen und Juden, Lesben und
Schwule, Frauen und Männer, wollen wir zusammenwachsen und unseren Weg
gemeinsam gehen.
[Hinné ma tov umanáim]
Zünden der
Festkerzen
Jeder jüdische Feiertag wird mit dem Zünden der Festkerzen begonnen.
Bevor wir heute abend die Feiertagskerzen anzünden, hören wir ein Gedicht
von Channa Szenes. Sie war eine jüdische Widerstandskämpferin, die, zusammen
mit anderen jüdischen Frauen und Männern, mit ihrem Fallschirm hinter der
deutschen Front absprang, um zu versuchen, jüdische Menschen zu retten. 1944
wurde Channa Senesz in Ungarn gefangen genommen und am 7. November 1944
ermordet. Im Gefängnis schrieb sie dieses Gedicht:
„Gesegnet das Streichholz, das sich verbraucht, indem es die Flamme .
entzündet.
Gesegnet die Flamme, die immer brennt in den innersten Winkeln des
Herzens.
Gesegnet das Herz, das Würde bewahrt auch in seiner letzten Stunde.
Gesegnet das Streichholz, das sich verbraucht, indem es die Flamme
entzündet."
Alle stehen. Eine
Frau entzündet die Festkerzen
Barúch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, aschér kiddeschánu bemizvotáv weziwwánu
lehadlík ner schel chag hapéssach
Alle: Amen
Eine alternative Form der Beracha:
Jitromém
libbénu, teschováv nafschénu behadlakát ner schel chag hapessach
Unser Herz möge sich erheben, unsere Seele sich beleben, wenn wir das
Festlicht entzünden
Alle: Amen
Einstimmung
Schmuel Josef Agnon erzählt eine chassidische Geschichte:
"Wenn der Baal- schem etwas Schwieriges zu erledigen hatte..., dann ging
er an eine bestimmte Stelle im Wald, zündete ein Feuer an und sprach, in
mystischer Meditation versunken, Gebete- und alles geschah, wie er es sich
vorgenommen hatte.
Wenn eine Generation später Rabbi Dow- Bär, der Maggid von Mesritsch,
dasselbe zu tun hatte, ging er an jene Stelle im Wald und sagte: 'Das
Feuer können wir nicht mehr machen, aber die Gebete können wir sprechen'-
und alles ging nach seinem Willen.
Wieder eine Generation später sollte Rabbi Mosche Leib aus Sassow jene Tat
vollbringen. Auch er ging in den Wald und sagte: 'Wir können kein Feuer
mehr anzünden, und wir kennen auch die geheimen Meditationen nicht mehr,
die das Gebet beleben; aber wir kennen den Ort im Wald, wo all das
hingehört, und das muß genügen'. Und es genügte.
Als aber wieder eine Generation später Rabbi Israel von Ruzhin jene Tat zu
vollbringen hatte, da setzte er sich in seinem Schloß auf seinen goldenen
Stuhl und sagte: 'Wir können kein Feuer machen, wir können keine Gebete
sprechen, wir kennen auch den Ort nicht mehr, aber wir können die
Geschichte davon erzählen.'
Und seine Geschichte allein bewirkte das gleiche wie die Taten der drei
anderen."
Martin Buber schrieb:
„Zu Pessach wird jede
feiernde Generation mit der ersten vereint und mit allen, die ihr folgten.
Wie bei jenem ersten Pessach die Familien sich zu einem lebendigen Volk
vereinten, so vereinen sich in der Pessachnacht die Generationen unseres
Volkes Jahr um Jahr."
Wir, versammelt um diesen Tisch, vereinen uns mit allen Generationen
unseres Volkes, wenn wir jetzt unsere Feier beginnen.
Kaddésch
Alle sitzen (anders als am Schabbat!)
Der erste Kelch
Dieser Kelch ist unseren eigenen Vorfahrinnen und Vorfahren gewidmet- denen,
an die wir uns noch erinnern, und auch denen, deren Namen uns verloren
gegangen sind. Im Gedenken an sie mit ihnen vereint, als ihre Töchter und
Söhne, trinken wir den ersten Kelch.
Barúch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, boré pri hagáfen.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjím, matzmíchat pri
hagáfen
Nur am ersten
Sederabend:
Barúch attá, adonáj
elohénu, mélech haolám, schehechejánu vekijjemánu vehiggiánu lasmán hasé.
