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Über "musica misrachit" und ashkenazische Arroganz

Während bis in die 70er Jahre die einzige Liebe, die besungen wurde, Vaterlandsliebe, Volksliebe und ahava mekudeshet be-dam ("Mit Blut besiegelte Liebe", aus dem Lieblingslied Yitzhak Rabins) war, ging und geht es bei der Musika Mizrahit um Liebe zwischen zwei Menschen. Auch ist das bei weitem nicht das einzige Thema...

Von Benjamin Rosendahl

"Haben wir Tulkarem erobert, oder Tulkarem uns?”
(ehemaliger Knesset- Mitglied und "Shinui”- Parteiführer Tommy Lapid über den Mizrahi-Sänger Amir Benayoun)


Die ersten drei Worte von Lisa Yehudas Artikel sind fast zu schön, um wahr zu sein: "Israelische 'musica misrachit'". Wie Lisa bestimmt weiss, gibt es nicht einen einzigen Musikladen in Israel, wo Musika Mizrahit und Musika Israelit im selben Regal stehen. Es scheint, dass selbst nach all den Jahren diese Musikrichtung im besten Falle als "Mischung aus allen möglichen Musikstilen" (so Lisa) und im schlimmsten Fall als arabische Infiltration (so Tommy Lapid) betrachtet wird. Interessanterweise hörte man ähnliche Worte wie die Lapids nie über so ur-israelische (?) Lieder wie "Tumbalalaika". Im allgemeinen kann gesagt werden, dass die sogenannten Shirei Eretz Israel (israelische Volkslieder) fast ausschließlich Übersetzungen osteuropäischen Liedguts sind. (Nebenbei ist sogar Yerushalajim shel Zahav, das wohl populärste israelische Volkslied, nicht lokalem, sondern baskischen Ursprungs.) Warum sind diese Lieder aber Musika Israelit, während es bei Musika Mizrahit heißt (bei Lisa), dass sich "der Name allein schon wie eine Halsentzündung anhört"?

Die Antwort auf diese Frage liegt in der Diskriminierung der Mizrahim (Juden aus arabischen Ländern, hauptsächlich Nordafrika) durch das ashkenazische Establishment. Bis zum heutigen Tag verdienen Mizrahim im Durchschnitt weniger als Ashkenazim, leben in schlechteren Wohngebieten und sind, selbst wenn sie erfolgreich sind (Amir Peretz) kulturellen Stereotypen ausgesetzt. Diese Diskriminierung war natürlich auch in der Musik vorhanden: Prof. Sami Shalom-Chetrit, ein aus Marokka stammender Israeli, erinnert sich noch sehr gut, wie langsam aber sicher die Schallplatten seiner Eltern, die sie aus Marokka mitgebracht hatten, aus dem Wohnzimmer verschwanden: Die Lieder von Farid El-Atrash, Abd El-Halim und Abd El-Wahib waren nicht erwünscht in Israel. Genauso unerwünscht war es, die Musik zu imitieren und auf Ivrit zu singen [was mit osteuropäischen Lieder die ganze Zeit geschah]. Radiostationen, die direkt von Mapai (Ben-Gurions Arbeiterpartei) kontrolliert wurden, weigerten sich jahrzehntelang Musik zu spielen, die –auch wenn Ivrit gesungen wurde (oder wenn sie instrumental war)- arabisch klang.

Hier würde ich gerne darauf hinweisen, dass die Abwertung der musikalischen Tradition des Orients als minderwertig nicht nur absolute falsch, sondern auch rassistisch ist: So sind Qud und Qanun sind nur zwei der in Europa eher unbekannten Instrumente, die der nahöstlichen Musik seit Jahrhunderten ihren Charme verleiht. Sie stehen der Geige und Oboe in Nichts nach. Und was Lisa Yehuda als "instrumentale Kunterbunt von meist nasalen Stimmen, die mal juchzten, mal jauchzten, mal hysterisch die Tonleiter hinaufkeuchten" beschreibt, ist in Wirklichkeit eine hart zu lernende musikalische Fähigkeit, die muwal heisst: Das minutenlange Anhalten der Stimme in verschiedenen Tonlagen. So künstlerisch, wie Zohar Argov am Anfang von Perakh be-Gani durch Muwwal mit seiner Stimme spielt, singt nicht einmal Pavarotti das "Hohe C". Gehört Pavarotti auch in die Kategorie das "Juchzen und Jauchzen"?

Auch würde ich gerne auf die Texte von Musica Mizrahit eingehen: Es stimmt zwar, dass Liebe und Herzschmerz ein häufiges Thema ist. [Übrigens auch in der Opernwelt, aber das nur nebenbei.] Jedoch war das eine revolutionäre Entwicklung: Während bis in die 70er Jahre die einzige Liebe, die besungen wurde, Vaterlandsliebe, Volksliebe und ahava mekudeshet be-dam ("Mit Blut besiegelte Liebe", aus dem Lieblingslied Yitzhak Rabins) war, ging und geht es bei der Musika Mizrahit um Liebe zwischen zwei Menschen. Auch ist das bei weitem nicht das einzige Thema: Badad (Einsamkeit), Ha-Takhana ha-yeshana (die "alte Busstation" im Süden Tel-Aviv, einer Arbeitergegend) und Bedouin Saken ("ein alter Beduine”) sind nur einige Titel, die zeigen, wie gross die Auswahl an Themen sind.

Zum Schluss noch ein Tipp an ashkenazische Elitisten, und zwar –wie könnte es anders sein- aus einem Lied vom König der Musica Mizrahit, Zohar Argov:

"Lu Haiti bar- Mazal levakesh goral- As Haiti mevakesh: Lihiot Adam"
(Wenn ich das Glück hätte, mein Schicksal zu bestimmen, hätte ich nur eine Sache gewünscht: Ein MENSCH zu sein.)

Category: Kultur
Posted 05/30/07 by: admin

Comments

wrote:
Vielen Dank für diesen (laengst faelligen) Artikel, Benjamin Rosendahl und auch haGalil!

Den Artikel mit Zohar Argov zu beenden...: Kol hakavod!

(Ich vermute, Lisa Yehuda wollte einfach nur den Leser herausfordern und das ist ihr gelungen.
...Lisa...?)
05/30/07 21:32:15

wrote:
hear hear!
kol hakavod!
05/31/07 06:59:16

wrote:
Lisa, Sie sind doch nicht etwa pikiert?

Schreiben Sie doch BITTE eine Fortsetzung.

Schlussendlich ist Ihr Artikel (das ist wirklich positiv gemeint!) auch amuesant.

Toda (toda!) raba!!!

Gerd.

P.S. Vielleicht hoerten Sie die "falsche" Musik. Furchtbar alte, leiernde Tapes von Zehava Ben, z.B.!?
06/22/07 08:40:27

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