Der Zorn der Überlebenden
Holocaust-Opfer in Osteuropa ärgern sich über die Pläne für das Berliner
Mahnmal. Sie warten bis heute vergeblich auf eine Rente.
Bei Holocaust-Überlebenden in Osteuropa
wächst die Wut auf die Bundesregierung: Während in Bonn ein millionenteures
Holocaust-Mahnmal geplant wird, warten sie bis heute auf eine Rente. "Für
Kohl sind wir doch nur Juden zweiter Klasse", sagt Arnold Mostowicz, der
Vorsitzendes des polnischen Verbandes der jüdischen Kriegsveteranen und
Verfolgten des Naziregimes. "Polacken und Juden: Die Kombination schätzt er
nur bei Gedenkstätten. Lebende Juden, noch dazu aus dem Osten, sind ihm ein
Greuel. Wir stören beim pietätvollen Trauen." Mostowicz und Jakub Gutenbaum
vomVerein der Kinder des Holocaust hatten an Verhandlungen über die Rente
für die osteuropäischen Juden teilnehmen wollen. Auf ihre Anfrage hat das
Kanzleramt nicht einmal geantwortet. Der 84jährige ist nicht nur auf die
Bundesregierung schlecht zu sprechen. Auch die und Jewish Claims Conference,
die mit ihr verhandelt hat, bekommt ihr Fett ab: "Wir haben sie nicht
beauftragt. Woher nehmen sie das Recht, für uns zu sprechen? Kein einziger
Vertreter der Claims Conference hat je mit uns Kontakt aufgenommen oder uns
informiert."
Erst auf Druck des American Jewish Committee
hatte die Bundesregierung die Verhandlungen mit der Jewish Claims
Conference aufgenommen. Im Januar dieses Jahres kam es zu einer
Vereinbarung. Doch darüber wurden die Opferverbände in Polen bis heute
nicht informiert. "Wir wissen nicht, wer einen Antrag stellen darf und
an wen er zu richten ist," Arnold Mostowicz, der das Ghetto
"Litzmannstadt" (Lodz) und das Konzentrationslager Auschwitz überlebt
hat, schlägt ein Schulheft auf, in dem die Mitglieder seines Verbandes
säuberlich notiert sind. Bald jeder vierte Name ist durchgestrichen:
verstorben. "In Bonn spekulieren sie auf die biologische Lösung," sagt
Mostowicz. "Angeblich sollen die Zahlungen 1999 aufgenommen werden. Ich
bin 84, die anderen sind nicht jünger, muß ich mehr sagen?"
Die Bundesregierung pocht darauf, daß sie
seit Kriegsende über 100 Milliarden Mark als "Wiedergutmachung" gezahlt
habe. Nur: dieses Geld verblieb zum größten Teil im Westen. Die Opfer,
die hinter dem "Eisernen Vorhang" lebten, wurden mit kleinen Summen
abgespeist: im Durchschnitt 500 bis 1.000 Mark. Das soll für drei bis
vier Jahre Zwangsarbeit entschädigen oder auch für ein zerstörtes Leben
im Ghetto oder Konzentrationslager. Die Bundesregierung nennt diese
Minimalzahlungen eine "Geste des guten Willens". Schließlich hatten die
kommunistischen Regierungen im Namen ihrer Staatsbürger auf
Entschädigungen verzichtet. Nur die "Mengele-Opfer", die von den Nazis
zu pseudomedizinischen Versuchen mißbraucht wurden, haben individuelle
Entschädigungen erhalten.
So bekommen zwar Waffen-SS-Veteranen in
Lettland und der Ukraine sowie Zehntausende ehemaliger Wehrmachtsoldaten
in Polen eine Rente von Deutschland bezahlt, nicht aber Ostjuden,
Zigeuner und Zwangsarbeiter. Auch der "Zukunftsfonds" in Tschechien, der
im April '98 den Holocaust-Opfern die ersten Schecks ausgestellt hat,
zahlt keine Renten. Und auch die Regelung vom Januar diesen Jahres sieht
nur eine Billigversion der für Westeuropa, Amerika und Israel
ausgehandelten Entschädigung vor. Anders als im Westen soll die Rente
nicht 500 Mark im Monat, sondern nur 250 Mark betragen und auch nicht
bis ans Lebensende, sondern nur vier Jahre lang gezahlt werden.
Jakub Gutenbaum vom Verein der Kinder des
Holocaust hat von der bevorstehenden Entscheidung über das
Holocaust-Mahnmal erfahren. Er kann es nicht fassen: "Wie können die
Deutschen ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas aufstellen, uns
aber, die noch lebenden Holocaust-Opfer, dabei vergessen?" Er müsse
regelmäßig bei Stiftungen und charitativen Organisationen betteln gehen,
um die psychologische Betreuung der Kinder des Holocaust
sicherzustellen. "Warum helfen die Deutschen nicht den Opfern? Warum
bauen sie sich jetzt ein Denkmal für die toten Juden? Können sie nicht
damit warten, bis wir alle unter der Erde sind?"
Gabriele Lesser in der Zeitung
zum Sonntag, Freiburg, 06-98 |