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Verhinderte Intifada
Bei einer Razzia in Nablus im Westjordanland haben israelische Soldaten am Sonntag zwei Sprengstoffgürtel mit je 5 Kilo Sprengstoff sichergestellt und vier Mitglieder der Tansim-Milizen der Fatah-Partei unter der Führung von Präsident Mahmoud Abbas festgenommen. Ein für die kommenden Tage geplanter Anschlag in Israel sei verhindert worden...
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 8. Januar 2007
Kaum ein Tag vergeht ohne Meldungen über die Verhaftung von Palästinensern, die angeblich schon auf dem Weg zu Anschlägen in Israel waren, über an Straßensperren entdeckten Rohrbomben oder die Sprengung von einem Versteck mit 60 Kilo TNT. Zu den jüngsten Verhafteten gehört ein 16-Jähriger. Beim Verhör gestand er, sich für ein Selbstmordattentat bereit erklärt zu haben. Er sollte über die Autonomiestadt Tulkarm nach Israel eindringen.
Schlagzeilen erhielten die intensiven israelischen Aktivitäten, palästinensische Anschläge zu unterbinden, an dem Abend, als Ministerpräsident Ehud Olmert in Scharm A Scheich war, um Ägyptens Präsident Hosni Mubarak zu treffen. Anstatt über eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zu reden, überschattete eine fehlgeschlagene Geheimdienstoperation in Ramallah das Gipfeltreffen. Kurz vor Olmerts Abflug sollte ein Kommando zwei gesuchte Attentäter im Zentrum von Ramallah "abholen". Einer stand im Verdacht, Israelis ermordet zu haben. Doch die Agenten wurden entdeckt. Es kam zu einem Feuerwechsel, einem Einmarsch israelischer Truppen und vier "unschuldigen" Toten, wie die Palästinenser behaupten, während die Soldaten versichern, nur auf "bewaffnete Männer" geschossen zu haben. Laut Agenturberichten hätten sich israelische Soldaten zu einem Gemüsemarkt im Zentrum von Ramallah begeben, um vier Palästinenser zu erschießen. Olmert habe – so der Agenturbericht - dazu erklärt, dass Israel sich so gegen Terror wehre. Ein hoher Offizier gestand inzwischen, mit dem Befehl zur Aktion in Ramallah einen "Fehler" gemacht zu haben. Er habe geglaubt, dass alles "glatt" gehen würde. Da derartige Verhaftungen täglich dutzendfach durchgeführt werden, können sie ohne Genehmigung "von oben" auf Kommandeursebene beschlossen und durchgeführt werden. Deshalb sei Olmert von der Razzia in Ramallah nicht informiert gewesen. Sogenannte "gezielte Tötungen" hingegen müssen auf vom Premierminister abgesegnet werden.
Nachdem palästinensische und israelische Menschenrechtsorganisationen ihre jährlichen Statistiken zu Toten und Verletzten, zerstörten Häusern und Opfern des palästinensischen Bürgerkriegs veröffentlicht haben, folgt jetzt Israels "Kommando Mitte" mit einer eigenen Statistik. Im Jahr 2006 sei mit "nur" zwei Selbstmordattentaten in Tel Aviv und "nur" 11 getöteten israelischen Zivilisten die niedrigste Zahl erfolgreicher Terroranschläge seit Ausbruch der Intifada im Herbst 2000 verzeichnet worden. In "Judäa und Samarien", also im besetzten Westjordanland, sei im Vergleich zu 2005 die Zahl der getöteten israelischen Soldaten und Zivilisten rückläufig mit "nur" noch 10 statt 14 Toten. Stark angestiegen ist allerdings die Zahl der israelischen Verletzten von 251 im Jahr 2005 auf 437 im Jahr 2006. "Gemäß jedem Maßstab sehen wir eine Eskalation der feindseligen Aktivitäten", sagte ein hoher Offizier im Kommando. So habe sich die Zahl rechtzeitig verhafteten Selbstmordattentäter von 96 im Jahr 2005 auf 167 im Jahr 2006 verdoppelt. Entsprechend stieg die Zahl der sonstig wegen "Terror" verhafteten Palästinenser von durchschnittlich 3650 in den Jahren 2004 und 2005 auf 4110 im vergangenen Jahr. Auch die Zahl der beschlagnahmten Waffen, darunter Granaten, Gewehre, Pistolen und 12 Sprengjacken, wie sie Selbstmordattentäter verwenden, ist beachtlich.
Der hohe Offizier hatte für die israelischen Militärkorrespondenten nur eine gute Nachricht. Mit der Produktion und dem Abschuss von Raketen auf israelische Städte, wie das täglich vom Gazastreifen aus passiert, sei im Westjordanland "vorerst nicht zu rechnen". Er sagte: "Da halten wir ganz fest den Deckel drauf. Es kann Einzelfälle geben, aber das werden wir erledigen können. Raketenbeschuss aus dem Westjordanland wird keine Gewohnheitssache werden."
Israelische Bürger fühlen sich heute spürbar sicherer als noch vor einem Jahr, aber das Bewusstsein, dass jederzeit wieder ein blutiger Anschlag passieren könnte, erwecken spätestens die Sicherheitsleute an Bushaltestellen und die Wachmänner vor jedem Supermarkt.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com