Wenn Eran Aloni abends nach Hause kommt in seine Wohnung am See Genezareth, informiert er sich im Internet über den Lauf der Welt. Tagsüber bringt der 39 Jahre alte Israeli anderen Menschen Yoga bei, und da möchte er nicht schon am Morgen durch Nachrichten gestört werden...
Von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung v. 30.12.2006
Vor einem knappen Jahr stieß Aloni auf eine Meldung, die neuen Schwung in sein Leben brachte. Häftlinge in einem Gefängnis in Sydney, las er, könnten an Yogastunden teilnehmen. In den darauffolgenden Tagen telefonierte der zweifache Familienvater mit Gefängnissen im ganzen Land - und ausgerechnet die Leitung der Talmon-Haftanstalt im Westjordanland nahe der Palästinenserstadt Ramallah zeigte sich offen für einen Versuch. Seit fast einem Jahr unterrichtet der Jude Eran Aloni nun in einem Gemeinschaftsraum des Gefängnisses Talmon, in dem Palästinenser inhaftiert sind.
Um die Sicherheit des Yogalehrers zu garantieren, wurde die erste Stunde in Anwesenheit eines bewaffneten Gefängniswärters absolviert. Inzwischen lassen die Wärter den Yogalehrer mit seinen muslimischen Schülern allein, Alonis Stunden haben sich zum Highlight im öden Gefängnisalltag entwickelt. Anstatt Gewichte zu stemmen und Backgammon zu spielen, schlüpfen die verurteilten Palästinenser in Sportklamotten und lassen sich von Aloni erklären, wie man richtig atmet und Vorbereitungen trifft für eine Brücke. Aus den anfangs vier Teilnehmern wurden inzwischen 15, mehr lässt die Gefängnisleitung aus Sicherheitsgründen nicht zu.
Persönliche Gespräche darf Aloni mit den Gefangenen nicht führen, er weiß nur, dass sie wegen Drogen- oder Gewaltdelikten einsitzen oder weil sie in Israel als illegale Arbeiter aufgegriffen wurden. Erlaubt sind philosophische Gespräche zu Beginn jeder Sitzung. Letzte Woche etwa erzählte Aloni den harten Jungs von der Geduld Buddhas und dass sich diese prima in den Alltag integrieren lasse. Im Gegenzug bringen die Knackis ihrem jüdischen Lehrer arabische Bezeichnungen für "rechten Fuß" und "geraden Rücken" bei. Für Aloni, der zum ersten Mal mit Muslimen zusammenarbeitet, ist der Gefängnisunterricht "das größte Geschenk in meinem Leben. Die sind durstig, eine Welt ohne Nahost-Konflikt kennenzulernen und mit mir zu reden." Und, sagt Aloni, "sie erleben endlich mal einen Juden, der ihnen etwas Gutes tut".
Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung und der DIZ München GmbH