[Tschechische
Häftlinge
im Konzentrationslager Dachau]
Von
Zuzana MosnákováZur
Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
2. Verhältnisse:
Einlieferung nach Dachau und Lebensbedingungen im Lager
2.2 Einlieferungsschübe tschechischer Häftlinge ins KZ Dachau
Die Ankunft eines jeden Häftlings wurde im KZ Dachau
durch ein gewalttätiges und brutales "Eingangsritual" begleitet. František
Kadlec schildert seine Ankunft im Konzentrationslager Dachau als ein für ihn
unvergessliches Ereignis. Er stand vor dem Tor eines großen Komplexes mit der
hoffnungsverheißenden Aufschrift "Arbeit macht frei".
Die Routinefragen der Schreiber der politischen Abteilung
hatte er außerhalb des Lagers bereits beantwortet und betrat nun ein riesiges
Areal, welches von zahlreichen in zwei Reihen hintereinander angeordneten
grünlichen Baracken dominiert wurde. Vor den Baracken erstreckte sich eine
ausgedehnte Fläche. Der Appellplatz. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein
breites hufeisenförmiges Gebäude, in welches er zusammen mit den anderen
Neuzugängen hinein-gejagt wurde. Dort, im sogenannten Schubraum, musste er,
begleitet von Beschimpfungen, Geschrei und Schlägen der SS-Wachmänner, seine
persönlichen Dinge abgeben. Übrig blieben ihm nur eine Zahnbürste und ein
Taschentuch. Anschließend wurden ihm überall am Körper sämtliche Haare
geschoren, und er bekam seine neue Kleidung, eine gestreifte Uniform. Er durfte
sie sich nicht nach Größe aussuchen, und so zog er das an, was er in der Eile
erwischte. Schließlich erhielt er eine Nummer und einen Winkel, auf dem der
Buchstaben "T" aufgemalt war. Damit war seine Verwandlung in einen KZ-Häftling
vorerst beendet. Nach wenigen Augenblicken im Lager hörte er auf ein Mensch zu
sein und wurde zu einer Nummer. Alles, was ihn in seinem vorherigen Leben zu
einem unvergleichbaren Individuum gemacht hatte, wurde ihm hier genommen.
Gefühle wie Ausweglosigkeit und Ohnmacht sollten ihn von nun an nahezu fünf
Jahre lang tagtäglich begleiten.
Die "Eingangsrituale" und der Prozess der
Entmenschlichung spielen in den Erinnerungen aller Überlebender eine sehr
wichtige Rolle. Sie werden sowohl in den lebensgeschichtlichen Interviews als
auch in der Erinnerungsliteratur meist außerordentlich ausführlich geschildert
und ähneln sich oft sehr.
Eine ähnliche Aufnahmeprozedur erlebten im Konzentrationslager Dachau nach
Angaben der EDV-Datenbank insgesamt 5.831 Personen tschechoslowakischer
Staatsangehörigkeit, darunter 5.688 Tschechen. Nicht alle wurden jedoch in den
Zugangsbüchern einheitlich als "Tschechen" geführt. Besonders im Jahr 1939
variieren die Bezeichnungen "Tscheche", "Böhme" und "Protektorat" nicht selten.
Der Unterschied in der Benennung der Nationalität liegt wahrscheinlich in erster
Linie darin begründet, dass es bei den ersten Einlieferungsschüben von
tschechischen Häftlingen keine einheitlichen Richtlinien in den jeweiligen
Registrierungsabteilungen gegeben hatte. In der chaotischen und gewalttätigen
Situation der Einlieferungsprozedur waren die Neuzugänge vermutlich mit den
ersuchten Angaben überfordert, da sie zwar Tschechen waren, jedoch seit kurzem
nicht mehr in der Tschechoslowakei, sondern im "Protektorat Böhmen und Mähren"
lebten. Es war auf die Schnelle sicherlich nicht einfach, die richtige Antwort
einzuschätzen. So kam es vor, dass die Tschechen auf die Frage nach ihrer
Staatsangehörigkeit ungleiche Angaben machten. Der eine sagte "Tscheche", der
andere wiederum "Protektorat" oder "Böhme". Die jeweilige Antwort wurde
daraufhin unterschiedlich in die Karteien übertragen. Im Laufe der Zeit scheint
sich die Bezeichnung "Tscheche" jedoch durchgesetzt zu haben. Insgesamt sind
5.054 Häftlinge mit dieser Staatsangehörigkeit erfasst worden. Eine ähnliche
Problematik weisen auch nahezu alle anderen Konzentrationslager auf.
