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Ulrich Sahm: Erwiderung auf Dany Rubinstein

Dany Rubinstein schreibt: "Es könnte schon zu spät sein für Israelis und Palästinenser, eine gemeinsame Vereinbarung erzielen zu können, wenn man sich weiterhin an die derzeitige Struktur hält." Es ist ziemlich eigentümlich, wie im Nahen Osten, zuletzt König Abdullah von Jordanien, immer wieder von "zu spät" und von letzten Chancen reden...

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 21. Januar 2007

Also angenommen es ist zu spät, die letzte Chance ist vorübergegangen, ein Friede zwischen Israel und den Palästinensern undenkbar. Die Menschheitsgeschichte bleibt also stehen. Es passiert nichts mehr. Wo hat es eigentlich so etwas sonst wo gegeben? Etwa in Europa nach tausenden Kriegen in den letzten 2000 Jahren? Würden sich die Israelis und Palästinenser etwa in Luft auflösen? Denn Krieg führen sie ohnehin miteinander und das seit hundert Jahren.

Im Nahen Osten gibt es seit jeher stets irgendwelche Prozesse. Oft haben sie die Namen ihrer Erfinder: Jarring, Reagan, Schulz oder Namen wie Oslo und Roadmap. Zu den Eigentümlichkeiten des Nahen Ostens gehört die groteske Mentalität, dass ein Scheitern des gerade gültigen Friedensprozesses ein Ende der Welt, einen totalen Stillstand oder die Ankunft des Messias bedeutet, alternativ zu "Apokalypse now".

Alle gescheiterten Friedensprozesse sind längst vergessen oder durch neue Initiativen ersetzt worden. Das zeigt, dass die Initiativen keinen endgültigen Charakter haben, als gäbe es keinen Gott neben ihnen.

Andersherum argumentiert: Wieso ist eigentlich allein das von Israel annektierte Jerusalem "nach internationalem Recht" illegal, während die jordanische Annexion Ostjerusalems und damit die Schaffung eines "Arab-East-Jerusalem" heute sakrosankt, als wäre das jemals von irgend einem Land außer Pakistan anerkannt worden. Bis heute gilt letztlich der Teilungsplan von 1947, der vorsieht, dass Jerusalem weder Arabern noch Juden gehören soll, sondern "international" verwaltet. Wieso sollte ein palästinensischer Staat nicht lebensfähig sein, solange (Ost-)Jerusalem nicht seine Hauptstadt wird. Ein Blick in die PLO-Charta, der Gründungsurkunde des palästinensischen Volkes, ergibt ein erstaunliches Manko: Jerusalem wird darin nicht ein einziges Mal erwähnt, schon gar nicht als Bedingung für einen palästinensischen Staat. Israel wie die Palästinenser versuchen, in Jerusalem ihre jeweiligen Fakten zu schaffen: Die Israelis mit der Errichtung von Satellitenstädten in "Ost-Jerusalem", natürlich im Widerspruch zum "Internationalen Recht" oder "trotz internationaler Kritik", die Palästinenser durch die Errichtung von Häusern an strategisch wichtigen Stellen, natürlich ohne Baugenehmigung.

Wir wissen nicht, wem Jerusalem und besonders die Heiligen Städten in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren gehören werden, es sei denn, dass eine iranische Atombombe ohnehin alles kaputt macht und sich die Frage erübrigt. Wir wissen aber, dass es zu diesem Konflikt keine alleinige Wahrheit gibt und gewiss auch kein klares "Recht" oder "Unrecht". Jede Partei bringt ihre eigene emotionale subjektive Sicht mit, die Juden mit ihrer Sucht nach Jerusalem, die Moslems mit 1600 Jahren Geschichte und die Christen mit Anspruch auf die Wahrheit ihres Glaubens.

Zu den stets neuerfundenen Mythen des Nahen Ostens gehört, irgendwelche Ideen oder Initiativen als ultimo Ratio, als einzige denkbare "Lösung" darzustellen. Erst einmal sollte man sich gerade in Europa fragen, wieso eigentlich eine für Europa undenkbare "Lösung" im Nahen Osten Zwang sein sollte. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist kein Friedensvertrag unterzeichnet worden. Die Lehren aus dem Versailler Vertrag haben die Europäer eines Besseren gelehrt, alternative Wege zu suchen, Einzelverträge im Rahmen eines durchaus gut funktionierenden Konfliktmanagements, bis hin zum gemeinsamen Euro, und das sogar ohne gemeinsame Verfassung. Das hinderte freilich die ach so friedfertigen Europäer nicht daran, untätig und ohnmächtig einem blutigen Krieg mitten in ihrem Territorium zuzuschauen, bis (Gott sei dank) die Amerikaner in Dayton kamen, den Jugoslawien-Konflikt zu beenden. Innerhalb von nur zehn Jahren starben da mitten in Europa fünfmal mehr Menschen als im ganzen Nahostkonflikt seit hundert Jahren.