Gesegnet seist du, Gott, Schöpfer der Welt, der du unser Volk geheiligt
hast, indem du uns Gebote gabst, damit wir sie erfüllen, und der du uns
Festtage gabst, uns zur Freude. Heute abend feiern wir das Pessachfest, um
uns an ein heiliges Ereignis zu erinnern: an unsere Befreiung aus der
Sklaverei in Ägypten.
Alle: Amen Alle trinken
Rachaz- das Waschen
der Hände
Man schöpft mit einem Glas Wasser aus einer kleinen Schüssel und gießt
es sich über den rechten, dann über den linken Handrücken. Das ist ein
Symbol für die innere Bereitschaft, und von unwichtigen und störenden
Gedanken ab und ganz dem Inhalt des Festes zuzuwenden
.
Karpas
Die grüne Petersilie
steht für die erneuernde und Leben erweckende Kraft des.
Frühlings. Sogar im Frost des Winters überlebt ihr Grün. So erinnert es
auch an das
Überleben unseres Volkes in der Kälte der Bedrückung.
Das Salzwasser steht für die Tränen, die wir vergossen haben, als wir
Sklavinnen
und Sklaven in Ägypten waren. Es steht auch für das Leid, die wir heute
empfinden, wenn wir als Jüdinnen und Juden, als Frauen und Lesben, als
schwule
Männer unterdrückt werden. Heute abend wandeln wir unsere Unterdrückung
und
Wut in Stolz und Freude
Man nimmt ein Stück
von dem Grün, stippt es in Salzwasser und ißt es nach dem Segensspruch:
Barúch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, boré pri haadamá.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjím, matzmíchat pri
haadamá
Jáchaz: Das Brechen
der mittleren Mazza
Die mittlere der drei Mazzot auf dem Sederteller wird in der Mitte
durchgebrochen. Eine Hälfte bleibt auf dem Teller, die andere wird
eingewickelt und als Afikoman (ein griechisches Wort, das auf deutsch soviel
wie „Nachtisch" bedeutet) irgendwo versteckt.
Maggid: Die Geschichte unserer Befreiung aus der Sklaverei
Der Sederteller wird erhoben bis zum Ende des Abschnitts
Das ist das Brot der
Unglücks, das unsere Vorfahrinnen und Vorfahren in Ägypten gegessen haben.
Alle, die Hunger haben, sollen kommen und mit uns essen. Alle, die Hunger
nach geistiger Nahrung haben, sollen kommen und Pessach mit uns feiern,
damit wir zusammen unser geistiges Erbe wieder entdecken und miteinander
erneuern. Jetzt sind wir noch bedrückt. Wir leben in einer Welt, in der
mächtige Kräfte ihre Macht mißbrauchen- gegen Minderheiten, gegen Arme,
Hilflose, Alte, gegen Tiere und gegen unser aller Mutter, die Erde.
Nächstes Jahr wollen wir Freie sein in einer befriedeten Welt. Jetzt sind
wir noch hier- nächstes Jahr wollen wir in Jerusalem sein. In diesem Jahr
ist in Jerusalem noch Feindschaft und Haß, Tod, Qual und Unrecht. Sie, die
für heute dort für ihre Befreiung kämpfen, sind jetzt die Unterdrückten.
Ihre Unterdrückung ist unsere Schande. Mögen sie im nächsten Jahr frei
sein.
Die vier Fragen
Der/die Jüngste in der Runde fragt, der/die Älteste antwortet
Warum ist dieser Abend
anders als andere Abende? An allen Abenden essen
wir entweder Brot oder Mazza, heute nur Mazza?
Wir essen gemeinsam
dieses ungesäuerte Brot, um uns daran zu erinnern, daß unsere Vorfahren in
der Eile, mit der sie Ägypten verlassen mußten, nicht warten konnten, bis
das Brot aufgegangen war, und es deshalb vom Ofen nahmen, als es noch flach
war.
An allen Abenden essen
wir alle möglichen Kräuter, aber an diesem nur bittere?
Wir essen gemeinsam von
den bitteren Kräutern, um uns daran zu erinnern, wie bitter das Schicksal
von Menschen ist, die versklavt werden
An allen anderen
Abenden stippen wir gar nicht, an diesem gleich zweimal?
