Jump to navigation
Blitz aus heiterem Himmel
Während der Winograd-Bericht dem Premierminister übergeben wurde, erschütterte ein lauter Schlag das Regierungsgebäude in Jerusalem. Als von Panik erfasste Berater herbei eilten, um die Ursache des Geräuschs ausfindig zu machen, wurde ihnen gesagt, es sei der Stein gewesen, der von Ehud Olmerts Herzen gefallen war...
Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 05.02.2008
Übersetzung von Daniela Marcus
Bis zur Pressekonferenz mit Eliyahu Winograd herrschte das Gefühl eines drohenden Erdbebens im Stil der Agranat-Kommission vor. Man war der Ansicht, der Bericht würde den Rücktritt des Premierministers und vorzeitige Wahlen hervorrufen. Doch obwohl das Wort „Fehler“ 213mal in dem Bericht vorkommt und das Wort „Scheitern“ 190mal, gelang es Olmert, mit knapper Not zu entkommen.
Sein größter Fehltritt war sein Verlassen auf eine Armee, die nicht darauf vorbereitet war, einen Offensivkrieg zu starten weil sie sich seit Jahren auf den Kampf gegen den Terror konzentriert hatte. Bei all dem Schock über die Schlampigkeit, mit der der Zweite Libanonkrieg geführt worden war, hielt die Regierungskoalition zusammen und der Premierminister sitzt immer noch im Sattel. Der Bericht sei schmerzhaft, sagt Olmert, doch er könne eine gute Gelegenheit sein, die Dinge in Ordnung zu bringen und es in Zukunft besser zu machen.
Als erfahrener Politiker hat Olmert die langen Monate, die das Komitee damit verbrachte, sich durch die Fehler des Krieges hindurch zu wühlen, genutzt, um sich dem politischen Prozess zu widmen. Er besuchte das Gipfeltreffen in Annapolis und machte es sich zur Aufgabe, die Kernthemen zu diskutieren. All dies erfolgte in voller Koordination mit Präsident George W. Bush, der ein wahrer Freund Israels –und Olmerts- ist.
Es ist wahr, dass Olmert in der Zwischenzeit keinen einzigen Außenposten demontieren ließ, um dadurch nicht den Likud zu stärken, und dass er das Thema Jerusalem nicht diskutiert hat, um sich die Mehrheit in der Regierung zu sichern und in der Befürchtung, Verteidigungsminister Ehud Barak könnte die Regierungskoalition verlassen, wie er im vergangenen Jahr während einer Pressekonferenz in Sdot Yam angedeutet hatte.
Doch Barak hat seine Karten gemischt. Selbst denjenigen, die ihm am nächsten stehen, war es unmöglich herauszufinden, wie sein brillantes Gehirn arbeitet. Worauf wartete er? Sorgte er sich darum, dass er im besten Fall mit Avigdor Liebermann von der Partei Yisrael Beiteinu als Verteidigungsminister und im schlimmsten Fall mit dem Likudführer Benjamin Netanyahu als Premierminister zurückbleiben würde falls die Arbeiterpartei die Regierungskoalition verlassen sollte?
Barak hat die Tatsache noch nicht verdaut, dass er nach seinem hastigen Rückzug als Premierminister Ende 2000 von Ariel Sharon mit einer Mehrheit von einer halbe Million Stimmen geschlagen wurde. Dies war die bisher schmerzhafteste Niederlage in der Geschichte Israels. Solch eine Lektion kann nicht einfach vergessen werden.
Doch Barak hat bewiesen, dass er sich verändert und dass er aus der Erfahrung gelernt hat, wie er erklärt hatte, als er für den Posten des Vorsitzenden der Arbeiterpartei kandidierte. Und er hat es dadurch bewiesen, dass er das Gegenteil von dem tat, was er versprochen hatte. Er kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, um Olmert zu retten.
