Tschechisches Telegramm
Ein Zeitzeugenprojekt:
Ehemalige tschechische Zwangsarbeiter an deutschen Schulen
Im Rahmen der kürzlich zu Ende gegangenen
Tschechischen Kulturtage in Dresden wurde unter anderem ein Zeitzeugenprojekt
vorgestellt. Sein Name: "Ehemalige tschechische Zwangsarbeiter als Zeitzeugen
in deutschen Schulen."
Heute am Mikrophon - Gerald Schubert
Gerald Schubert hat dessen Koordinator Werner Imhof
zu einem Gespräch gebeten. Hören sie mehr in der Sendereihe "Heute am
Mikrophon":
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Tschechische Zwangsarbeiter im Dienste des Dritten Reichs.
Wenn
in letzter Zeit zwischen Prag, Berlin und Wien über ihr Schicksal gesprochen
wurde, dann war meist von Entschädigungszahlungen an die noch lebenden Opfer
die Rede. Symbolischen Entschädigungszahlungen, versteht sich. Denn finanziell
ist das begangene Unrecht - darüber waren sich alle Seiten stets einig -
ohnehin nicht zu begleichen. Neben Geld an die Opfer soll aber auch Wissen an
die junge Generation weitergegeben werden. Und zwar Wissen aus erster Hand,
vermittelt von den direkt Betroffenen.
Das
Projekt "Ehemalige tschechische Zwangsarbeiter als Zeitzeugen in deutschen
Schulen" soll genau diese Aufgabe übernehmen. Koordinator Werner Imhof: "Das
Projekt läuft seit Januar 2003 und wird gefördert von der Stiftung
'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft', die ab 1999 die
Zwangsarbeiterentschädigung abgewickelt hat, in Prag zum Beispiel zusammen mit
der Partnerorganisation 'Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds'. Es läuft jetzt
noch bis Ende April 2005. Weil das Interesse von Schulen sehr groß ist und
eigentlich ständig zunimmt, sind wir im Moment aber dabei, eine Verlängerung
bis Ende 2005 ins Auge zu fassen."
Die Stiftung, die also auf deutscher Seite für
die Entschädigungszahlungen verantwortlich war, hat sich nun auch indirekt an
dem Zeitzeugenprojekt beteiligt.
Werner Imhof: "Die Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft' hat mit dem
Stiftungsgesetz einen kleineren Fonds eingerichtet, der heißt 'Erinnerung und
Zukunft'. Er dient für Dokumentationsprojekte, Zeitzeugenprojekte und
dergleichen. Im Rahmen dieses Fonds wird dieses Zeitzeugenprojekt abgewickelt.
Die Entschädigung hat damit nichts zu tun, und manchmal habe ich auch ein
bisschen schlechtes Gewissen, weil ich denke, man hätte den Menschen auch
dieses Geld geben müssen. Aber natürlich haben solche Bildungsprojekte auch
eine ganz wichtige Funktion."
Eine so genannte Zeitzeugenbegegnung an einer
deutschen Schule beginnt eigentlich bereits mit der unbedingt nötigen
Vorbereitungsarbeit, erklärt Projektkoordinator Werner Imhof: "Wir haben ein
großes Programm drum herum gebastelt und während des Projekts noch erweitert.
Denn wir haben gemerkt, dass die Arbeit mit Zeitzeugen zwar im Moment
unheimlich in Mode ist, aber dass genau darin auch das Problem liegt. Ein
Zeitzeuge hat eine unglaubliche Autorität, und gerade Schüler glauben jedes
Wort. Sie unterstellen oft, dass ein Zeitzeuge, der zur Hitlerzeit gelebt hat,
Hitler auch getroffen hat, in Auschwitz war, mit Goebbels geredet hat und so
weiter. Manche Zeitzeugen neigen auch dazu, das zu missbrauchen. Besonders
männliche Zeitzeugen weichen hier ein bisschen ab und sehen sich dann auch
selbst in der Rolle des Experten für den Nationalsozialismus. Aus diesen und
anderen Gründen haben wir gemerkt, dass es ganz wichtig ist, die Schüler und
auch die Lehrer sehr gut darauf vorzubereiten, sehr genau abzusprechen, wie
der Besuch ablaufen soll, und auch mit den Zeitzeugen intensive Vorgespräche
zu führen. Wir haben am Anfang ein bisschen naiv gedacht: Wenn wir eine Zusage
von einem Zeitzeugen haben, dann können wir einen Termin vereinbaren, und los
geht's. Und dann haben wir festgestellt: Gerade bei den Zwangsarbeitern geht
das überhaupt nicht."
