Jom haSchoa in Israel:
Erinnerung an den Holocaust in Nord-Afrika und
IndonesienVon Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der offizielle israelische Gedenktag für den Holocaust
fällt auf den Tag, an dem im Warschauer Ghetto 1944 der Aufstand gegen die
SS-Truppen begann. In anderen Ländern gilt die Befreiung des KZ-Auschwitz
durch russische Truppen am 27. Januar 1945 als Stichtag für das Gedenken an
den größten Massenmord der Menschheitsgeschichte.
Die offiziellen Gedenkfeiern beginnen am Dienstag Abend in der Jerusalemer
Gedenkstätte Yad Vaschem. Sechs Überlebende des Holocaust entzünden jeweils
eine Fackel. In der Knesset fand am Mittag eine Debatte über Antisemitismus
in der Welt statt.
Zu den traditionellen Ereignissen rund um den Gedenktag gehört der "Marsch
der Lebenden". Überwiegend junge Israelis reisen nach Polen, um Auschwitz
und polnische Städte wie Krakau zu besuchen, wo die alten Synagogen noch
stehen aber alles jüdische Leben ausgelöscht worden ist. In diesem Jahr
begleitet Schimon Peres den "Marsch der Lebenden". Etwa hundert Kilometer
nördlich von Warschau besuchte er das Geburtshaus von Staatsgründer David
Ben Gurion und jenes Haus, wo sein Großvater von den Nazis ermordet worden
ist. "Normalerweise halte ich meine Gefühle zurück, aber hier brechen sie
aus mir heraus", sagte Peres mit gebrochener Stimme in einem Interview mit
dem israelischen Rundfunk.
Derweil bemüht sich das israelische Erziehungsministerium, bei der Jugend
die Erinnerung an die Schoah wach zu halten. Das Lehrprogramm soll
ausgeweitet werden. Erstmals soll das Schicksal der Juden in Nordafrika
beleuchtet werden. Zwischen 1940 und 1944 gab es in Libyen ein von den
Deutschen errichtetes KZ in Dschabo. 3000 Juden wurden dort festgehalten und
etwa 600 starben. 300 jüdische Staatsangehörige der Achsenmächte wurden in
Libyen verhaftet und über Italien, einem Verbündeten Deutschlands, zur
Zwangsarbeit weitergeschickt.
In Algerien unter der französischen Vichy-Regine wurden anti-jüdische
Gesetze verabschiedet und eine unbekannte Zahl von Juden zur Zwangsarbeit in
die Sahara geschickt. In Tunesien litten Juden unter spontanen Pogromen und
Überfällen der Bevölkerung. Anti-jüdische Gesetze wurden allerdings nicht
umgesetzt wegen einer pro-jüdischen Haltung der Regierung. Doch nach dem
deutschen Einmarsch 1942 wurden etwa 5000 Juden in 30 Zwangslager im ganzen
Land interniert. 20 Juden wurden in Vernichtungslager nach Europa geschickt.
Aller Besitz der jüdischen Gemeinden wurde beschlagnahmt. Vorbereitungen zur
einer Massentötung der Juden Tunesiens wurden nie umgesetzt. In Marokko
wurden zahlreiche jüdische Flüchtlinge aus Frankreiche verhaftet und in
Lager in der Sahara verschickt.
Das israelische Fernsehen brachte zudem eine Reportage aus einem Altersheim
in Israel über die Überlebenden jüdischer Gemeinden in Indonesien. Das Land
gehörte zu Holland und so ließen sich dort Juden aus Amsterdam nieder, zu
denen sich jüdische Flüchtlinge aus Irak und Händler aus anderen Ländern
gesellten. Hanna Hirsch fürchtete sich vor dem einmarschierenden Rommel und
seinen Truppen in Nordafrika, als sie mit ihrer Familie nach Indonesien
flüchtete. Jitzhak Nissim erzählt von einer großen Synagoge: "Aber wir
hatten keinen Rabbiner." Regina Sasson erzählt, dass zu den Feiertagen ein
Rabbiner aus Singapore anreiste. Doch im Januar 1942, einen Monat nach Pearl
Harbour, marschierten die Japaner ein. "Wir litten unter den
Bombenangriffen, aber es passierte uns nichts. Nach sechs Monaten erschien
plötzlich ein großer SS-Offizier. Er sah unsere Synagoge und die jüdischen
Läden", erinnert sich Nissim. Der Nazi begab sich nach den Worten Nissims
zum Staatspräsidenten und fragte: "Was soll das? Wir sind doch Verbündete.
Wir haben alle Juden gefasst und in Lager gesteckt und Sie haben nichts
dergleichen getan." Die Japaner errichteten Konzentrationslager in
Indonesien mit separaten Blocks nur für Juden.
Eine Frau erinnert sich: "Wir hatten nie Kontakt mit den anderen Gefangenen.
Wir waren nur Juden." Regina Sasson berichtet: "Sie kamen um sechs Uhr
morgens und nahmen meinen Mann mit. Zwei Stunden später holten sie den Rest
der Familie mit meinen vier kleinen Kindern ab. Wir durften nichts
mitnehmen." Es gab drei Juden-KZ: in Tanatingi, Tanarang und Adek. Rina
Wallmann sagt: "Das Schlimmste war der Hunger. Wir aßen nicht die Ameisen,
weil sie zu bitter waren. Aber es gab sehr große Fliegen. Wir aßen sie ganz
langsam, wie Snacks." Regina und 13 andere Frauen wurden von den Japanern
erwischt, wie sie jeweils ein Ei schmuggelten. "Für einen Monaten sperrten
sie uns zur Strafe in eine Zelle ohne Essen, nur schwarzer Tee und Brot aus
Tapioka." Eine andere Frau stahl als vierjähriges Mädchen das Essen eines
Soldaten. "Der zog mir alle Fingernägel und sagte: Jetzt weißt du, dass
Stehlen verboten ist." Wer beim Bau von Brücken oder Eisenbahnlinien
stolperte und stürzte, wurde sofort erschossen. Nissim sagt: "Am Abend
mussten wir die Leichen aus den Löchern hervorholen und sie begraben." Viele
junge Mädchen wurden von den japanischen Soldaten vergewaltigt. Hana
Sichers: "Das Trauma bleibt mir bis an mein Lebensende." Sie trägt noch die
Wunden eines Samorai-Schwertes: "Die wollten mich in zwei Teile schneiden."
Viele KZ-Insassen seien gestorben. Aber Zahlen gibt es nicht, weil niemand
weiß, wie viele Juden vor dem Krieg in Indonesien lebten. "Wir hatten das
Gefühl, dass die Amerikaner die Atombombe auf Hirschima abgeworfen haben, um
uns zu retten. Danach konnten wir nicht mehr verschickt werden. Es war das
Ende unseres Leidens. Ich wog nur noch 37 Kilo", erzählt Regina Sasson.
Erst jetzt, sechzig Jahre später, waren die Überlebenden aus Indonesien
bereit, über ihren Holocaust zu reden. |