„Politik hat das Land besiegt“, sagen die Reservisten. Doch Politik ist kein schmutziges Wort wenn sie ein Hilfsmittel zur Rettung des Landes vor einem Regierungschaos ist. Vom nationalen Gesichtspunkt aus wäre es vielleicht sauberer gewesen, wenn Barak das Verlassen der Regierungskoalition erklärt hätte. „Ich las beide Teile des Berichts, inklusive des unter Verschluss stehenden Anhangs“, sagte er, „und auf die Art, wie ich ihn las, sind die Fehler sogar noch schlimmer als die meisten Leute denken.“
Doch Barak betrachtet die Dinge aus einer globalen Perspektive. Er sieht die iranische Bedrohung, eine mögliche Konfrontation mit der Hamas, Israels Verpflichtung, seine Abschreckungsmacht wieder herzustellen, und die Notwendigkeit, so viel wie möglich zu erledigen bevor Bush das Weiße Haus verlässt.
Olmert und Barak sprechen die gleiche Sprache, nicht nur, weil beide Uhren, seltene Schreibstifte und das gute Leben lieben und sich gern unter die Reichen und Berühmten mischen. Sondern auch, weil beide hoch intelligent und äußerst ambitioniert sind und beinahe vor Selbstvertrauen platzen. Beide haben das gleiche Interesse Benjamin Netanyahu und die politisch Rechten als Tonangeber, die entschieden sind, politische Schritte in Richtung Frieden aufzuhalten, zu stoppen.
Wenn Barak beschuldigt wird, sein Versprechen, die Regierung zu verlassen, zu brechen, kann er immer einen früheren Präzedenzfall zitieren: Vom Knessetpodium aus sagte Levi Eshkol einst: „Ich versprach. Na und? Ist es einem Menschen nicht erlaubt, etwas zu versprechen?“ Also, was wenn Barak sagte, was er in Sdot Yam sagte? Das Land jetzt in vorzeitige Wahlen zu drängen wäre Selbstmord, insbesondere wenn er keinen Sieg der Arbeiterpartei in der Tasche hat.
Das Gute für das Land, die Armee zurück auf die Füße zu bringen und diplomatische Fortschritte zu machen sind wichtiger als ein Versprechen, das unter anderen Umständen gegeben wurde – umso mehr wenn es keine gute Alternative gibt, die es wert wäre, zu den Wahlurnen zu gehen.
Das Wichtigste ist derzeit politische Stabilität. Barak und Olmert müssen zusammen arbeiten. Sie müssen gegenseitiges Vertrauen entwickeln und Provokationen keine Aufmerksamkeit erteilen. Formal mag es nötig gewesen sein, Olmert auf die Finger zu klopfen und darauf zu bestehen, dass er als Kopf des Systems ministeriale Verantwortung übernimmt. Doch das Gute für das Land kommt zuerst. Mitten im Galopp wechselt man nicht die Pferde. Mit dem Gedanken vorzeitiger Wahlen zu spielen wird Ehud und Ehud nur in lahme Enten verwandeln – und dies im ungünstigsten Moment.
Anmerkung:
Blitz heißt auf Hebräisch „Barak“ (der Name des derzeitigen israelischen Verteidigungsministers)
Die Agranat-Kommission untersuchte die Fehler des Yom-Kippur-Krieges.
Posted 02/05/08 by:
admin
Comments
"Sein größter Fehltritt war sein Verlassen auf eine Armee, die nicht darauf vorbereitet war, einen Offensivkrieg zu starten weil sie sich seit Jahren auf den Kampf gegen den Terror konzentriert hatte."
Das war nicht nur ein Fehler der "politischen Klasse". Nur zu gut erinnere ich mich an eine Vortragsveranstaltung im ersten Halbjahr 2006 mit einem bekannten Militärhistoriker der Hebräischen Universität (Wer das wohl war...?), in der selbiger auf meine Nachfrage hin die Gefahr im Norden bagatellisierte.
Add Comments
Das war nicht nur ein Fehler der "politischen Klasse". Nur zu gut erinnere ich mich an eine Vortragsveranstaltung im ersten Halbjahr 2006 mit einem bekannten Militärhistoriker der Hebräischen Universität (Wer das wohl war...?), in der selbiger auf meine Nachfrage hin die Gefahr im Norden bagatellisierte.