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Zwei Jahre nach Arafat: Ein Bürgerkrieg – ohne Zweifel

Yasser Arafat muss sich im Grab umdrehen. Kaum zweieinhalb Jahre sind seit seinem Tod vergangen, und schon ist seine Bewegung, die Fatah, drauf und dran, ihre letzten Bollwerke im Gaza-Streifen zu verlieren. Schon seit einigen Monaten ringen die Palästinenser – und mit ihnen die internationale Presse und die israelischen Geheimdienste – mit der Frage, ob das, was in Gaza vor sich geht, als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann...

Kommentar von Avi Issacharoff, Ha’aretz, 13.06.07


Die Ereignisse der letzten Tage, einschließlich des zögerlichen Rückzugsgefechts der Fatah, haben nun offensichtlich allen Zweifeln ein Ende gesetzt. Im Gaza-Streifen tobt ein Bürgerkrieg – und die Islamisten haben dabei die Oberhand.

Der sich abzeichnende Ausgang wird weit reichende Konsequenzen haben - nicht nur für die Zukunft der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), sondern auch für ihre Beziehungen mit Israel, ja womöglich für die ganze Region. Der alte palästinensische Traum eines richtigen Staates schwindet dahin. Die Rede, die Präsident George Bush am 24. Juni anlässlich des fünften Jahrestages seiner Rede zur Zwei-Staaten-Vision zu halten beabsichtigt, wird einer grundsätzlichen Revision unterzogen werden müssen. Die Machtergreifung der Hamas im Gaza-Streifen, die gestern näher als je zuvor gerückt ist, ist dazu angetan, die palästinensischen Gebiete in zwei unterschiedliche politische und kulturelle Einheiten aufzuspalten: Hamastan (der Gaza-Streifen) und Fatahstan (das Westjordanland).

Auch wer in Israel noch immer darüber nachsinnt, ob es einen palästinensischen Partner gibt, wird umdenken müssen. Zumindest in Gaza, scheint es niemanden mehr zu geben, mit dem Israel sprechen könnte. Eine lange Schlange von Palästinensern, die den Gaza-Streifen verlassen wollen, hat sich gestern am Grenzübergang in Rafiah gebildet. In der Redaktion der „Ha’aretz“ sind Briefe von Palästinensern eingetroffen, die Ministerpräsident Ehud Olmert darum bitten, die Autonomiegebiete vor der Hamas zu retten.

Dies scheint nun im Moment das letzte zu sein, was Olmert zu tun beabsichtigt. In Regierungs- und Sicherheitskreisen verfolgt man die Entwicklungen mit größter Sorge. Doch wird Israel, so lange es sich dies erlauben kann, von einer Militäroperation im Gaza-Streifen Abstand nehmen. Die Direktiven an das Südkommando sprechen von erhöhter Alarm- und Verteidigungsbereitschaft, aber auch von Zurückhaltung. Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte werden sich nicht in den innerpalästinensischen Konflikt einmischen, so lange sie nicht mit Gewalt in ihn hineingezogen werden. Das Kassam-Raketenfeuer wird nicht mit einer breit angelegten Bodenoffensive beantwortet werden, zumal der Generalstabschef noch immer so stark davon eingenommen ist, sich auf ein plötzliches Aufflackern auf dem syrischen Schauplatz vorzubereiten.

PA-Vorsitzender Mahmoud Abbas (Abu Mazen) hat die jüngsten Gefechte in Gaza zu Recht als „Putschversuch“ bezeichnet. Seine Anhänger erweisen sich jedoch weiterhin als absolut hilflos im Kampf gegen die Hamas. Die islamistische Terrororganisation hat die Kontrolle über ganze Landstriche und Stadtgebiete des Gaza-Streifens übernommen, während sich die Fatah-Truppen in den Hauptquartieren der PA-Sicherheitsbehörden verschanzten und Angst hatten, vor die Tür zu gehen. Besonders eklatant ist während der letzten Tage die merkwürdige Abwesenheit der Fatah-Führung im Gaza-Streifen. Keiner der Führer der Organisation, Abbas, Mouhmad Dahlan, Rashid Abu Shabak, Samir Masharawi und andere, befindet sich in Gaza, ein jeder mit seiner eigenen Ausrede. Jene Befehlshaber haben sich die Parole „nach Ihnen“ zu Eigen gemacht und die örtlichen Kommandanten sich selbst überlassen.