Wir stippen zweimal
während dieses Mahles: grüne Kräuter in Salzwasser und Bitterkraut in
Charoset- einmal, um Tränen durch Dankbarkeit zu ersetzen, und das zweite
Mal, um die Verbitterung und das Leid zu versüßen.
An allen anderen
Abenden essen wir entweder sitzend oder angelehnt, aber an diesem Abend
nur angelehnt?
Im Altertum durften nur die Freien angelehnt essen. Indem wir heute abend
angelehnt essen, stellen wir dar, daß wir freie Menschen sind.
Wir lesen reihum die
Geschichte des Auszugs aus Ägypten
Sklaven des Pharao waren wir in Ägypten. Die Tora erzählt uns, wie wir von
dort auszogen „mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm", das heißt durch
Widerstand und Erhebung. Wären wir nicht aus der Sklaverei Ägyptens befreit
worden, dann würden wir, unsere Kinder und Enkel, unsere Eltern und
Großeltern, unsere Schwestern und Brüder, unsere Verwandten, Freundinnen und
Freunde und alle, die heute abend um diesen Tisch sitzen, immer noch Sklaven
unter einem Pharao sein. Darum: wären wir auch alle weise, alle gebildet,
alle tief vertraut mit unserem jüdischen Erbe- wir wären dennoch
verpflichtet, wieder und wieder die Geschichte von unserer Befreiung zu
erzählen, damit sie nie vergessen werde.
So fing alles an: Unsere Vorfahren Sara und Abraham hatten ein Kind, Isaak.
Der heiratete Rebekka. Sie gebar Zwillinge, Jakob und Esau. Jakob, der
später Israel genannt wurde, lebte in Kanaan und gebar viele Kinder.
Einer der Söhne, Joseph, war der Liebling des Vaters. Seine Brüder
beneideten ihn deswegen und wollten ihn umbringen. Schließlich verkauften
sie ihn aber an reisende Händler, die ihn nach Ägypten brachten und dort
weiter verkauften. Aber Joseph brachte es weit in Ägypten und stieg zum
Statthalter des Pharao auf.
Als später in Kanaan eine Hungersnot ausbrach, zogen Jakobs Söhne nach
Ägypten, um Getreide zu kaufen. Sie trafen dort auf Joseph, der sich mit
ihnen versöhnte und auch seinen Vater nach Ägypten kommen ließ. Die Familie
Jakobs wohnte in einem bevorzugten Teil des Landes, wo es genug zu essen
gab. Sie vermehrte sich im Lauf der Jahrhunderte stark und wuchs zu einem
großen Volk heran.
Schließlich fürchteten die Ägypter, die Israeliten könnten ihrer Herrschaft
gefährlich werden. Sie entrechteten die Israeliten und drückten sie in den
unfreien Sklavenstand hinab, zwangen sie zu schwerster Arbeit als
Ziegelbrenner und Bauarbeiter und quälten sie auf alle Weise.
Da leisteten die Israeliten Widerstand. Sie weigerten sich, mit ihren Frauen
zu schlafen, damit keine Sklavenkinder mehr geboren würden. Die Frauen
wehrten sich: Wenn keine Kinder mehr geboren würden, bedeute dies das
sichere Ende des Volkes. Sie setzten sich durch. So sorgten die
israelitischen Frauen dafür, daß das Volk Israel auch unter
Sklavenbedingungen nicht ausstarb. Der Tapferkeit und der List ihrer Frauen
verdankten die Israeliten damals ihr Überleben.
Doch die Bedrückung wurde immer schwerer. Der ägyptische Herrscher strebte
die Ausrottung der Israeliten an. Er befahl den Hebammen, jedes männliche
Kind im Nil zu ertränken. Doch die beiden Hebammen Schifra und Pua
unterliefen diesen Plan mit einer List. So retteten sie ihr Volk vor dem
Untergang.
Eine israelitische Mutter gebar einen Jungen, den sie, um ihn vor den
Nachstellungen der Ägypter zu retten, im Schilf des Flußufers versteckte.
Dort fand ihn die Tochter des Pharao beim Baden und nahm ihn zu sich, um ihn
als ihr Kind aufzuziehen. Sie nannte ihn Mosche. Mosche wuchs wie ein
Ägypter auf. Doch als erwachsener Mann fand er zu seinem Volk zurück. Er
wurde dessen Anführer und forderte vom Pharao die Freilassung aller
Israeliten. Pharao weigerte sich, auch als Mosche ihm im Namen Gottes
furchtbare Katastrophen ankündigte.
