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Bethlehem abseits der Touristenwege

"Wollen Sie Postkarten? Oder eine echte Perlenkette?" Wie die Raben stürzen sich fliegende Händler auf die wenigen Touristen, die sich nach Bethlehem verirren. In allen Sprachen bieten sie umgehängte Ware an. Ein älterer Araber zeigt auf seinen umgehängten Plastikausweis: "Ich bin ein Guide. Ich zeige Ihnen die Kirche"...


Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 13. Dezember 2006

Bethlehem-Pilger haben nur ein Ziel im Sinne: die Geburtsbasilika, wo einst die Krippe gestanden habe. Der Kirchenkomplex mit Höhlen, Gräbern aus römischer Zeit, Kapellen und einem schlichten Hauptschiff auf Säulen aus byzantischer Zeit gleicht einer Festung. So hat die Basilika zahllose Angriffe fast schadlos überstanden seit ihrer Errichtung durch Kaiser Konstantin im vierten Jahrhundert und bis zuletzt im März 2002, als palästinensische Kämpfer sich in ihr verschanzten und israelisches Militär sie einen Monat lang belagerte.

Nur wenige Touristen besuchen auch die Milchgrotte und noch weniger nehmen sich die Zeit für die Andenken-Supermärkte. Obgleich die Adventszählung bis Heilig Abend schon weit fortgeschritten ist, hängen noch keine bunten Glühlämpchen an der Fichte vor der Geburtskirche oder auf dem Krippenplatz. Erst in letzter Minute wird Bethlehem festlich geschmückt. So ist ausgerechnet in Bethlehem von Weihnachtsrummel nichts zu spüren. Ausgerechnet die Hamasregierung will 50 Millionen Dollar für Bethlehemer Weihnachtsschmuck spendieren, doppelt so viel, wie im vergangenen Jahr.

Die triste Wirklichkeit Bethlehems begegnet dem Besucher schon vor der Geburtskirche. Eine steinerne Stele wurde da zu einer Litfassäule umfunktioniert. In martialer Pose mit Maschinengewehr hängt da ein "Märtyrer" auf dem verblassten Plakat. Unter ihm ein weiteres Poster mit dem Portrait von Abed Halil Abajat von der Hamas. "Abajat ist vor fünf Tagen von israelischen Soldaten erschossen worden", erzählt einer der Andenkenhändler. Das gleiche Plakat verklebte auch eine dunkelblaue Tafel mit Erklärungen zur Bedeutung der Geburtskirche. Doch von dem Text unter dem Plakat des "Märtyrers", den Israelis eher "Terrorist" bezeichnen, ist nur noch ein Satz zu lesen: "An dieser Stelle werden jedes Jahr Weihnachtsfeiern abgehalten." Die Familie Abajat ist einschlägig bekannt. Der Name tauchte immer wieder auf, wenn Anschläge mit israelischen Toten, Morde und Überfälle auf Soldaten gemeldet wurden.

In einer Wohngegend östlich der Geburtskirche steht ein Zelt auf der Straße. Am benachbarten Haus hängen schwarze Flaggen. Arbeiter hämmern auf einem Gerüst des lädierten Hauses. Zwei große Plakate mit dem Abbild eines jungen Mannes hängen an den Zeltplanen. "Vor einem Monat kamen hundert israelische Soldaten. 24 Stunden lang schossen sie. Sie waren Taher Ahmad Hassan auf der Spur", erzählt Amali. Hassan sei am Ende erschossen worden. "Der Junge war nur 25 Jahre alt und völlig unschuldig." Amali ist ein älterer Herr mit einem dunklen Knorpelflecken auf der Stirn, wie er typisch für häufig betende Moslems ist. Er gesteht, dass Hassan Mitglied des extremistischen Dschihad Islami (Heiliger Krieg des Islam) war. Dessen Bild mit umgehängter Maschinenpistole sollte nicht falsch verstanden werden, meint Amali: "Alle unsere jungen Leute lassen sich so mit Waffen fotografieren. Die protzen gerne."

