Tschechisches Telegramm
Verband der tschechischen Zwangsarbeiter stellt seine
Tätigkeit ein:
Nicht einmal jeder Zehnte erhielt je eine
Entschädigung
01.08.2004 - Schauplatz - Robert Schuster
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Vor einigen Wochen verbreiteten tschechische
Medien die Meldung, wonach der Verband der tschechischen Zwangsarbeiter seine
Tätigkeit offiziell einstellen will. Diese Vereinigung vertrat in den
vergangenen Jahren jene tschechischen Bürger, die während des Zweiten
Weltkrieges von den Nazis gezwungen wurden, meistens in deutschen oder
österreichischen Rüstungsunternehmen Schwerstarbeit zu leisten.
Die
Gründe für diese Entscheidung, die der Verband bereits vergangenen Herbst auf
einem Delegiertentag beschlossen hatte, lassen sich relativ einfach
nachvollziehen, denn sie hängen in erster Linie mit dem hohen Alter der
Verbandsmitglieder zusammen. Zwar sollen das zentrale Büro in Prag und in den
größeren Städten nach wie vor erhalten bleiben, die weitaus kleineren
Zweigstellen, welche ursprünglich in jedem der 81 tschechischen Bezirke
vertreten waren, sollen jedoch aufgelöst werden.
Entstanden ist der tschechische Zwangsarbeiterverband unmittelbar nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs im Frühjahr 1990. Am Gründungstreffen in Moravske
Budejovice / Budiwitz nahmen damals mehrere Hunderte ehemals Betroffene teil,
in den Folgejahren stieg die Zahl der Mitglieder stellenweise auf bis zu mehr
als 45 000 an.
Schon bei diesem ersten Treffen wurden die wichtigsten
Ziele des Verbandes festgelegt, wie sich der langjährige Vorsitzende des
Verbands, Karel Ruzicka, im Gespräch mit Radio Prag erinnert:
"Bei der Gründung unseres Verbandes wurden einige ganz konkrete Ziele
formuliert. In erster Linie ging es darum, alle noch lebenden Personen
anzusprechen und zu registrieren, die während des Krieges Zwangsarbeit
verrichten mussten. Damit hängt eine weitere große Aufgabe zusammen, nämlich
alle noch vorhandenen Dokumente, Fotos und dergleichen zu sammeln, sie als
historische Quellen zu archivieren und somit auch die Erinnerung an diese Zeit
für die künftigen Generationen zu erhalten. Und nicht zuletzt war es ein
weiteres erklärtes Ziel, eine gewisse Entschädigung für die Zeit der
Zwangsarbeit von der deutschen Regierung zu erhalten, die die Rechtsnachfolge
des früheren Deutschen Reiches antrat."
In
der Regel dauerte der Zwangseinsatz der tschechischen Arbeiter zwei Jahre, in
einigen Fällen aber auch länger. Viele der Betroffenen hatten danach mit
Dauerfolgen und schweren Erkrankungen zu kämpfen. Auch deshalb versuchte der
Verband von Beginn an so schnell wie möglich zu erreichen, dass die Opfer von
einst im Nachhinein zumindest symbolisch entschädigt werden. Deutschland rief
die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" ins Leben und stellte eine
Summe von 10 Milliarden D-Mark zu Entschädigungszwecken zur Verfügung, die je
zu einer Hälfte von der Bundesregierung auf der einen und der deutschen
Wirtschaft auf der anderen Seite getragen wurde. Nach langwierigen
Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und von zehn mittel- und
osteuropäischen Ländern über die Verteilung dieser Mittel konnte dann im
Frühjahr 2000 eine entsprechende Einigung getroffen werden. Ein Jahr später
hat auch Österreich einen eigenen Entschädigungsfonds ins Leben gerufen und
begann ebenfalls Gelder an die Betroffenen zu überweisen.
Für die tschechischen Zwangsarbeiter, so Karel
Ruzicka, war von Beginn an klar, dass es sich bei der Verwirklichung dieses
Anliegens im wahrsten Sinne des Wortes um einen Wettlauf mit der Zeit handeln
würde, wobei jede weitere Verzögerung die Zahl der Empfänger verringert hätte.