In Jugoslawien würde es kein Europäer wagen, allein ein unabhängiges Kosowo oder Montenegro oder sonst was als einzig denkbare ultimative "Lösung" darzustellen. Warum ist keine vergleichbare Flexibilität im Nahostkonflikt denkbar? Wieso bedeutet ein palästinensischer Staat die ultimative Lösung, wenn ganz offensichtlich die Palästinenser selber kaum konstruktive Schritte in diese Richtung unternommen haben, obgleich ihnen der künftige Staat fast auf dem Silbertablett präsentiert wurde. Wer kann oder soll bestimmen, wem Jerusalem gehören darf, wenn wir Europäer doch an Lessings Nathan den Weisen glauben, dass jede Religion die Wahrheit für sich gepachtet habe- oder auch nicht. Wieso müssen die palästinensischen Flüchtlinge im palästinensischen Gazastreifen oder im palästinensischen Westjordanland unbedingt in ihre alten (meist nicht mehr existenten) Häuser in Israel zurückkehren, während niemand auf die Idee kommt, die Schlesier oder Sudetendeutschen wieder in ihre alten Häuser zurückzuschicken. Kriege haben nicht nur die Deutschen angezettelt und verloren.

Jeder weiß, dass der derzeitige Zustand in Nahost ziemlich unerquicklich und vor allem blutig ist. Ob die Israelis wirklich Frieden wollen, nur weil sie nicht die palästinensischen Bedingungen akzeptieren, ist genauso fraglich wie umgekehrt: Wollen etwa die Palästinenser keinen Frieden, weil sie israelische Vorstellungen nicht akzeptieren?

Wir haben keine Patentlösung anzubieten, weil wir uns bis heute nicht entschieden haben, ob die Israelis, die Palästinenser, beide vielleicht oder keiner von Ihnen "recht" hat. Deshalb üben wir uns auch nicht in Schuldzuweisungen, denn Terror gab es auch vor 1967, vor der Besatzung und Siedlungen. Ob Israelis oder Palästinenser "brutaler", "grausamer" und "rücksichtsloser" sind, darüber mögen die Historiker entscheiden. Wenn die Palästinenser keinen einzigen Juden in ihren Gebieten dulden, dann scheint "Apartheid" keine rein israelische Erfindung zu sein. In "ethnic cleansing" haben sich eher die Araber geübt, wenn sie mit Erfolg und bis auf den letzten Rest alle 800.000 Juden erfolgreich vertrieben haben, während es im jüdischen Staat immer noch 1,2 Millionen Araber gibt, mitsamt 11 Abgeordneten in der Knesset.

Wir können nur feststellen, dass es da einen "Konflikt" gibt, der übrigens ständig sein Schwergewicht verschiebt. Einst gab es keine Palästinenser, weil die sich erst 1964 etablierten. Noch 1968 schrieb ausgerechnet der Schweizer Nahostexperte Arnold Hottinger ein ganzes Buch über den "arabisch-israelischen" Konflikt ohne auch nur mit einem Wort die Palästinenser zu erwähnen. Heute machen sie "immer schon" aus seiner Sicht den "Kern" des Konflikts aus.

Heute verschiebt sich wieder das Schwergewicht. Heute geht es nicht mehr um Israel und Araber oder Palästinenser. Inzwischen schafft Iran mit seinen Atombestrebungen eine neue Gleichung, einen Konflikt zwischen Islam und Juden sowie dem "christlichen" Westen. Denn sollte Iran mit Atombomben den jüdischen Staat auslöschen, wie angekündigt, dann würde es die Palästinenser wegen der geografischen Begebenheiten genauso treffen. Die von Israel und den Palästinensern bevölkerten Gebiete machen nur ein Viertel der Größe Hessens aus und liegen nur wenige Kilometer auseinander. Ausgerechnet jene Atomkraftgegner in Deutschland, die sich angeblich so sehr um das Wohl der Palästinenser kümmern, pochen auf dem Recht des Iran, seine atomaren Fähigkeiten frei zu entfalten, nur weil Israel und die Amerikaner dagegen sind.

Dem Artikel von Dany Rubinstein sei vor Allem hinzugefügt, dass das Leben weitergeht. Wenn kalter Krieg und Spaltung Deutschlands überwunden sind, dann tauchen so unüberwindbare Probleme wie die Renten- und Gesundheitsreform auf. Und wer diese nicht ernst genug nimmt, dem wird plötzlich in Moskau das Gas abgeschaltet oder durch einen Orkan das Dach weggeblasen. Auch im Nahen Osten kommt das Leben nicht zu einem Stillstand, weil die Palästinenser einen Machtkampf ausfechten, die Roadmap nicht funktioniert, Oslo abgeschrieben ist und ein Palästinensischer Staat heute ferner zu sein scheint als jemals zuvor – seit seiner Erfindung 1964, denn vorher war nur von einem "arabischen Staat" neben Israel die Rede.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

Friedensverhandlungen:
Es ist an der Zeit, das Scheitern einzugestehen
Es könnte schon zu spät sein für Israelis und Palästinenser, eine gemeinsame Vereinbarung erzielen zu können, wenn man sich weiterhin an die derzeitige Struktur hält. Die bisher versuchten Methoden, die eine kurze Zeit lang erfolgversprechend zu sein schienen, sind gescheitert. Der Friedensprozess, der vor fast 20 Jahren mit der Erschütterung durch die erste Intifada begann, hat anscheinend das Ende seiner Möglichkeiten erreicht...

Posted 01/22/07 by: admin

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