Die ersten Tschechen wurden mit der Situation im Lager
schon lange vor der Besetzung von Böhmen und Mähren konfrontiert. Es handelte
sich bei ihnen überwiegend um Personen, die bereits im Deutschen Reich lebten
oder arbeiteten und meist aus politischen Gründen verhaftet worden waren.
Nach Angaben der Häftlingsdatenbank kamen die ersten drei tschechischen
Gefangenen überraschend früh nach Dachau, nämlich bereits im Frühling und Sommer
1933.
Danach erfolgte eine dreijährige Pause und der nächste Tscheche kam laut "Faust"
erst im Oktober 1937 ins Lager. Er war der erste jüdische tschechische Häftling.
Nach ihm wurden im Jahre 1938 insgesamt 32 Tschechen nach
Dachau verschleppt, die meisten von ihnen in der zweiten Jahreshälfte. Es waren
vor allem Personen, die aus dem seit Oktober 1938 besetzten Sudetengebiet
stammten.
Fast die Hälfte dieser tschechischen Neuzugänge wurde in den nächsten Monaten
aus Dachau entlassen und der Rest überwiegend im Herbst 1939 in andere
Konzentrationslager oder Gefängnisse überführt.
Nur ein Jahr darauf kamen im Zuge der Errichtung des
Protektorats und des Kriegsbeginns nach Angaben der Häftlingsdatenbank insgesamt
518
Tschechen, darunter 76 Juden ins Lager. Diese relativ hohe Anzahl hängt mit den
ersten beiden Verhaftungswellen im besetzten Böhmen und Mähren zusammen, wobei
berücksichtigt werden muss, dass das KZ Dachau nicht das einzige Lager war, in
das tschechische Häftlinge überführt worden waren. Eine mindestens ebenso große
Anzahl deportierten die Nationalsozialisten zur gleichen Zeit in das etwas
jüngere KZ Buchenwald.
Nach der Besetzung von Böhmen und Mähren wurden die Tschechen zunächst nur in
kleineren Gruppen nach Dachau eingeliefert.
In größerer Anzahl kamen sie erst am 16. Juni 1939 ins Lager. Es waren die
bereits erwähnten 109 Geiseln aus der Stadt Kladno. In der ersten Nacht wurden
diese Häftlinge nach Kašák noch provisorisch im großen Saal des Schulungsblocks
untergebracht, um zwei Tage später auf den Isolierblock Nr. 19 verlegt zu
werden. Diesen trennte ein zusätzlicher Stacheldraht vom übrigen Lager, und die
Behandlung dort war sehr schlecht. Zudem wurden täglich einige von ihnen auf den
gefürchteten Strafblock überstellt, wo sich ihre ohnehin elenden
Lebensbedingungen zusätzlich verschlechterten. "Wir lebten in der Hoffnung,
dass das alles bald zu Ende sein würde, und wir arbeiteten wie das Vieh ohne
einen Hauch menschlicher Würde."
Der zweite große Transport von Tschechen kam direkt nach der zweiten Terrorwelle
nach Dachau, die als "Aktion Albrecht I." am Tag des Kriegsausbruchs
durchgeführt wurde. Es waren 551 sogenannte Protektoratshäftlinge,
die am 10. September 1939 ins KZ Dachau eingeliefert wurden. Sie wurden alle in
den Blöcken Nr. 27 und 29 untergebracht und durch eine rote Armbinde
gekennzeichnet. Nach Kašák erhielten diese Tschechen, im Gegensatz zu allen
anderen Häftlingen, zunächst keinen Winkel. Sie genossen als sogenannte
Vorzugshäftlinge besondere Rechte und Privilegien, auf die unten noch näher
eingegangen werden wird.
Ende September 1939 wurde das KZ Dachau allmählich
geräumt. Es sollte in den nächsten Monaten als Truppenübungsplatz den
SS-Totenkopf-Einheiten zur Verfügung stehen. Die Häftlinge wurden auf die Lager
Buchenwald, Mauthausen und Flossenbürg verteilt.
Tschechen, die vor 1939 ins Lager kamen, wurden auf alle drei Ausweichlager
verstreut, wohingegen alle übrigen am 27. September mit einem Transport
geschlossen nach Buchenwald fuhren. "Eingesperrt in Viehwaggons, ohne die
Möglichkeit sich klein oder groß zu erleichtern und nur mit einem Stückchen Käse
und Brot, angezogen in der sommerlichen blau-weiß gestreiften Häftlingskleidung,
fuhren wir den ganzen Tag lang, bis wir endlich in der Nacht am Weimarer Bahnhof
anhielten."
