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Studie: Krebsrisiko für Schoah-Überlebende 2,4mal größer
Ben-Zion Ben-Ari war 13 als der Zweite Weltkrieg nach Transnistria in der Ukraine kam. Über drei Jahre hinweg gelang es ihm, den Transporten in die Arbeits- und Todeslager zu entkommen. Sein Vater wurde bei einer Aktion gefangen genommen. Als auch seine Mutter geholt wurde, entschied er sich, mit ihr zu gehen. Sie überlebten die Lager und immigrierten nach dem Krieg nach Israel...
Auszüge aus einem Nachrichtenartikel von Ruth Sinai, Ha’aretz, 15.04.2007
Übersetzung von Daniela Marcus
In Israel baute sich Ben-Ari sein Leben auf und schob die Schrecken des Krieges hinter sich zurück bis er im Alter von 50 an Krebs erkrankte. „Drei Jahre lang kämpfte ich täglich gegen den Tod“, erinnert sich Ben-Ari. „Plötzlich wurde mir nach all den Jahren gesagt, ich litte an einer ernsthaften Krankheit und müsste den Tod erneut bekämpfen.“
Bei der israelischen Krebsvereinigung (ICA), bei der er inzwischen als ehrenamtlicher Helfer arbeitet, fand Ben-Ari emotionale Unterstützung, die ihm half, eine operative Entfernung des gesamten Dickdarms, eine Chemotherapie und vier Jahre später, nach Entdeckung von Metastasen, eine erneute Operation zu überstehen.
Die Krankheit brachte Alpträume aus der Zeit des Krieges hervor. „Zehn Jahre lang träumte ich. Alles kam aus meinem Unterbewusstsein hervor – die Schreie, die Angst“, erinnert sich Ben-Ari. Er belegte einen Kurs in positivem Denken und begann Antidepressiva zu nehmen.
Während der letzten Jahre hatte er Hautkrebs. „Ich habe große Angst vor der Krankheit. Doch Hautkrebs kann man behandeln. Wenn ich beide Krebsarten überlebt habe, heißt das offensichtlich, dass ich stärker bin als sie“, sagt Ben-Ari.
Inzwischen hat eine erste umfassende Studie über die Krebsrate unter Schoah-Überlebenden gezeigt, dass diese Überlebenden mit einer 2,4mal größeren Wahrscheinlichkeit an Krebs erkrankten als diejenigen, die nicht durch die Schoah gegangen sind.
Darmkrebs kam bei männlichen Schoah-Überlebenden neunmal häufiger vor als bei Männern des gleichen Alters, die vor dem Zweiten Weltkrieg von Europa nach Israel immigrierten. Unter Frauen war die Darmkrebs-Rate bei Schoah-Überlebenden 2,25mal höher.
Die Studie, die von der Schule für öffentliche Gesundheit der Universität Haifa durchgeführt und von der israelischen Krebsvereinigung (ICA) finanziell unterstützt wurde, basiert auf den Statistiken des Nationalen Krebsregisters. Es wurden die Krebsfälle von 1,8 Millionen Israelis, die zwischen 1920 und 1945 in Europa geboren wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel kamen, mit 464.000 Krebsfällen von Israelis, die zwischen 1920 und 1939 geboren wurden und vor 1939 nach Israel kamen, verglichen.
Weibliche Schoah-Überlebende erkrankten 1,5mal häufiger an Brustkrebs als Frauen, die vor dem Krieg nach Israel immigrierten. Bei Schoah-Überlebenden geschah es seltener, dass eine fünfjährige Zeitspanne nach der Krebserkrankung überlebt wurde. Ungeachtet des Geschlechts und des Alters waren es zwischen fünf und 13 Prozent. Die Forscher sind der Ansicht, dies könnte an der Widerwilligkeit der Schoah-Überlebenden sich zu beklagen oder untersucht zu werden, liegen, was zu einer späteren Entdeckung der Krankheit führt.
Das Team fand heraus, dass das Krebsrisiko umso höher ist je jünger die Schoah-Überlebenden während des Zweiten Weltkrieges waren. So ist das Risiko für Frauen, die während der Schoah 10 Jahre und jünger waren, an Brustkrebs zu erkranken, doppelt so hoch wie für diejenigen, die älter als 10 waren. „Es wurde festgestellt, dass das Risiko, Krebs zu entwickeln, steigt, wenn der Körper während der Wachstumsperiode Hunger und Mangelernährung ausgesetzt war“, sagt die Forscherin Nami Vine Raviv, die die Studie unter der Leitung von Dr. Micha Barchana und Prof. Shai Lin durchführte.
AMCHA, das nationale israelische Zentrum für psychosoziale Unterstützung von Schoah-Überlebenden und der zweiten Generation, bestätigt die Untersuchungsergebnisse. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht einen Brief unterschreibe, der in irgendeiner Verbindung zu einem Krebspatienten steht“, sagt Hani Oron, die Zweigstellenleiterin von AMCHA in Tel Aviv. Vor einigen Monaten sandte Oron eine deutsche Übersetzung der Studie an die 11 regionalen Büros in Deutschland, die mit Entschädigungszahlungen bezüglich der Schoah beschäftigt sind, und bat um finanzielle Unterstützung für die psychologische Beratung von Schoah-Überlebenden mit Krebs.
„Schoah-Überlebende führen eine andere Art von Dialog mit dem Tod als Menschen, die die Schoah nicht durchgemacht haben“, sagt Oron. „Krebs ist für diejenigen, die bereits mit dem Tod in Berührung kamen, eine schreckliche Bedrohung, und ihre Reaktion ist schwierig. Sie nennen die Krankheit nicht beim Namen und bestehen darauf, von ihr als „die Krankheit“ zu sprechen. Sie sind sehr betroffen und ihre Fähigkeiten, mit dem Krebs zurechtzukommen, sind geschwächt. Manche verweigern sogar die Behandlung“, fügt sie hinzu.