Lässt sich sagen, wie viele der Zwangsarbeiter von einst tatsächlich noch
leben und nach den vielen Jahren entschädigt wurden? Hören Sie dazu Karel
Ruzicka:
"Bis zum heutigen Tag wurden 54 000 Menschen in unserem Land entschädigt, die
in den Jahren des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit verrichten mussten. Wenn ich
das mit den Zahlen der jungen Männer und Frauen vergleiche, die in
Zugtransporten meistens nach Deutschland oder Österreich gebracht wurden, ist
das nur ein äußerst geringer Prozentsatz, denn die Schätzungen - da haben wir
leider keine genauen Zahlen - gehen von ungefähr 600 000 Zwangsarbeitern aus."
Eine
weitere wichtige Aufgabe sah der tschechische Zwangsarbeiterverband darin, das
Schicksal der mehr als einer halben Million Tschechen festzuhalten und zu
dokumentieren, die von der Zwangsarbeit für die Nazis betroffen waren. So
sammelten sich allmählich nicht nur beachtliche Berge von Dokumenten und
anderen Gegenständen aus dieser Zeit an, sondern es entstanden auch Kontakte
zu Historikern, sowohl in Tschechien, als auch in Deutschland, die sich mit
dem Thema der Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs wissenschaftlich
auseinander setzten, jedoch keinen Zugang zu Archivmaterialien hatten. Das
Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren nicht nur einige Ausstellungen, sondern
auch einige internationale Symposien. Viele der gesammelten Dokumente wurden
später an das tschechische Staatsarchiv übergeben und mittlerweile
herausgegeben, die Publikation eines anderen Teils der historischen
Zeitdokumente wurde wiederum von der deutsch-tschechischen Stiftung
"Brücke-Most" finanziell getragen.
Die Bereitschaft der Betroffenen über ihre
damaligen Erlebnisse zu sprechen, war laut Verbandschef Karel Ruzicka ganz
besonders wichtig. Und zwar nicht, um die Ereignisse nach den vielen Jahren
verarbeiten zu können, sondern um sie auch als Warnung an die nächsten
Generationen weiterzugeben, wie Herr Ruzicka erläutert:
"Als unser Verband seinerzeit gegründet wurde, hatten nur die Wenigsten in der
jüngeren und jüngsten Generation eine Vorstellung von unseren Zielen und nur
eine geringe Ahnung davon, dass es so etwas wie Zwangs- und Sklavenarbeit gab.
Seither hat sich vieles geändert. Da wir von Beginn an unsere Mitglieder
baten, alte Fotos, Dokumente und andere Gegenstände wie etwa Häftlingskleidung
zu schicken, konnten wir im Verlauf der Jahre landesweit insgesamt elf
Ausstellungen veranstalten, die unter anderem auch von Schulklassen besucht
wurden. Ein weiterer Schritt war, dass unsere Mitglieder häufig in Schulen
eingeladen wurden. Heute ist also die Zahl derer, die gar nichts über die
Zwangsarbeit während des Krieges wissen, wesentlich geringer."
Gerade für die heutigen Schulkinder scheinen
Ereignisse, die mehr als sechzig Jahre zurückliegen, längst vergangene
Geschichte zu sein. Zudem wird schon seit langem nicht nur von Angehörigen der
Erlebnisgeneration bemängelt, dass das allgemeine Geschichtsbewusstsein gerade
bei der Jugend stark rückläufig oder in vielen Fällen sehr gering ist. Wie
waren also die Reaktionen der Schulkinder bei den Treffen mit ehemaligen
Zwangsarbeitern? Hören Sie dazu noch einmal den Vorsitzenden des Verbands der
tschechischen Zwangsarbeiter, Karel Ruzicka.
"Bei den Besuchen an den Schulen, egal welchen
Typs, waren wir immer überrascht über das große Interesse. Besonders freuen
wir uns, dass wir diese Vortragsreisen auch an Schulen und Universitäten in
Deutschland vornehmen konnten - etwa in Berlin, Hamburg oder Jena. Ich selber
war vergangenen Monat in der Nähe von Leipzig, wo ich eine Schule besuchte.
Die Anwesenden haben mit großem Interesse meine Ausführungen verfolgt und
viele Fragen gestellt. Ich war also sehr positiv überrascht, wie ich dort
aufgenommen wurde. Das zeigt auch, dass der Weg, für den sich der
Zwangsarbeiterverband gleich am Anfang entschieden hat, nämlich mit unseren
Erlebnissen - sowohl zu Hause, als auch in Deutschland - an die Öffentlichkeit
zu gehen, der einzig richtige war. Gerade darin sehen wir auch eine Garantie,
dass sich so etwas in Zukunft nie wiederholen kann."
Source: Czech Radio 7, Radio Prague, URL:
http://www.radio.cz/de/artikel/56587
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