Die Ägypter durchlitten nun zehn schreckliche Plagen.
Bei Erwähnung jeder der im Text unterstrichenen Plagen tauchen wir einen
Finger in den Wein und sprengen einen Tropfen auf den Teller - nicht aus
Schadenfreude über fremdes Leid, sondern um unsere Freude, die der Wein im
Kelch symbolisiert, mit jedem Tropfen um ein weniges zu mindern, weil damals
so viele Menschen sterben mußten.
Zuerst wurden alle Gewässer in Ägypten zu Blut. Dann wurde Ägypten von
Fröschen, danach von Stechmücken, schließlich von Fliegen übersät. Die
fünfte Plage, eine Viehseuche, rottete die ägyptischen Rinder und Schafe
aus. Als sechste Plage wurden die Ägypter von Pestbeulen befallen. Danach
zerstörte Hagel die gesamte Ernte. Heuschrecken fraßen auf, was noch übrig
war. Als der Pharao immer noch nicht nachgeben wollte, wurde das Land drei
Tage lang in undurchdringliche Finsternis getaucht. Jetzt wollte der Pharao
Mose gehen lassen- aber nur ihn. Mose erwiderte: „Wir werden alle gehen, mit
den Jungen und den Alten, mit Söhnen und Töchtern, mit unseren Schafen und
Rindern." Als der Pharao dies wiederum verweigerte, kündigte ihm Mose die
zehnte Plage an: jede männliche Erstgeburt, ob von Menschen oder Vieh, werde
in der folgenden Nacht sterben. Die Israeliten blieben verschont, weil Mose
jede Familie lehrte, ein Lamm zu schlachten und die Türpfosten mit Blut zu
bestreichen. Die ägyptischen Erstgeborenen starben. Jetzt konnte der Pharao
das Elend nicht mehr ertragen. Er gab die Israeliten frei.
Doch nach einigen Tagen bereute der Pharao seine Entscheidung wieder. Er
setzte sich an die Spitze seines Heeres und zog mit Reitern und Streitwagen
den Israeliten nach. Diese waren jetzt in höchster Gefahr, eingekeilt
zwischen dem Meer und der feindlichen Übermacht im Rücken.
Aber Mose ermutigte die Israeliten, in das Meer zu gehen. Sie wagten es.
Zuerst tat Mirjam mit anderen Frauen den Schritt, dann auch die Übrigen. Sie
erlebten, wie das Wasser sich vor ihnen teilte, so daß sie trockenen Fußes
hindurchgehen konnten. Weil sie ein Wagnis eingingen, das unsinnig zu sein
schien, wurden die Israeliten gerettet. Am Anfang der Freiheit stand das
Wagnis. Über den nachsetzenden Ägypter aber schlugen die Wellen zusammen und
begruben sie.
Alle: In jeder Generation sollen Juden und Jüdinnen des Auszugs aus Ägypten
gedenken, als ob sie eben erst selbst aus Ägypten befreit worden wären. Denn
es heißt: „Und ihr sollt euren Kindern von jenem Tag erzählen mit den
Worten: ‚Dies tat Gott, um mich aus Ägypten zu befreien.‘ Denn Gott hat
nicht nur damals unsere Vorfahren und Vorfahrinnen befreit, sondern ebenso
auch uns.
[Dajjenu?]
Die vier jungen Leute
Nach der Überlieferung
gibt es vier Typen von jüdischen Menschen: den
weisen, den bösen, den oberflächlichen und den ahnungslosen.
Heute können wir das so
verstehen:
Der weise ist der, der immer wieder seine jüdischen Wurzeln aufsucht und
durch Studium und Erfahrung unser Erbe und dessen Bedeutung immer besser
kennen lernt. Er/sie weiß, daß wir nur in der Bindung an unser jüdisches
Erbe und an die Gemeinschaft Juden und Jüdinnen bleiben können.
Der böse ist der, der sein Jüdisch- Sein verleugnet, weil er es zu lästig
und peinlich findet. Er läßt die Gemeinschaft im Stich und bleibt somit
einsam. Er ist darum böse vor allem zu sich selbst.
Der oberflächliche ist der, der in die Synagoge geht und Traditionen
befolgt, aber nicht tiefer nachfragt. Er schmückt sein Leben mit jüdischen
Verzierungen, aber sie prägen sein Leben und Denken nicht.
