3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag
3.2
Solidarität
Für altruistisches Verhalten war
in der Extremsituation des Konzentrationslagers kein Platz vorgesehen. Die
Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls war durch den starken Vernichtungsdruck
durch die SS und die sich daraus ergebende Ohnmacht des einzelnen Häftlings
stark begrenzt. Wie bereits ausführlich dargelegt, war der KZ-Alltag des
überwiegenden Teils der Gefangenen vom individuellem Selbsterhaltungstrieb
bestimmt.
Das bedeutet, dass der Häftling in
erster Linie sich selbst helfen und dabei den Gedanken an alle anderen
ausschalten musste. W. Sofsky betont zurecht, dass der "chronische Hunger [...]
zum Mundraub und Diebstahl, Skrupellosigkeit und Verrat"
nötigte. Besonders Häftlinge, die sich am unteren Ende der "Häftlingshierarchie"
befanden, konnten nur überleben, wenn sie allein ihre Person in das Zentrum des
eigenen Weltbildes gerückt hatten. "Wie ich Auschwitz
überleben konnte? Mein Grundsatz war: zuerst ich, dann wieder ich und danach
noch einmal ich. Dann lange nichts. Und dann wieder ich. Und dann erst alle
anderen."
Diese Strategie des
Auschwitz-Überlebenden Primo Levi veranschaulicht die Hilflosigkeit des
jederzeit austauschbaren "Normalhäftlings" besonders prägnant. Solidarisches
Verhalten konnte sich im KZ nur unter bestimmten Voraussetzungen entfalten, die
jedoch lediglich wenige Häftlinge zu erfüllen im Stande waren. Nur Häftlinge,
deren Lebensbedingungen verhältnismäßig erträglich waren als die der Masse,
konnten sich vom unmittelbaren Selbsterhaltungstrieb losreißen. Nur diejenigen,
die seitens der SS keinem hohen Vernichtungsdruck ausgesetzt waren, waren dazu
im Stande, einen anderen Gedanken zu fassen, als den nach der Befriedigung der
persönlichen Grundbedürfnisse. Und schließlich nur diejenigen Gefangenen, die es
aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Sprachkenntnisse, ihrer "Funktionsmacht",
ihres günstigen Arbeitskommandos, ihrer Haftdauer oder ihrer
"vorkonzentrationärer" Prägung vermochten, eine angemessene Stellung in der
"Häftlingsgesellschaft" einzunehmen, konnten im Lager einigen Mitgefangenen
unterstützend zur Seite stehen.
Solidarität setzte zudem entweder
materiellen Besitz oder eine einflussreiche Position im Lager voraus und
bedeutete "immer die Verteilung oder Umverteilung des Vorhandenen."
Das heißt, dass Hilfe stets nur auf Kosten eines anderen Häftlings geleistet
werden konnte. Wenn sich ein Häftlingsarzt entschloss, einem Patienten durch
Verabreichung eines Medikaments sein Überleben zu ermöglichen, musste aufgrund
des ständigen Mangels ein anderer Patient sterben. Wenn es gelang einen Häftling
von der Transportliste zu streichen, musste stets ein anderer an dessen Stelle
treten. "Über die Legitimität solcher Praktiken ist im
nachhinein viel gestritten worden; im Lager wäre aber niemand auf den Gedanken
gekommen, sie in Frage zu stellen [...]."
Dieses Dilemma muss bei jeder solidarischen Handlung
berücksichtigt werden.
Schließlich bildete die Solidarität
im Konzentrationslager für Häftlinge, welche die nötigen Voraussetzungen
erfüllten, einen Teil der Überlebensstrategie. Einige Internierte suchten in der
trostlosen Situation des Lagers nach etwas Sinnvollem, nach etwas, was ihnen
Hoffnung und Durchhaltewillen vermittelte und nicht zuletzt nach einem Weg, ihre
Selbstbehauptung auszudrücken.
3.2.1 -- Art der
Hilfestellung
3.2.2 -- Beispiel: Das
Krankenrevier
5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen
Zur Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
hagalil.com
10-2004 |