In Buchenwald verblieben die meisten von ihnen bis zur Befreiung durch
amerikanische Truppenverbände am 11. April 1945.
Nach der Räumung des Lagers blieb auf dem Areal der
"Plantage", welche sich östlich außerhalb des Schutzhaftlagers befand, lediglich
eine kleine Arbeitsgruppe übrig. Zu dieser zählte ab Mitte Dezember auch der
tschechische Journalist Karel Kašák, dem es nur einen Monat vor der Verlegung
der Häftlinge gelungen war, einem Kommando von Malern in diesem
überdimensionalen Kräutergarten zugeteilt zu werden. Da er gut zeichnen konnte,
wurde ihm aufgetragen, in einem Treibhaus "die Ergebnisse der Erforschung des
beschleunigten Wachstums von Gemüse und Pflanzen"
malerisch festzuhalten. Ende September wurde er zwar zusammen mit anderen
Tschechen nach Buchenwald verlegt, doch da die Leitung der "Deutschen
Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" die Herausgabe eines großen
Heilkräuter-Herbariums plante und dazu geeignete Zeichner und Maler brauchte,
wurde er aus Buchenwald zurückgerufen.
So wurde Kašák eines der ersten Mitglieder des Kommandos der botanischen Maler,
welches ihm und seinen Mithäftlingen zahlreiche Privilegien einbrachte.
Im Frühjahr 1940 war die Ausbildung der SS-Einheiten im
KZ Dachau abgeschlossen, so dass Ende Februar und Anfang März viele Häftlinge
ins Lager zurückkehrten. Da die meisten Tschechen, die nach Buchenwald überführt
wurden auch später in diesem KZ verblieben, musste sich die tschechische
Häftlingsgruppe in Dachau in den nächsten Monaten neu formieren. Im Jahr 1940
kamen laut Häftlingsdatenbank insgesamt 978 Tschechen ins Lager, wobei sich
unter ihnen 146 Juden befanden. Wie bereits dargestellt, kam es in diesem Jahr
im Protektorat zu keiner großen Verhaftungswelle, doch die Verfolgung von
Widerstandsaktivisten und regimefeindlichen Tschechen wurde von der Gestapo mit
großem Eifer weiter betrieben. Nach Dachau wurden unter anderem größere Gruppen
ehemaliger tschechoslowakischer Offiziere eingeliefert, die meist auf dem Weg
ins Ausland waren, um dort die Einheiten der tschechoslowakischen Armee zu
unterstützen. Viele von ihnen waren an den verschiedenen Grenzübergängen in
Polen, Frankreich, Österreich oder Jugoslawien verhaftet worden. Die meisten
kamen nach kurzer Zeit im Lager in die "Strafkompanie", in der sie im Gegensatz
zu den anderen Häftlingen ohne jegliche Erholung arbeiten mussten.
Der erste große tschechische Transport in diesem Jahr kam am 5. März aus dem KZ
Sachsenhausen, die meisten anderen Neuzugänge kamen dagegen überwiegend direkt
aus den Gestapogefängnissen im Protektorat.
Im Sommer wurde die als "Sekretärsaktion" bezeichnete größere Gruppe von
politischen Funktionären aus Mähren nach Dachau eingeliefert. Es waren sowohl
höhere als auch niedrigere Funktionäre der "Nationalen Gemeinschaft", der
einzigen politischen Partei des Protektorats. Durch die verstärkte Verfolgung
sollten die Politiker von möglichen beabsichtigten Widerstandstätigkeiten
abgeschreckt werden. Laut Kašák wurde Ende August auch diese Gruppe in die
"Strafkompanie" überführt.
Im gleichen Jahr führte die Gestapo im Protektorat auch
massive Schläge gegen die organisierte tschechische Widerstandsbewegung durch.
Im Mai 1940 wurde unter anderem die verbotene, überwiegend sozialdemokratisch
geführte "Nationale Bewegung der arbeiten-den Jugend", endgültig zerschlagen.
Diese Jugendorganisation war mit ihren 20.000 Mitgliedern eine der größten
illegalen Gruppen im Protektorat.
