Ein wesentlicher Bestandteil der Aufnahmeprozedur war die
"Begrüßungsansprache", die der Häftling vom Schutzhaftlagerführer zu hören
bekam, sobald er zum ersten Mal das Lagertor durchschritten hatte. Hierbei
lebten die sadistischen SS-Männer, wie etwa der Lagerführer Baranowski, ihre
vollkommene Macht richtig aus. Einer seiner Sprüche lautete etwa: "Hier hat
niemand zu lachen. Der einzige, der hier lacht, ist der Teufel, und der Teufel
bin ich!"
Obwohl die Ansprachen nicht selten variierten, vergaß keiner der Lagerführer zu
erwähnen, dass es nur einen Weg aus dem Lager gäbe, nämlich den durch den
Schornstein des Krematoriums.
Doch es gab in Wirklichkeit nicht nur diesen Weg, das KZ
zu verlassen, was viele Zeitzeugen allein durch ihr Überleben bestätigen. Ein
möglicher Weg aus Dachau zu gelangen, war zunächst die offizielle Entlassung.
Auch wenn das RSHA im Oktober 1939 festsetzte, dass "Entlassungen der
Häftlinge aus dem Schutzhaftlager während des Krieges im allgemeinen nicht
statt(finden)",
wurden laut Häftlingsdatenbank insgesamt 466 Tschechen aus dem KZ Dachau
entlassen. Diese Zahl muss jedoch kritisch betrachtet werden, da "Faust" in
einigen Fällen nicht zwischen der Zeit vor und nach der Befreiung unterscheidet.
So kann man bei einigen Einträgen etwa die Angabe "entlassen am 22.5.1945"
finden. Das ist fast ein Monat nach der Befreiung und zugleich der Tag der
Repatriierung vieler tschechischer Häftlinge. Ein anderes Problem ist indes,
dass die Datenbank oft nicht zwischen einer wirklichen Entlassung in die Heimat
und einer Entlassung aus der Schutzhaft in die Polizeihaft differenziert.
Häftlinge, die aus dem Lager in ein Gefängnis überstellt wurden, werden somit
auch als entlassen geführt. Daher muss man bei dieser relativ hohen Zahl von
Entlassungen etliche Abstriche machen.
1.849 tschechische Häftlinge verließen Dachau mit einem
Transport in ein anderes Konzentrationslager. Die meisten von ihnen wurden im
Zuge der Evakuierung des KZ Dachau im September 1939 nach Buchenwald überführt.
Mehr als hundert Tschechen kamen zudem jeweils nach Sachsenhausen, Mauthausen,
Flossenbürg, Natzweiler oder Neuen-gamme. Da diese alle schlechter eingestufte
KZs waren, kann man vermuten, dass sich dort ihre Lebensbedingungen weiter
verschlechterten. Die Transporte wurden von den Häftlingen im Allgemeinen sehr
gefürchtet, da sie oft unter sehr schlimmen Bedingungen, in Hitze oder Kälte,
ohne frische Luft, oft ohne Wasser oder angemessene Verpflegung sowie ohne
Möglichkeit sich zu erleichtern in großer Enge der Viehwaggons abliefen und
dadurch enorm an den Kräften der Häftlinge zehrten. Im neuen Lager angekommen,
mussten die Gefangenen zudem als Neuzugänge erneut mit großer Anstrengung um ihr
Überleben kämpfen.
Viele Tschechen konnten Dachau jedoch nicht mehr lebend
verlassen. Die Sterblichkeit unter den tschechischen politischen Häftlingen im
KZ Dachau betrug etwa 12 %. Wenn man die sonstigen Kategorien sowie die
jüdischen Häftlinge, deren Sterberate bereits separat untersucht wurde, nicht
berücksichtigt, starben im Lager insgesamt 488 politische Tschechen, und damit
etwa ein Achtel dieser Häftlingsgruppe. Wenn man allerdings alle Tschechen als
eine Einheit betrachtet und die nationalsozialistische Kategorisierung außer
Acht lässt, verdreifacht sich die Zahl der Toten auf insgesamt 1.361 Personen.
Hinter dieser gesichts-losen Zahl verbergen sich Hunderte von Schicksalen, wie
etwa das des jungen Gitarristen Emil Kalát, des Philosophen Jaroslav Šimsa, des
Redakteurs Alfred Fuchs oder des Grafikers Vojtěch Preissig. Über sie wird in
den Erinnerungsberichten häufig geschrieben. Doch die meisten Toten erhalten
auch hier keinen Namen – es waren zu viele. Weitere 93 tschechische Häftlinge
fielen außerdem den "Invalidentransporten" zum Opfer und wurden in der
"Euthanasieanstalt" in Schloss Hartheim bei Linz mit Giftgas ermordet. Die
Aktion "14 f 13" übertrug die Vernichtung der Geistes- und unheilbar Kranken den
Konzentrationslagern, wobei hier in erster Linie Arbeitsunfähige aber auch
rassisch und politisch Verfolgte getötet werden sollten. Die
Vernichtungstransporte erhielten dort die euphemistische Bezeichnung
"Invalidentransporte", da die SS die erschöpften Häftlinge unter dem Vorwand
aussuchte, dass sie in ein ziviles Lager mit leichterer Arbeit kämen, um später
entlassen zu werden. Auf diese Weise wurden in Dachau weit über zweitausend
Häftlinge ermordet.
Laut Häftlingsdatenbank ist kein tschechischer Häftling
aus dem Lager geflohen. Dieser Angabe widersprechen jedoch einzelne
Häftlingseinträge und -akten, die insgesamt fünf flüchtige Tschechen aufweisen.
Über einige von ihnen wurde bereits gesprochen. Im Archiv der KZ-Gedenkstätte
Dachau befindet sich ein detaillierter Erlebnisbericht, in welchem die
spektakuläre Flucht von zwei politischen tschechischen Häftlingen beschrieben
wird, welche im März 1945, als die Verhältnisse in Dachau bereits sehr chaotisch
waren, stattfand.
Die Flucht des 25-jährigen Jan Řeřábek und des 50-jährigen Polizeiinspektors
Josef Hajný dauerte insgesamt vierzig Tage, und ihr glückliches Ende wäre ohne
eine sorgfältige Vorbereitung und ohne Hilfe von vielen tschechischen
Mithäftlingen nicht möglich gewesen.
Schließlich verließen rund 2.065 tschechische Häftlinge
das KZ Dachau im Mai 1945 als freie Menschen.
-
Zámečník, Dachau, S. 137.
-
Ebenda, S. 137.
-
Ebenda, S. 111.
-
Näheres zu den Invalidentransporten siehe ebenda, S. 212 – 225 sowie
Distel/Benz, Das Konzentrationslager Dachau, S. 20 – 21.
-
Hajný, Josef: Meine Flucht aus Dachau, DaA 4.481.
5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen
Zur Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
hagalil.com 08-2004 |