Der ahnungslose ist so weit entfernt von allem Jüdischen, daß er nicht
einmal danach zu fragen weiß.
Wir sollen Suchende und
Fragende fördern und bei ihrem Bemühen ermutigen, so gut wir können. Wir
sollen Entfremdete fragen, warum sie sich von uns entfernt halten und zu uns
einladen, weil sie. trotz allem ein Teil des jüdischen Volkes sind. Wir
sollen den Oberflächlichen Lust machen, tiefer in unser Erbe einzudringen.
Wir sollen auch solche, die nichts von ihrem Judentum wissen, mit offenen
Armen bei uns aufnehmen, denn auch sie gehören zu uns.
Die drei Pessach-
Symbole
Rabbi Gamliel lehrte: Wer beim Seder nicht die drei Symbole von Pessach
beachtet, hat das Fest nicht richtig gefeiert. Es sind dies: Pessach,
Mazza und Maror.
Pessach
Warum haben wir einen
Knochen auf unserem Teller? Um an das geopferte Lamm zu denken, das unsere
Vorfahrinnen und Vorfahren am Abend vor ihrem Aufbruch aus Ägypten
schlachteten, um mit seinem Blut ihre Türpfosten zu bestreichen und sich
damit nach außen kenntlich zu machen, damit der Tod an ihnen vorübergehe;
denn Pessach heißt Vorübergang. Wir verstehen es als Symbol der Weigerung
von Menschen, sich zu verstecken und sich nicht offen zu ihrem Volk zu
bekennen, ein Bekenntnis zu Aufstand und Aufbruch. Für uns als jüdische
Lesben und Schwule ist es ein Symbol, das uns daran auffordert, Mut zur
Offenheit zu fassen und zu uns und zueinander zu stehen.
Mazza
Warum essen wir Mazza?
Die Mazza ist ein Symbol für den eiligen Aufbruch aus dem Exil in die
Freiheit. Wir verstehen sie heute als Symbol unserer Würde: wir ziehen die
Freiheit dem Überfluß vor, die Echtheit der Täuschung. Die Mazza kann uns
auch daran erinnern, mit unserer eigenen Befreiung keine Zeit zu verlieren
und aus allem aufzubrechen, was uns unfrei macht.
Baruch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, hamozí léchem min haárez.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjím, hamoziá léchem min haárez.
Alle: Amen
Alle essen von der
Mazza , die der Leiter/die Leiterin zerbricht und verteilt
Maror
Warum essen wir
bittere Kräuter? Das Bitterkraut steht für die Bitterkeit der Sklaverei,
die die Israeliten in Ägypten erleiden mußten. Es soll uns aber ebenso
daran erinnern, daß auch heute unzählige Millionen Menschen in Versklavung
leben müssen, Männer, Frauen und Kinder, und daß wir ihnen helfen sollen,
wenn sie um ihre Befreiung kämpfen.
Barúch attá,
adonaáj elohénu, mélech haolám, aschér kiddeschánu bemitzvotáv vezivvánu
al achilát marór.
Alternativ: Jippatách libbénu, titamek havanaténu baakilát marór
Möge unser Herz aufgetan werden und unser Verstehen [des Leides] sich
vertiefen beim Essen des Bitterkrauts. Alle: Amen
Alle essen von dem
Merrettich
Charoset
Im gelbbraunen
Charoset sind Äpfel, Nüsse, Zimt und Wein vermischt und zerkleinert. Es
erinnert uns an den Lehm für die Ziegel, den die Israeliten für den Bau
der ägyptischen Städte brennen mußten. Der süße Geschmack weit darauf hin,
wie süß die Freiheit schmeckt.
Warum stippen wir das Bitterkraut in das Charoset? Es ist ein Symbol
dafür, daß die Bitterkeit der Versklavung durch den süßen Vorgeschmack der
Freiheit gemildert wird, und soll uns Mut machen, wenn der Kampf um die
Befreiung uns zu lange zu dauern scheint.
Alle stippen Maror
in Charoset und essen.
Warum essen wir Mazza,
die für Freiheit steht, bevor wir Maror essen, das an Sklaverei erinnert?