Der Leiter des Abschnitts Prag war der 29 Jahre alte Bautechniker František
Kadlec. Zusammen mit seinen Kollegen wurde er im Frühjahr verhaftet und in
Prager Gestapogefängnissen schweren Verhören unterzogen. Etwa einen Monat später
wurde er in die kleine Festung Theresienstadt überführt, wo er sich aufgrund
seiner Fachkompetenz am weiteren Ausbau dieses Konzentrationslagers in
Nordböhmen beteiligen sollte. Nach sechs Wochen schwerer Arbeit erhielt er den
Schutzhaftbefehl und damit seine Fahrkarte ins KZ Dachau. In den folgenden Tagen
wurde er zum Teil in Personenzügen, zum Teil in Viehwaggons über Aussig, Plauen,
Hof und Nürnberg nach Dachau deportiert. Seinen Angaben zufolge mussten alle
Häftlinge nach dem Öffnen der Waggontüren, begleitet von Schlägen, Schreien und
Flüchen, im Spießrutenlauf über die Gleise rennen. Daraufhin wurden sie zu etwa
fünfzehn Mann in enge Planwagen gedrängt und in einer wilden Fahrt in das
SS-Areal des Konzentrationslagers Dachau gebracht. Dort passierte František
Kadlec die bekannte Aufnahmeprozedur, während der er unter anderem die
Bekanntschaft mit dem berüchtigten Fotografiestuhl machte. Die SS ließ kaum eine
Gelegenheit aus, um die Neuzugänge zu verletzen und zu demütigen. In der Mitte
des Stuhles befand sich eine Nadel, welche durch einen Hebel von den SS-Männern
betätigt werden konnte. Nachdem der Häftling fotografiert worden war, schoss
ihm, während er nichts ahnte, diese Nadel direkt ins Gesäß und ließ ihn sofort
aufspringen. Die gewalttätige Atmosphäre der Einlieferungsrituale versetzte die
meisten Neuzugänge in einen Schock-zustand, der oft mehrere Tage andauern
konnte.
Die gleiche Prozedur mussten im nächsten Jahr insgesamt
322 Tschechen darunter 48 Juden, über sich ergehen lassen. Da zwei Drittel von
ihnen in der ersten Jahreshälfte nach Dachau kamen, kann ihre Einweisung nicht
der großen Verhaftungswelle während des Amtsantritts von Reinhard Heydrich, Ende
September 1941, zugeordnet werden. Die Erklärung dafür wurde oben bereits
angedeutet. Die meisten Tschechen, die während des zivilen Ausnahmezustandes im
Protektorat verhaftet worden waren, wurden aufgrund einer Forderung Heydrichs
zur Abschreckung in das zwei Stufen schlechter eingestufte Konzentrationslager
Mauthausen eingeliefert.
Am 29. März 1941 trafen der 17 Jahre alte Textilverkäufer Radovan Dražan und der
19-jährige Gewerbeschüler Jiří Jemelka im KZ Dachau ein.
Ihre gemeinsame Ankunft im Lager war ein Zufall, denn sie hatten sich in ihrem
früheren Leben nicht gekannt. Radovan Dražan hatte im Herbst 1940 Kontakt zu
einem Offizier der ehemaligen tschechoslowakischen Armee geknüpft, welcher ihn
für die ausländischen Einheiten dieser Truppen anwerben konnte. Von ihm erhielt
er aktuelle Informationen über mögliche Fluchtwege aus dem Protektorat, die von
dem in der Illegalität wirkenden Turnverein "Sokol" vorbereitet worden waren.
Radovan Dražan entschloss sich für die Route über Österreich nach Jugoslawien
und brach, ohne zuvor seine Eltern informiert zu haben, am 12. Januar 1941
alleine auf Skiern auf. Über Znojmo, Wien, Graz und Leibnitz kam er bis auf
wenige Meter an die jugoslawische Grenze heran, wo seine Tarnung
unglücklicherweise aufflog und er von den Grenzposten verhaftet wurde. Es
folgten zwei Monate von unbeschreiblichen Misshandlungen und Folter in
verschiedenen Polizei- und Gestapogefängnissen in Österreich bis auch Radovan
Dražan seinen Schutzhaftbefehl erhielt und in den nächsten Wochen in das
Konzentrationslager Dachau überstellt wurde. Auf der Zugfahrt dorthin, welche
die Häftlinge in normalen Personenzügen zu zweit zusammen-gekettet,
absolvierten, lernte er seinen Landsmann Jiří Jemelka kennen. Dieser war in
seiner Jugend ein leidenschaftlicher Segelflieger gewesen und beschloss nach der
Besetzung des Protektorats zusammen mit anderen Mitgliedern des tschechischen
"Aeroclubs", wichtige Flugzeugteile nach Jugoslawien in die vermeintliche
Sicherheit zu bringen. Im Januar 1941 gelang es ihm sowohl die österreichische
als auch die jugoslawische Grenze unbeschadet zu überwinden. In der scheinbaren
Sicherheit angelangt, wurde er jedoch nach eigenen Angaben von einem
jugoslawischen Bauern an die Grenzposten in Spielfeld ausgeliefert. In der Haft
wurde er schwer gefoltert und geschlagen und ist dadurch bis heute körperlich
gekennzeichnet. Im Polizeigefängnis in Wien erhielt auch er den Schutzhaftbefehl
und wurde mit dem gleichen Transport wie Radovan Dražan nach Dachau gebracht.