Zwischen den verschiedenen Gruppen von
Zeitzeugen gibt es nämlich sehr große Unterschiede, sagt Imhof. Unterschiede,
die auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ebenso zurückzuführen
sind, wie auf die Erfahrungen nach dem Krieg: "Die Holocaust-Überlebenden, die
ebenfalls in dem Projekt vertreten sind - sie haben ja auch Zwangsarbeit
verrichtet, wenn auch mit dem Charakter 'Vernichtung durch Arbeit' - die sind
oft erfahrener. Sie sind teilweise 'Profi-Zeitzeugen' und machen das sehr
häufig und seit vielen Jahren. Die ehemaligen Zwangsarbeiter hingegen haben
das mit uns fast immer zum ersten Mal gemacht und sind oft unglaublich
unsicher. Sie haben uns zum Beispiel Fragen gestellt wie: Werden uns die
Schüler denn glauben? Werden sie uns nicht sehr feindselig behandeln? Was soll
ich denn sagen, wenn sie nach der Vertreibung fragen? Und da haben wir
gemerkt: Wir müssen sie ganz anders vorbereiten, wir müssen ihnen die Sorgen
nehmen."
Wenn dies einmal gelungen ist, dann gibt es
aber Hoffnung auf sehr fruchtbare Begegnungen, die manchmal zu wirklich
einprägsamen Erlebnissen werden. Werner Imhof erinnert sich an eine
Zeitzeugin, mit der er einmal eine Schule in Bayern besucht hat:
"Die Schüler wussten nur, dass wir am Sonntag ankommen und in welchem Hotel
wir übernachten. Als wir abends um neun dahin kamen, lungerten vor dem Hotel
ein paar junge Leute herum. Es stellte sich heraus, dass die seit sechs Uhr
auf uns gewartet hatten, um der Zeitzeugin zur Begrüßung einen Blumenstrauß zu
übergeben und sie willkommen zu heißen. Sie war zu Tränen gerührt. Und dieses
Erlebnis war keine Ausnahmeerscheinung."
Erfahrungen wie diese machen auf sehr anschauliche Art deutlich, dass es nicht
nur die Jugendlichen sind, die von dem Zeitzeugenprojekt profitieren.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Projekt neben der eigentlichen
Zielgruppe, den Schülern, auch einen ganz großen Einfluss auf die Zeitzeugen
selbst hat, auf die beteiligten Lehrer und nicht zuletzt auf mich. Ich möchte
diese zwei Jahre nicht missen. Gerade die Gespräche mit den
Holocaust-Überlebenden sind sehr wichtig. Ich plädiere immer dafür, diese
Menschen nicht auf die zwölf Jahre Nationalsozialismus zu verkürzen, ihnen
nicht zu sagen: Du bist ein Zeitzeuge, das ist ein Beruf, und zu allem anderen
hast du nichts zu sagen. Man muss das einordnen. Den Bruch in der Biographie
kann man gar nicht begreifen, wenn man nicht weiß, was vorausgegangen ist, und
aus was für einem Land die Leute kamen - nämlich aus der letzten
funktionierenden Demokratie in Europa. Und auch nachher haben diese Menschen
ganz interessante Erfahrungen gemacht."
Keine isolierte Geschichtsbetrachtung also,
sondern ein kontextuelles Verstehen von Schicksalen vor ihrem historischen
Hintergrund. Das ist der Anspruch, den das Projekt an sich selbst stellt. Und
dabei kommt es vor allem auf die Perspektive an, sagt Imhof:
"Man kann sich auf vielen Ebenen mit dem Thema Nationalsozialismus
beschäftigen. Es gibt über 140.000 Bücher allein über Hitler. Man kann als
Historiker im Archiv in staubigen Akten wühlen, und muss das auch. Aber all
das gibt meistens nur die Sicht der Täter wieder. Uns ist es ein Anliegen,
eben die Perspektive der Opfer zu liefern und den Opern ein Gesicht zu geben.
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in dem Projekt."
90 Begegnungen waren bis Ende 2004 im Rahmen
des Projekts geplant. Es werden aber bis zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 120
Begegnungen sein. Erreicht wurden damit ungefähr 2800 Schüler.
http://www.zeitzeugen-dialog.de
Zeitzeugen:
Erinnerungen der Überlebenden
[Tschechische
Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Zur Diskussion im Forum: [Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
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