In Sichtweise bildete sich eine Menschentraube vor einem unscheinbaren Gebäude. In offene Kofferräume verbeulter Autos werden weiße Mehlsäcke geladen. "Saudisches Hilfskomitee für die Palästinenser. Nur für kostenlose Verteilung. Nicht für Weiterverkauf" ist in blauer Schrift aufgedruckt. Issa (Jesus) hält gelbe, grüne und lila Karten in der Hand. "Das Welt-Ernährungsprogramm der UNO unterstützt Sozialfälle. Das Wohlfahrtsministerium organisiert die Verteilung und spricht sich mit der UNO-Flüchtlingshilfe sowie anderen Organisationen ab, damit niemand eine doppelte Rationen erhält." Wer zum Beispiel eine gelbe Karte besitzt, erhält alle zwei Monate 3 Säcke Mehl, 12 Kilo Kichererbsen, 6 Kilo Zucker, 2 Kilo Salz und acht Liter Sojaöl, "mit Vitamin A&D verstärkt". "Die Familien kommen mit ihren Autos, um die Spende abzuholen und manchmal tun sich Nachbarn zusammen", erklärt Issa, während in dem Lagerraum Kichererbsen in durchsichtige Plastiktüten abgefüllt werden. "Es handelt sich hier um Beduinen und andere Sozialfälle. Flüchtlinge werden von der UNRWA versorgt."

Ohne Weihnachten ist Bethlehem kaum einen Besuch wert. Die Andenkenläden für Touristen sind gefüllt mit handgeschnitzten Krippenfiguren aus Olivenholz. Neuerdings gibt es auch Samson-Figuren, jenem biblischen Selbstmordattentäter, der mit den Worten "Möge meine Seele mit den Philistern sterben" die Säulen des Palastes auseinander drückte und seine Häscher unter sich begrub. Fern der Touristenwege, etwa in Beth Dschala, in einer Nebenstraße, kaufen sich palästinensische Christen ihren Kitsch, wie Weihnachtsbäume aus Plastik, made in China. Darüber hängen "typische" Weihnachtsgeschenke für palästinensische Kinder: Maschinenpistolen aus Plastik. Dieser Tage erschossen Soldaten nach palästinensischen Angaben ein Kind, das mit seinem Spielzeuggewehr im Amali-Flüchtlingslager auf einem Balkon stand. Der israelische Militärsprecher vermeldete einen "verdächtigen Mann mit Waffe", auf den geschossen worden sei.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

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© Ulrich W. Sahm

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© Ulrich W. Sahm

Posted 12/21/06 by: admin

Comments

wrote:
Wieviel ist ein Mehlsack? 50 Kilogramm, 20 Kilogramm, 10 Kilogramm...
wieviel gibt es pro Person, Alter, Geschlecht? Welche Zulagen?

50 Millionen Waehrungeinheiten fuer Schmuck und Sicherheit Bethlehems?
Klingt eher nach Besetzung und damit zusammenhaengender Aktivitaeten.

Nicht sehr einladend.

Wird eine neue Stadt gebaut?
Wohl eher nicht, Kitsch brauche ich nicht.

Natuerlich mag ich Bethlehem. Dennoch ist es ein Synonym fuer unbewaeltigte Geschichte...
zum Glueck nicht sich selbst ueberlassen, sondern im Zentrum der Aufmerksamkeit der Weltoeffentlichkeit.
12/21/06 14:37:03

wrote:
Die Hamas und Haniyeh als Haendler ueber Weihnachten in Bethlehem!
Waren und Verkauf fuer 50 Millionen geplant.
Nur fuer Millionaere der Eintritt lohnend... vorher genuegend...
eigene Strategie zum Verlassen
des Gelaendes entwickeln!
12/21/06 14:41:20

wrote:
site good!!!!!!!!!!!
11/27/07 11:48:30

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