Keiner von beiden kannte das Reiseziel. Im Zug befanden sich etwa 300 Häftlinge
verschiedener Nationalitäten, und die Fahrt dauerte etwa zehn bis elf Stunden.
Jiří Jemelka erinnert sich heute, dass sie beim Verlassen des Zuges auf dem
Münchner Hauptbahnhof von zivilen Personen mit Schlagstöcken und ähnlichen
Werkzeugen brutal geschlagen wurden. Schon diese erste Begegnung löste in ihm
einen Schock aus, der sich während der Aufnahmeprozedur ins KZ noch steigerte.
Als in der ungewohnten und brutalen Situation schließlich sein neuer "Name"
"24.340" aufgerufen wurde, und Jemelka darauf nicht reagierte, erhielt er von
mehreren SS-Männern schwere Tritte und Schläge, die seinen ersten Tag als
KZ-Häftling abschlossen. Nur einen Monat zuvor gelangte auch der spätere
Historiker Stanislav Zámečník ins KZ Dachau.
Er wurde bereits im Frühjahr 1940 in Ungarn verhaftet, nachdem er im Januar
dieses Jahres versucht hatte, mit einer Gruppe von tschechoslowakischen Piloten
über die Slowakei, Ungarn, Jugoslawien nach Frankreich zu fliehen, wo sich
gerade eine tschechoslowakische Armee-Einheit herausgebildet hatte. Über die
Slowakei wurde er dem Protektorat ausgeliefert, wo er einige Monate in
Gestapogefängnissen und einem Sammellager in Brünn verbrachte. Am 22. Februar
1941 wurde er schließlich über Wien und München nach Dachau deportiert. Alle
drei Neuankömmlinge wurden im Block Nummer 10 untergebracht, wo seit dem
Frühjahr 1940 alle tschechischen Häftlinge konzentriert worden waren.
Im Jahr 1942 wurden im Ganzen 515 Tschechen, darunter 16
Juden nach Dachau überführt. Obwohl die überwiegende Mehrheit
erst in der zweiten Jahreshälfte ins Lager kam, entsprechen diese
Einlieferungsschübe nicht der "Heydrichiade" im Protektorat, während der
tausende tschechischer Bürger verhaftet und hingerichtet worden waren. Aufgrund
der schlechten Forschungs- und Quellenlage ist eine Erklärung für diesen Umstand
kaum möglich. Es bleiben nur Vermutungen, dass die Gestapo nach dem Attentat auf
Heydrich die verhafteten Tschechen, um ein Exempel zu statuieren, überwiegend
sofort hinrichten ließ, anstatt sie langsam in den Konzentrationslagern sterben
zu lassen. Auch verteilten sich die Transporte mit tschechischen Häftlingen
möglicherweise an mehrere schlechter eingestufte KZs, doch auch hierfür fehlen
leider sämtliche Einlieferungsbelege.
Weiter oben wurde bereits erwähnt, dass die Gestapo im Zusammenhang mit dem
Attentat begann, die Familienangehörigen der tschechischen Exilpolitiker zu
verhaften und in die Konzen-trationslager einzuliefern. Durch diese Maßnahme
wurde unter anderem die gesamte Familie des tschechischen Politikers Ladislav
Feierabend schwer getroffen, der im Februar 1940 nach London emigrierte und dort
Minister in Benešs Exilregierung wurde. Über Theresienstadt wurden im September
1942 insgesamt drei Männergenerationen dieser Familie nach Dachau eingeliefert.
Darunter der bereits 81 Jahre alte Vater des Ministers, Professor Karel
Feierabend, der mit viel Unterstützung seitens der tschechischen Häftlingsgruppe
als ältester Häftling des KZ Dachau die beinahe dreijährige Haft überlebte. Mit
ihm kam der Bruder des Ministers, zusammen mit seinen beiden Söhnen.