Zuerst kam damals doch die Sklaverei, danach die Freiheit. Unsere Lehrer
sagten: „Nur nachdem wir den Geschmack der Freiheit gekostet hatten,
konnten wir fühlen, wie bitter Sklaverei schmeckt." Rabbi Hanoch von
Alexander lehrte: „Die eigentliche Versklavung in Ägypten bestand darin,
daß die Israeliten sich mit ihr abgefunden hatten."
Koréch
Die unterste Mazza
wird gebrochen, Maror und Charoset wird zwischen zwei Mazzastücke gelegt.
Barúch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, aschér kiddeschánu bemizwotáw weziwwánu al
achelát léchem umarór.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjím venitbaréch baachilát léchem
umarór
Wir segnen die Quelle des Lebens und werden gesegnet beim Essen von Mazza
mit Maror.
Alle: Amen
Alle essen Mazza mit
Merrettich und Charoset; dieser Brauch geht auf ein Vorbild des großen
Lehrers Hillel zurück.
Das Ei
Das Ei ist als Symbol
später dazugekommen. Der jüdische Lehrer Hatám Sofér sagt:
„Das Ei steht für die Lebenskraft des jüdischen Volkes. Denn gewöhnlich
werden
Nahrungsmittel weich, wenn sie gekocht werden. Eier dagegen werden immer
härter,
je länger man sie kocht. So sind auch wir Juden immer stärker geworden, je
länger
man uns unterdrückte. Darum geh und lerne, wie die Feinde unseres Volkes
uns
immer wieder unterdrückten und zu vernichten suchten. Aber wir überlebten,
so
lange wir geistig widerstehen konnten, so lange wir. Wir festhielten an
unserem
Erbe, unseren Traditionen, unseren Werten, wie groß auch immer die
Gefahr war. Die unerschütterliche Solidarität des jüdischen Volkes und
unsere Kultur,
hielt uns zweitausend Jahre am Leben.
Alle nehmen ein Ei,
salzen und essen es
Der zweite Kelch
Wir trinken diesen
zweiten Kelch zu Ehren der unzähligen Männer und Frauen, die trotz aller
Belastungen Juden und Jüdinnen blieben in zweitausend Jahren Exil.
Barúch attá,
adonáj elohénu, mélech haolám, bore pri hagafen.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjim, matzmíchat et pri
hagáfen
Alle: Amen
Festmahl: Haschulchan
aruch!
Afikoman
Wir essen den
Afikoman, um uns daran zu erinnern, daß auch Jüdinnen und Juden, die sich
von der jüdischen Gemeinschaft getrennt haben, wieder gefunden und mit uns
vereint werden können
Die versteckte und
wiedergefundene Mazzahälfte wird in kleine Teilchen zerbrochen, die verteilt
und gegessen werden.
Baréch- Dank nach
dem Essen
Eine/Einer
Du bist die
Quelle des Lebens und aller Dinge
Für dich singen wir
Du nährst die Welt mit Güte und erhältst sie in Gnade
Wir finden dich im Staub und in der Leere des Raums
Wir schmecken dich in der Nahrung, die wir essen, und sehen dich in den
Gesichtern unserer Freunde
Du stärkst unsere Freude mit einer Liebe, die niemals endet
Alle:
Nevaréch et ejn hachajjím vekó nitbaréch
Wir segnen die Quelle des Lebens; so werden wir selbst gesegnet
Eine/Einer:
Du bist die Quelle des
Lebens und aller Dinge
Für dich singen wir
Wir danken dir für den Regen, der den fruchtbaren Boden wässert
Und für alle Pflanzen und Tiere, von denen deine Welt voll ist
Wir füllen unsere Becher bis zum Überfließen aus dem Strom deiner Liebe
Wir graben unsere Wurzeln in deine Erde und sehen, wie unsere Zweige
wachsen
Alle:
Nevaréch et ejn hachajjím vekó nitbaréch
Eine/Einer:
Du bist die Quelle des
Lebens und aller Dinge
Für dich singen wir
Du füllst unsere Augen mit Visionen von einem Himmel hier auf Erden
Sie wecken uns, dem Aufruf nach unserer eigenen Geburt zu begegnen
Wir wollen nicht warten, bis das Reich des Messias anbricht
Unser Mitleid mit dem Schmerz der Welt läßt uns das neue
Jerusalem schon bauen in unseren Herzen
Alle:
Nevaréch et ejn hachajjím vekó nitbaréch
Eine/Einer:
Du bist die Quelle des
Lebens und aller Dinge
Für dich singen wir
Und selbst wenn wir meinen, mit allem am Ende zu sein
So bist du in uns und läßt uns hoffen
Du bist gut. Das wird unseren Weg erhellen
Du bist da. Wir können gehen, auch ins Unbekannte.
