Ein neues J’accuse!

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1995

Ein neues J’accuse, ein breiteres J’accuse -…ein How dare you?, das sich gewaschen hat (und damit wieder sauber ist!), ein Wie könnt Ihr nur?, das fragt und klagt zugleich…

Von Ramona Ambs

J’accuse! – Ich klage an. Aufs Neue. Ganz anders als Onkel Émile und dennoch in gleicher Sache. Auch ich möchte die Werte der Demokratie und Gerechtigkeit gegen eine unheilvolle Mélange von pseudomoralischem Gebaren, Unaufrichtigkeit und antisemitischen Ressentiments verteidigen. Und deshalb leihe ich mir sein altes J’accuse! – um gegen diese neu entflammte, chronische Krankheit vorzugehen. Anders als Emile Zola, kann ich meinen Blick bei dieser Anklage nicht nur in eine Richtung, auf einen Fall lenken. Es ist nicht mehr nur ein Milieu, ein antisemitischer Vorfall, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die diese Zeilen nötig macht.

Vielmehr ist es eine bittere 360°-Klage. Die Gruppierungen, die ich anklage, und deren Reihenfolge ich gewürfelt hab, sind für mich nur „Erscheinungen, – Symptome der Krankheit der Gesellschaft“. Ich klage daher auch niemanden persönlich an, ich differenziere aber auch nicht, ich bleibe pauschal, ein jeder prüfe für sich, ob er sich diesen Schuh anziehen muss. Ein jeder prüfe für sich, ob er in der Position ist, andere auf mangelndes Schuhwerk hinzuweisen. Ein jeder prüfe für sich, mit welchen Schuhen er und seine Wegbegleiter unterwegs sind und mit wem er gemeinsam in die Zukunft gehen mag.

Ein jeder frage sich, sich, was er oder sie für diese Demokratie tun kann.

Ich klage an,

– die Medien, die seit Jahren mit einseitigen Überschriften und Texten Antisemitismus befördern,… die jede Lüge aus Pallywood erstmal als seriöse Information labeln, dann in Großbuchstaben auf die Titelseiten setzen und die Gegendarstellung (wenn überhaupt) nur Tage später im Kleingedruckten auf Seite 3 bringen… die häufig über Antisemitismus schreiben- außer über ihren eigenen, den zu reflektieren sie nicht mal im Ansatz gewillt sind,…. und die bei jeder Debatte, die Klicks verspricht, munter aufmischen: Israel geht thematisch immer- wenn’s da aber grad mal „ruhig“ ist, dann nimmt man auch gern mal die schlimmen Sitten der Orthodoxie in Visier oder kreiert eine Beschneidungsdebatte und treibt die „Kindsverstümmler“ durch die Schlagzeilen und Talkshows. Wer sich diesen Debatten in den Weg stellt, wird nicht selten als Gegner der Meinungsfreiheit gebrandmarkt. Auf diese Weise hält man ein Süppchen am Kochen, mit der im Anschluss Juden verbrüht werden… was dann neue Schlagzeilen liefert…

– die Politiker, die stets den Antisemitismus anderer Parteien oder den bestimmter Milieus beklagen,- aber den Judenhass in den eigenen Reihen klein reden und bagatellisieren,… die also Antisemitismus nicht inhaltlich bekämpfen, sondern ihn lediglich als Mittel zum Zweck benutzen, um ihre eigene Moralität darzustellen und ihre Macht zu erhalten… die überdies fleißig Kränze an Gedenktagen abwerfen und in Sonntagsreden stets betonen, dass Antisemitismus „keinen Platz in der Gesellschaft hat“, aber gleichzeitig abtauchen oder rumschwurbeln, wenn es um den konkreten Schutz der hier lebenden Juden geht.

– Muslime und people of colour, die hier in Deutschland stets unsere Solidarität hatten, weil wir Angriffe gegen sie, stets als Angriff auf die Demokratie, also auf uns alle, verstanden haben, – auf deren Solidarität wir aber seit dem 7.Oktober vergeblich warten…

– die Feministinnen, die jeden falsch gegenderten Lapsus lautstark skandalisieren, die aber gleichzeitig die Vergewaltigungen und Demütigungen israelischer Frauen am 7. Oktober mit allerlei Humbug rechtfertigen oder die Taten gar in Frage stellen…

– die Künstler und Intellektuellen, die meinen, unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit, all jene füttern zu müssen, die Hass schüren… die, die immer gleichen diskursiven Schleifen drehen, und propagieren, ein Hakenkreuz sei eigentlich ein Symbol für den Aufstand der unterdrückten Völker, wenn man es nur in den richtigen Kontext setzt…

– Studenten und Professoren, die meinen, ihren Antisemitismus mit einem Zeltlager auf dem Campus diverser Universitäten als Palästina-Solidarität verkleiden zu können, und denen dabei das Schicksal der Palästinenser, die unter der Hamas leiden, ganz offensichtlich genauso wumpe ist, wie die Gefährdung der jüdischen Studierenden vor Ort.

– die Gleichgültigen, die zu all dem schweigen…

Emile Zola bezeichnete seinen Brief als „ein radikales Mittel, um den Ausbruch der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu beschleunigen.“ Er endete mit den Worten: „Ich habe nur eine Leidenschaft, die des Lichtes, im Namen der Menschheit, die so viel gelitten hat und die ein Recht auf Glück besitzt. Mein flammender Protest ist nur der Schrei meiner Seele. Man wage es also, mich vor ein Schwurgericht zu stellen und die Untersuchung beim hellen Tageslichte vor sich gehen zu lassen! Ich warte darauf.“

Anders als Onkel Emile warte ich nicht auf ein Gericht. Aber ich warte auf ein Aufwachen derer, die bisher geschwiegen haben. Es wird Zeit.