Die weiblichen Familienangehörigen
wurden in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert.
Im folgenden Jahr wurden 499 Tschechen nach Dachau
gebracht, wobei sich unter ihnen nach Angaben der Häftlingsdatenbank nur noch
ein einziger Jude befand. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die
Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung aus dem Protektorat Böhmen und
Mähren seit Ende des Jahres 1941 in vollem Gange war. Die meisten tschechischen
Juden wurden in die nationalsozialistischen Vernichtungslager wie Treblinka,
Sobibor, Belzec, Auschwitz oder Majdanek deportiert und dort vergast. Das
Deutsche Reich sollte "judenrein" bleiben. Die Zahl der nichtjüdischen
tschechischen Neuzugänge in diesem Jahr ist allerdings ähnlich hoch wie in den
vergangenen beiden Jahre. Da es, wie oben bereits angesprochen, nach dem
Attentat auf Heydrich und der "Heydrichiade" zu keiner großen
Verhaftungs-aktionen mehr gekommen war, bestätigt dieser Einlieferungsschub die
Methode des "stillen Terrors" der Gestapo, durch den die tschechische
Bevölkerung in Schach gehalten wurde.
Im Jahr 1944 dagegen explodierte die Zahl der neu
eingelieferten Tschechen regelrecht. In der Datenbank sind für diesen Zeitraum
insgesamt 2.074 tschechische Häftlinge verzeichnet, wobei hier von einer
Mindestanzahl ausgegangen werden muss, da viele Häftlinge die fürchterlichen
Transporte nach Dachau nicht überlebt hatten und dadurch nicht in die Kartei
aufgenommen wurden. In der Geschichte der Konzentrationslager zeichnet sich das
Jahr 1944 durch die allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen wegen der
katastrophalen Überfüllung der Lager aus. Nahezu alle Häftlingsnationalitäten
verzeichneten besonders in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 einen
überproportionalen Zuwachs.
Das liegt zum Einen daran, dass in diesem Zeitraum ganz neue nationale Gruppen,
wie etwa Ungarn, Franzosen oder Litauer massenhaft in die KZs deportiert wurden.
Zum anderen kam es durch das ständige Vorrücken der Ostfront allmählich zur
Räumung der großen Konzentrationslager im Osten, wie etwa Lublin-Majdanek oder
Auschwitz. Die Häftlinge, die aus diesen Lagern auf schrecklichen Todesmärschen
evakuiert worden waren, wurden nacheinander auf die großen KZs im Deutschen
Reich verteilt. So kamen im vorletzten Kriegsjahr viele Häftlinge
unterschiedlicher Nationalität, darunter zahlreiche Tschechen, auch nach Dachau.
Mehr als die Hälfte der Neuzugänge im Jahr 1944 waren tschechische Juden, die im
Oktober in einem großen Transport aus Auschwitz nach Dachau deportiert wurden.
Diese 1.122 Menschen, die durch die dauernde Unterernährung, die erschöpfende
Arbeit und die vernichtende psychische Belastung körperlich und seelisch völlig
ausgezehrt waren, starben meist kurz nach ihrer Ankunft in den zahlreichen
Außenlagerkomplexen des KZ Dachau. Hinzu kamen Deportationen tschechischer
Häftlinge aus anderen KZs. Insgesamt wurden im Jahr 1944 aus Sachsenhausen,
Buchenwald oder Natzweiler jeweils über 100 Tschechen nach Dachau überführt. Des
Weiteren sind für dieses Jahr in der Häftlingsdatenbank etwa 64 tschechische
Neuzugänge verzeichnet, welche als sogenannte Arbeits- und Erziehungshäftlinge
ins Lager eingeliefert wurden. Das waren vermutlich überwiegend tschechische
Arbeiter, welche im Zuge des totalen Krieges die vorgegebene Arbeitsnorm nicht
erfüllten, durch Abwesenheit oder zu langsames Arbeiten auffielen und auf diese
Art und Weise zur Arbeit gezwungen und gleichzeitig bestraft werden sollten. Im
August brach zudem in der Slowakei der Nationalaufstand aus. In diesem
Zusammenhang wurden viele Aufständische und Partisanen in der Slowakei verhaftet
und in zahlreichen Fällen in die Konzentrationslager überführt. "Faust"
verzeichnet für das Jahr 1944 den Zugang von 71 Slowaken, wobei diese Zahl
wiederum als Mindestangabe gelten muss. Wenn man all diese möglichen Fälle von
der Gesamtzahl der Neuzugänge dieses Jahres abzieht, bleiben etwa 800 Tschechen
übrig, deren Herkunft und Haftgründe ungeklärt bleiben. Vermutlich handelt es
sich bei vielen von ihnen um bereits Inhaftierte, die aus den Polizei- oder
Gestapogefängnissen im Protektorat im Zuge des totalen Arbeitseinsatzes in die
Konzentrationslager überstellt worden waren. Da sich die Versorgungslage in der
letzten Kriegsphase deutlich verschlechterte, konnten die deutschen Besatzer auf
diese Weise alle "unnützen Esser" loswerden und gleichzeitig wichtige
Arbeitskräfte für die bedeutsame Kriegsproduktion mobilisieren. Der tschechische
Häftling Vladimír Šacha, welcher seit Juni 1942 im KZ Dachau gefangen war,
berichtet in seinen Erinnerungen zudem von einer gewissen "Aktion" im
Protektorat im Jahre 1944, bei der die Gestapo erneut Geiseln festnehmen und in
die Konzentrationslager deportieren ließ.