Alle: Nevaréch
et ejn hachajjím vekó nitbaréch
Der dritte Kelch
Wir trinken den dritten
Kelch zu Ehren des jüdischen Widerstandes, insbesondere auch des
Widerstandes der jüdischen Frauen, von Judith bis zu den Schwarzen Müttern
in Tel-Aviv.
Barúch attá,
adonáj elohénu, meléch haolám, boré pri hagáfen.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjim, matzmíchat et pri hagáfen
Alle: Amen
Elijahu
Ein überzähliger Kelch
mit Wein auf dem Tisch ist für den Propheten Elijahu bestimmt. Es ist ein
Kelch der Hoffnung. In seiner Zeit kämpfte Elijahu gegen eine korrupte
Regierung, gegen Ungerechtigkeit und gegen die Abwendung vom jüdischen
Erbe.. Darum ist er ein Symbol des Widerstandes. Nach der jüdischen
Legende soll er niemals gestorben sein. In schweren Zeiten soll Elijahu
erscheinen, um Erleichterung zu spenden und Hoffnung zu säen. Vor allem
soll Elijahu nach unserer Überlieferung das Nahen der messianischen Zeit
ankündigen, die Zeit ewigen Friedens und unzerstörbarer Freiheit. Möge er
nun auch in dieses Haus kommen mit seiner Botschaft von der zukünftigen
Erneuerung der Welt.
Der Kelch wird
gefüllt. Dann geht jemand zur Tür des Zimmers und öffnet sie
Möge der Prophet
Elijahu, Künder der messianischen Zeit, bald kommen, noch in
unseren Tagen
Alle: Amen
[Lieder nach
alter und neuer Tradition Elijahu hanavi, Chad gadja, Echad ani jodea
etc]
Der vierte Kelch
Wir trinken den
vierten und letzten Kelch an diesem Sedermahl im Gedenken an den Staat
Israel und alle Menschen, die in ihm leben. Wir gedenken besonders der
Jüdinnen und Juden, die sich heute für ein Zusammenleben von Juden und
Palästinensern in Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung eingesetzt und
dafür Verleumdungen und Bedrohungen in Kauf nahmen, ja selbst ihr Leben
dabei aufs Spiel gesetzt haben und dies auch weiterhin tun. Wir gedenken
auch der Lesben und Schwulen in Israel, die sich selbst unter Bedrückungen
und Verfolgungen treu geblieben sind.
Barúch attá,
adonáj elohenu, meléch haolám, boré pri hagáfen.
Alternativ: Nevaréch et ejn hachajjím matzmíchat et pri
hagáfen
Alle: Amen
Schluß des Seder
Dreißig Jahrhunderte haben wir Juden und
Jüdinnen dieses Ritual gefeiert. Aber nie werden wir damit fertig werden
und aufhören, zu fragen, was es für uns bedeutet und wohin es uns führt.
Was werden wir zu tragen haben? Wer wird mit uns gehen? Welche Vision von
Zukunft wird uns vorangehen?
Wir
beenden unseren Seder mit den altüberlieferten Worten:
In diesem Jahr
feiern wir hier- im nächsten in Jerusalem. In einer Stadt, die allen,
die in ihr wohnen, Frieden gewährt.
Und für unsere Reise in die kommende Zeit, für alle unsere geistigen und
körperlichen Reisen, geben wir einander den Segen mit:
Mögen wir gesegnet sein, wenn wir aufbrechen
Möge Friede uns geleiten
Mögen wir beschenkt sein mit Gesundheit und Freude
Mögen wir gehalten sein in Sicherheit und Liebe
Möge Freundlichkeit und Solidarität jeden von uns tragen.
Das sei unser Segen füreinander.
Alle:
Amen
Berlin 1999 / 5759,
zusammengestellt von
Felice-Judith Ansohn
für die Gruppe Yachad Berlin
Yachad ist ein Zusammenschluß von schwulen, lesbischen und
transsexuellen Juden /Jüdinnen mit mehreren Regionalgruppen
agudah.israel-live.de -
Jews in Berlin
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