Die Tatsache, dass die Hamas gestern nicht am Raketenbeschuss auf Israel teilgenommen hat, ist ein weiterer Grund zur Sorge für die Fatah. In den vorherigen Runden des Kampfes zwischen den Lagern, griff die Hamas, sobald sie das Gefühl hatte, den Kampf nicht gewinnen zu können, zur Wunderwaffe der Kassam, die die Spannung auf Israel übertrugen. Dieses Mal scheint sich die Hamas aber schon für die nächsten zwei Tage einen historischen Sieg auszumalen. Zu diesem Zweck hat sie all ihre Kämpfer einberufen und mit der Umsetzung eines geordneten Aktionsplans begonnen, dessen Ziel die Vernichtung der Fatah im Gaza-Streifen ist.

Die Schlacht wird womöglich schon heute entschieden werden. Gestern ist deutlich geworden, dass die Fatah schrittweise darauf verzichtet, kleinere regionale Stellungen zu halten und sich stattdessen auf einige größere und näher beieinander liegende Hauptquartiere in Gaza-Stadt und Umgebung zurückzieht. Wenn dieses Gebiet an die Hamas fällt, könnte dies das Ende der Fatah im Gaza-Streifen bedeuten. Und wenn die Fatah es schafft zurückzuschlagen, werden wir aller Voraussicht nach eine Wiederaufnahme des Raketenbeschusses auf Sderot von Seiten der Hamas erleben.

Posted 06/13/07 by: admin

Comments

wrote:
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Aus: "Lizas Welt"

Und täglich grüßt das Murmeltier

Beim Blick auf die Geschehnisse in den palästinensischen Gebieten und die deutsche Berichterstattung dazu fühlt man sich immer ein bisschen wie Bill Murray alias Phil Connors am Groundhog Day in Punxsutawney: Jeden Tag der gleiche Albtraum. Erneut liefern sich Hamas und Fatah tödliche Schießereien, und erneut warten die Medien hierzulande mit weitgehend kenntnisfreien Einschätzungen auf.

Wolfgang Günter Lerch beispielsweise konstatiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die „sozialen und menschlichen Bedingungen im Westjordanland und im Gazastreifen“ seien „immer mehr zerrüttet“ worden, was allemal „zum Ausbruch der jüngsten blutigen Kämpfe beigetragen haben dürfte“. Denn die „Strukturen in diesem heterogenen, geografisch getrennten und räumlich zersplitterten Kryptostaat sind noch weitgehend zerstört“ – und zwar, na klar, „nicht zuletzt auch durch Israels frühere Vergeltungsschläge“. Das habe sogar Folgen über den Gazastreifen und die Westbank hinaus: „Radikalisiert haben sich jetzt auch die Palästinenser in den libanesischen Flüchtlingslagern, wo sogar Al Qaida mitmischen soll.“ Solche abstrusen Deutungsmuster, die noch die übelsten Bürgerkriegsverbrechen und Terrorattacken allen Ernstes zur Spätfolge israelischen Handelns erklären, verlacht in Deutschland kaum jemand, und es ruft auch keiner „Rassismus!“, wenn die Palästinenser in einer als seriös geltenden deutschen Tageszeitung als Subjekte dargestellt werden, die scheinbar per se nicht über genügend Hirnwindungen verfügen, für ihr Tun auch verantwortlich zu sein.

In der Süddeutschen Zeitung wiederum darf sich einmal mehr Thorsten Schmitz an einer Beurteilung der Lage versuchen. Und auch der drischt gleich zu Beginn erst einmal ein paar Phrasen aus dem unerschöpflichen Repertoire des Antiimperialismus: „Der Gazastreifen ist ein Gefängnis mit Meerblick. Alle drei Ausgänge werden von Israel kontrolliert, jener im Süden zusätzlich von EU-Beamten und ägyptischen Polizisten. Die 1,5 Millionen Einwohner des Gazastreifens haben weder Arbeit noch genug zu essen. Sie leben auf dem dichtestbesiedelten Gebiet der Welt, der Ausbruch der jüngsten Gewalt ist also auch ein Ausdruck der Hoffnungslosigkeit.“ Man kennt dieses Argumentationsmuster bereits von den Selbstmordattentaten, die, zu Verzweiflungstaten verniedlicht, ein irgendwo doch verständlicher Reflex auf erlittenes Unrecht sein sollen. So ist es auch diesmal im „Gefängnis mit Meerblick“, dessen Insassen offenbar völlig ohne Grund an ihrer Bewegungsfreiheit gehindert werden.
06/13/07 18:45:31