Nach seinen Angaben geschah dies, damit in der entscheidenden Kriegsphase auf
der "Heimatfront" Ruhe herrsche. Die betreffenden Personen wurden auf dem
Isolierblock konzentriert und mussten zunächst nicht arbeiten. Sie lebten
"hinter dem zweifachen Zaun, im Dreck und Hunger."
In den letzten Kriegsmonaten im Jahr 1945 wurden
vermutlich aus ähnlichen Gründen wie im vorherigen Jahr noch 729 Tschechen,
darunter 233 Juden ins Konzentrationslager Dachau überführt. Sehr viele von
ihnen kamen aus den evakuierten KZs Natzweiler und Flossenbürg. Mit der
Befreiung des Lagers am 29. April 1945 hörten die nicht enden wollenden
Einlieferungsschübe von Häftlingen aller Nationalitäten endgültig auf.
Zur Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
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Interview mit F. Kadlec am 14. und 15. September 2002. Vgl. dazu auch
Zámečník, Dachau, S. 135- 139; Kupfer-Koberwitz, Edgar: Die Mächtigen und
die Hilflosen. Als Häftling in Dachau, Bd. 1: Wie es begann, Stuttgart 1957,
S. 52 – 62; Pingel, Häftlinge, S. 153 – 159; Sofsky, Die Ordnung des
Terrors, S. 98–103.
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Eine Recherche in der Häftlingsdatenbank ergab, dass die Bezeichnung "Böhme"
404 Mal vorkommt und bis auf vier Ausnahmen ausschließlich im Jahr 1939
vergeben wurde. Die Bezeichnung "Protektorat" war dagegen offenbar auch in
anderen Jahren gebräuchlich und ist auf den Zeitraum von 1939 bis 1945
ungleichmäßig verstreut. Dieser Ausdruck wurde in Dachau insgesamt 222 Mal
verwendet, wobei er am häufigsten in den ersten beiden Kriegsjahren
auftaucht.
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Hinweis von Kašák, Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 14.
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Zwei von ihnen stammten aus kleineren Orten in der Oberpfalz und einer aus
dem Örtchen Haselbach in Thüringen.
Da die
Namen von allen drei deutsch klingen kann man vermuten, dass
sie sich schon seit mindestens einer Generation im Deutschen Reich eine
Existenz aufgebaut hatten.
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Da sein letzter Wohnort Berlin gewesen war, ist es wahrscheinlich, dass auch
er in Deutschland aufgegriffen wurde.
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Die Nationalsozialisten begannen dort schon sehr bald nach dem Einmarsch der
deutschen Truppen die Regimefeinde oder Gegner der Besetzung zu verhaften,
und in Konzentrationslager einzuweisen.
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Diese Angabe scheint allerdings unvollständig zu sein. Zámečník gibt nämlich
allein für den September 1939 die Zahl von 551 tschechischen Neuzugängen an,
wobei er sich auf das Dachauer Zugangsbuch aus Arolsen stützt (DaA 36.934).
Bis Juni kamen jedoch weitere 62 Tschechen und am 16. Juni zusätzlich 109
Geiseln aus Kladno in Dachau an. Damit würde sich die Zahl der Neuzugänge
des Jahres 1939 auf mindestens 722 erhöhen.
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Zámečník, Dachau, S. 116.
