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"Entweder du leidest, oder du wächst"

Verbranntes Haar, verbrannte Haut. Bis heute geht Lea Saban der Geruch nicht aus der Nase. Mit 18 Jahren wurde das Fotomodell von einer Autobombe schwer verletzt. Heute hat sich Lea ins Leben zurückgekämpft...

Von Kathrin Ludwig
Welt Online v. 16.02.2007


Verbranntes Haar, verbrannte Haut. Bis heute geht ihr der Geruch nicht aus der Nase. Lea Saban (23), Tochter tunesischer Einwanderer und Älteste von acht Geschwistern, zieht genüsslich an ihrer Zigarette. Volle, weiche Lippen, makellose Haut, dichte, geschwungene Augenbrauen. Lea Sabans Gesicht ist atemberaubend schön.

Das Fotomodell sitzt an der Fensterfront des „Café Hillel“, eines beliebten Coffee-Shops an der quirligen Jaffa Straße. Es ist ein verregneter Nachmittag. Die meisten Kunden - Geschäftsleute, Studenten, Touristen - kaufen ihren „Coffee to go“ und tauchen mit den dampfenden Pappbechern im Regenschirmmeer der israelischen Hauptstadt unter. Lea hat es nicht eilig. Sie ist mit dem Café schicksalhaft verbunden. Es ist der Ort, der für sie zum Ausgangspunkt eines apokalyptischen Szenarios wurde. Es ist der Ort, an den sie so oft wie möglich zurückkehrt, an dem sie sich zuhause fühlt.

Es geschah am 1. Dezember 2001. Es war eine Zeit, während der fast täglich Israelis bei Selbstmordattentaten ums Leben kamen. In Bussen, Cafés, Fußgängerzonen. Der Terror war allgegenwärtig. Trotzdem, das Leben ging weiter. Lea, vor wenigen Tagen 18 geworden, ging mit fünf Freundinnen aus, um im „Café Hillel“ ihren Geburtstag nachzufeiern. „Ich war den ganzen Tag unheimlich nervös“, sagt Lea und ihre großen, goldenen Ohrringe beginnen zu schaukeln. „Ich konnte nicht still sitzen und hatte so ein ungutes Gefühl im Bauch. Um elf machten wir uns auf den Nachhauseweg.“

Lea muss als einzige in eine andere Richtung. Sie wickelt den Strick-Poncho fest um ihren Oberkörper und geht mit verschränkten Armen los. Vorbei an angetrunkenen Jugendlichen, kichernden Mädchen-Cliquen, verrauchten Bars. Jerusalems Ausgeh-Meile pulsiert. Dann plötzlich: eine Explosion. Bei der Explosion dieses Autos wurde Lea Saban verletzt. Flammen, Blut und Schreie. Der Geruch von verbrannter Haut steigt Lea in die Nase. Ein Selbstmordattentäter hat sich in die Luft gejagt. Lea rennt durch das Chaos, stolpert über Leichen und Verletzte. Sie will helfen. Wenige Sekunden später: eine zweite Explosion in der wenige Schritte entfernten Fußgängerzone Ben Jehuda. Lea rennt. So schnell wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt ist. „Ich dachte, ganz Jerusalem steht in Flammen.“ Nebenbei kramt sie das Handy aus der Handtasche. „Mama, mit mir ist alles okay“, ruft sie außer Atem, als sie von der Druckwelle einer dritten Explosion meterweit durch die Luft geschleudert wird. Neben ihr ist eine Autobombe hoch gegangen.

Lea brennt lichterloh. Sie hat das Gefühl zu ersticken. Und trotzdem: Sie rennt weiter, betet das jüdische Glaubensbekenntnis „Schma Israel“. Von hinten schmeißt sich jemand auf sie, beginnt sie zu löschen. Die ersten Rettungswagen treffen ein. Lea läuft weiter, zieht sich mit letzter Kraft über einen zwei Meter hohen Metallzaun, springt auf die andere Seite. Nur weg vom Flammeninferno. Der Zaun steht bis heute. Die Stelle, an der Lea mit letzter Kraft über ihn geklettert ist, ist schwarz verkokelt. „Ich wollte nicht sterben. Nicht hier in einer dunklen Gassen. Nicht jetzt, so kurz nach meinem 18. Geburtstag.“

Lea wird ins Krankenhaus „Sha’are Zedek“ eingeliefert. Die Abteilung ist voll mit anderen Verletzten. Über 100 junge Menschen, fast alle minderjährig, kämpfen mit schweren Verbrennungen. Elf junge Männer und Frauen sind gestorben. Zwei Selbstmordattentäter haben den teuflischen Plan ausgeheckt. Die Autobombe sollte zünden, wenn die ersten Rettungswagen eintreffen. Ihr Plan ist aufgegangen. Für ihre Gefährten wurden sie so zu Märtyrern, zu Helden ihrer Gesellschaft. Lea Sabans ganzer Körper war stark verbrannt.