wrote:
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Doch der SZ-Korrespondent geht anschließend auch mit der Hamas ins Gericht, die sich „dem Projekt Wiederbewaffnung“ gewidmet habe, statt „in Schulen und Universitäten zu investieren, in Kanalisation, Krankenhäuser und Müllverbrennung“ – als ob das für die Gotteskriegertruppe gleichberechtigte Alternativen wären. Schmitz aber bleibt unbeirrt und befindet gar maßlos enttäuscht: „Der Bruderkrieg löst Zweifel aus, ob die Palästinenser überhaupt zu einem eigenen Staat fähig sind, wenn sie sich noch nicht einmal untereinander auf einen Modus Vivendi einigen können.“ Ja, mehr noch: „Seit vier Jahrzehnten fordern die Palästinenser einen eigenen Staat. In den vergangenen zwei Jahren hatten sie im Gazastreifen die Gelegenheit, dies in Umrissen zu schaffen und ihren Alltag danach auszurichten. Stattdessen wählten sie die Hamas an die Regierung, jene Organisation also, die Israel zerstören will und die Menschen im Gazastreifen mit Waffen versorgt statt mit Büchern und Brot.“ Hätte er nicht „stattdessen“, sondern „deshalb“ geschrieben, man hätte glatt von einer Erkenntnis sprechen können.

Eine andere Idee, woher die neuerliche mörderische Eskalation kommen könnte, hat Yassin Musharbash auf Spiegel Online. Es sei „Augenwischerei zu ignorieren, dass der Ausbruch der Gewalt mit dem Boykott der Hamas-geführten Regierung durch die internationale Gemeinschaft und Israel zusammenhängt“, schreibt er. Schließlich gelte: „Frustration, seit Monaten ausstehende Gehälter und eine schwere ökonomische Krise haben die Situation angeheizt. Das Nahostquartett und Israel hatten gehofft, die Hamas zu zermürben – das hat nicht funktioniert. Im Gegenteil: Die Hamas hat nach wie vor eine Mehrheit, und die Nicht-Hamas-Anhänger wurden durch den Boykott ebenso hart getroffen wie alle anderen. Das hat die Glaubwürdigkeit des Nahostquartetts leiden lassen. Und die verarmten Millionen von Gaza haben längst nichts mehr zu verlieren.“ Eine nachgerade bestechende Logik, die nur ein kleines Häkchen hat, wie die Welt – die damit eine der raren Ausnahmen darstellt – deutlich macht: „Von einem Boykott kann keine Rede sein: Denn die internationalen Zuwendungen haben sich laut UN im vergangenen Jahr von 349 Millionen Dollar auf 900 Millionen fast verdreifacht. Allerdings erreichen sie, vorbei an den militanten Islamisten der Hamas, nur einen Teil der Bevölkerung. Gleichzeitig rüsten Hamas wie Fatah ihre bewaffneten Kräfte auf, und die Straßenkämpfe nehmen immer gewaltsamere Formen an.“ Sich vorzustellen, was geschähe, würden sämtliche zurückgehaltenen Mittel freigegeben, bedarf daher keiner allzu großen Fantasie.

Im Epizentrum dieses Konflikts, wie auch der anderen in der Region, „steht der eigentliche Unruhestifter: Iran“, schrieb Yaacov Katz in der Jerusalem Post. „Die Hamas, der Islamische Djihad, die Hizbollah und Syrien werden alle von Teheran finanziert, das internationalen Druck weiterhin ignoriert, während es sein Atomprogramm vorantreibt.“ Eigentlich keine so fern liegende Einsicht, aber für deutsche Medienschaffende ganz offensichtlich von einem anderen Planeten. Und so fühlt man sich auch in Bezug auf das Mullah-Regime wie Punxsutawney Phil: Und täglich grüßt das Murmeltier.
06/13/07 18:46:27

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