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Aus den Angaben der Häftlingsdatenbank geht hervor, dass zwischen 1. Januar
und 15. Juni 1939 insgesamt 62 Tschechen nach Dachau kamen, wobei die
meisten im April und Mai eingeliefert wurden.
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Kašák, Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 16.
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Da sie von der Lagerleitung bevorzugt behandelt werden sollten, bekamen sie
diesen Namen, damit sie von der SS von den anderen tschechischen Häftlingen
besser unterschieden werden konnten. Die "Aktion Albrecht I." wurde
landläufig nämlich auch als "Protektoratsaktion" bezeichnet.
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Nach Zámečník kamen 1.600 Männer nach Mauthausen, 981 nach Flossenbürg und
2.138 nach Buchenwald. Zámečník, Dachau, S. 113; Vgl. auch Distel/Benz, Das
Konzentrationslager Dachau, S. 54.
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Kašák, Die Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 17.
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Ebenda, S. 17.
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Die Aufzeichnungen von Karel Kašák, S. 167.
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Kašák, Die Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 18.
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In der tschechischen Ausgabe der Studie von Stanislav Zámečník ist ein
kurzes Kapitel über Tschechen und Slowaken in Dachau enthalten: Zámečník,
Stanislav: To bylo Dachau. [Das war Dachau], Praha 2003, S. 185 – 186.
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Kašák, Die Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 18.
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Brandes, Die Tschechen, Teil 1, S. 73 – 74.
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Zwischen dem 26.9.1941 und dem 19.2.1942 kamen 12 verschiedene, zum Teil
größere Transporte aus dem Protektorat im KZ Mauthausen an. Eine genaue
Gesamtanzahl der neu Eingelieferten ist nach dem jetzigen Quellenstand
leider nicht feststellbar. Sie liegt jedoch sicherlich im vierstelligen
Bereich. Maršálek, Hans: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen.
Dokumentation, 3. erweiterte deutschsprachige Auflage, Wien, Linz 1995, S.
113.
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Interview mit Radovan Dražan am 11.9.2002 sowie mit Jiří Jemelka am
9.9.2002.
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Mit Stanislav Zámečník fand im Juli 2002 ein Gespräch in der KZ-Gedenkstätte
Dachau statt, bei dem er der Autorin seine Erlebnisse aus dem Lager
ausführlich schilderte. Nähere Informationen zu seinem Häftlings-Dasein sind
in einem Videointerview zu erfahren, welches im Jahr 1984 von einem
Vertreter der KZ-Gedenkstätte geführt wurde. Eine Kopie liegt im Archiv der
KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA R 360.
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Laut "Faust” 393 Tschechen.
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Maršálek führt für Mauthausen für die hierfür relevante Zeit lediglich einen
Transport mit tschechischen Häftlingen auf. Maršálek, a. a. O., S. 115.
Andere Gedenkstätten mit denen die Autorin per E-mail in Kontakt steht,
können aufgrund der mangelnden Quellenlage leider überhaupt keine Aussagen
zu Transporten im Jahr 1942 machen.
-
Mit Herrn Vladimír Feierabend veranstaltete das Haus der bayerischen
Geschichte im Jahr 1998 ein Videointerview. Es wurde auf deutsch geführt und
liegt in Kopie in der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA R 386. Vgl. auch:
Zámečník, To bylo Dachau, S. 187.
-
Das waren die Frau von Ladislav Feierabend, Hana, sowie dessen Schwägerin
Marie. Zámečník, To bylo Dachau, S. 187.
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Während im Jahr 1943 insgesamt 18.847 Neuzugänge in der Häftlingsdatenbank
verzeichnet sind, explodiert diese Zahl im Jahr 1944 auf 74.625. Damit kamen
im vorletzten Kriegsjahr viermal so viele Häftlinge im KZ Dachau an, als in
den Jahren zuvor.
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Šacha, Vladimír: V zahradě muk. [Im Garten der Qualen], Brno 21947,
S. 424 sowie 431 - 432.
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Ebenda, S. 431 – 432. Leider macht Šacha über die betreffenden Personen
sowie über deren Anzahl keine näheren Angaben.
Eine solche Vorgehensweise der Besatzer
scheint durchaus möglich, doch kann diese Aussage leider durch
keine anderen Quellen oder Literatur bestätigt werden und gilt
daher als fraglich.
5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2
Literaturverzeichnis
5.2.0 Abkürzungen
Zur Diskussion im Forum:
[Nationalsozialistische
Konzentrationslager]
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