Lea hat Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Die Hände, das Gesicht, den Rücken hat es besonders schwer getroffen. Die Ärzte drängen auf eine Hauttransplantation. Lea verweigert die Unterschrift. „Gott hat mich in diese Situation gebracht, jetzt soll er mich da auch wieder raus holen.“, sagt sie resolut. Sogar ihre religiösen Eltern sind über die Bestimmtheit ihrer ältesten Tochter erschrocken.

Abends fährt sie heimlich mit dem Rollstuhl in die Synagoge des Krankenhauses. Mit ihren verbundenen Händen, streicht sie über die Tora. „Gott, Du kannst mir nicht entkommen. Meine Haut ist Deine Haut. Bring’ sie wieder in Ordnung. Mach’ Dir selbst keine Schande!“

Zwei Monate liegt Lea im Krankenhaus. Eine schmerzvolle Zeit, während der sie erwachsen wird. Sie will sich alles von der Seele schreiben. Weil sie wegen der verbundenen Hände noch keinen Stift halten kann, prägt sie sich ihre Gedichte mit Hilfe kurzer Melodien ein.

„Mir wurde schnell klar, dass es zwei Wege gibt, mit der Situation umzugehen: Entweder Du leidest, oder Du wächst.“ Lea wächst - über sich hinaus. Ärzte, Familie und Freunde bewundern sie für ihren unerschütterlichen Glauben an Gott. Und ohne eine OP geschieht das Unglaubliche: Entgegen aller medizinischer Diagnosen beginnt Leas Haut nachzuwachsen. „Ich bin durch meinen festen Glauben geheilt worden.“, davon ist Lea überzeugt.

Ihren Retter trifft sie Monate später zufällig in einem Einkaufszentrum wieder. Beim Sicherheits-Cheque piepst der Detektor, als er über Leas Körper fährt. Noch immer sind unzählige Metall-Splitter in der Haut. „Ein Selbstmordattentat?“, fragt der Sicherheitsmann. Lea nickt. „An welchem Tag?“, fragt er weiter. „Da wusste ich auf einmal Bescheid. Dieser große, starke Mann ist mein Retter. Ich habe ihn umarmt und minutenlang nicht losgelassen.“

Lea packt ihr Leben an. Sie beginnt ein Architektur-Studium, schreibt jede Nacht an ihrem Buch, nimmt Klavier- und Gesangsunterricht. Doch manchmal kommen sie doch, diese Bilder. Unerwartet schleichen sie sich in ihre Träume: Lea ist auf einer Bahre festgebunden und verbrennt bei lebendigem Leibe. „Ich habe alles im Griff.“, sagt sie mit einem Lächeln. „Um meine Geschwister und Freunde mache ich mir aber andauernd Sorgen.“ Ihre beste Freundin Orit stirbt auf dem Weg zur Uni in einem Bus. Der Selbstmordattentäter hatte sich als orthodoxer Jude verkleidet. „Das hat mich mehr verzweifeln lassen als mein eigenes Schicksal.“

Seit anderthalb Jahren arbeitet Lea als Fotomodell. Die auflagenstärkste israelische Frauenzeitschrift „La Ischa“ („ Für die Frau“) wählte sie im letzten Jahr zum Titel-Model. „Ich bin gelassener als meine Kolleginnen.“, sagt Lea. „Ich hab’ gelernt die Dinge im richtigen Maßstab zu sehen.“

Category: Terror
Posted 02/24/07 by: admin

Comments

manfredonia wrote:
Ein aussergewöhnlicher, mutmachender Einblick in ein junges Leben. Eine junge Frau, die sich wieder zurückkämpft ins volle Leben.
Dieses Zeugnis einer lebensbejahenden Frau gebe ich gerne an meine Klienten weiter und verknüpfe dies mit der Frage:
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass dieser Mensch, statt in der 'Jammerecke' hängen zu bleiben, wieder das Leben liebt und gestaltet ?
03/01/07 15:42:57

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