-- Schwerpunkt: Israel und Nahost
Judentum und Israel
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Das Symbol der alten russischen Einwanderung

Das Bild, das Geschichte machte, ist heute schon 20 Jahre alt: Ein kleinwüchsiger Jude, mit einer Pelzmütze auf dem Kopf, überquert an einem eisigen Morgen die Glienicker Brücke in Berlin, die zwischen zwei Welten trennt, der westlichen und der kommunistischen. Als er die Mitte der Brücke erreicht, hebt er den Blick, geht noch einen Schritt weiter, und noch einen- und ist ein freier Mann. In wenigen Stunden wird er als freier Mensch in seinem Land ankommen...

Im Februar 1986 kam Anatoli Sharansky, der Regimegegner und Zionshäftling, nach Israel. Als er die Glienicker Brücke überschritt, konnte es sich Sharansky sicherlich nicht vorstellen, dass sich der Virus der Demokratie bereits allmählich in dem alten und erschöpften Körper der UdSSR ausbreitete, deren Tage gezählt waren. In vier Jahren hörte die Sowjetunion auf zu existieren, und die rote Fahne wurde vom Kreml entfernt.

Und dann kamen die russischen Juden in Massen nach Israel: Seit 1989 und bis zum heutigen Tag sind aus der ehemaligen UdSSR fast eine Million Neueinwanderer ins Land gekommen, ein Drittel davon mit der groBen Welle der Jahre 1990 und 1991.

Sie haben das demographische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und urbane Gesicht des Staates völlig verändert, auch das politische. Sie haben das Land wieder belebt, neues Blut einströmen lassen, das Bildungsniveau gehoben, jedoch auch Ghettos gebildet und Vorurteile entstehen lassen.

Um die politische Gunst Anatolis, der seinen Namen schnell in Nathan umänderte, konkurrierten viele Parteien. Er galt als jüdische Führungspersönlichkeit, und nach seiner Ankunft sagten ihm politische Kommentatoren eine glänzende politische Karriere voraus. Immerhin hatte er mit seiner Entschlossenheit und Hingabe ja das sowjetische Reich des Bösen bezwungen.

Aber das ist nicht geschehen. Nach einigen misslungenen Versuchen, sich existierenden Parteien anzuschließen, gründete Sharansky eine ethnische Einwandererpartei namens "Israel Be Alija", die 1996 bei den Knessetwahlen antrat (10 Jahre nach der Alija ihres Gründers) und sieben Mandate erzielte. Das war der Höhepunkt der israelischen Karriere Sharanskys: Er wurde zum Industrieminister ernannt und kämpfte energisch um die Preiskennzeichnung von Milchprodukten und gegen die Preisangabe in Dollar.

Bei den Wahlen 2003 kam "Israel Be Alijah" knapp über die Sperrklausel, und nach kurzer Zeit wurde sie vom Likud verschlungen. Vorgestern legte Sharansky dem Knessetpräsidenten sein Rücktrittsschreiben vor.

Er, der furchtlose Kämpfergegen den KGB, der Träumer von Zion und der Freiheitskämpfer von der Glienicker Brücke, hat in Israel völlig versagt. Man kann sich an keine einzige wichtige politische oder öffentliche Initiative erinnern, die seinen Namen trägt. Er vermied es, sich zu moralischen Fragen zu äußern, die die israelische Gesellschaft spalteten. Seine beiden Bücher, die in den USA Bestseller wurden, ließen sich in ihrer hebräischen Fassung kaum verkaufen.

Die unbarmherzige israelische Gesellschaft mit ihrem kurzen Gedächtnis schob in die "rechts-russische" Ecke ab. Von dort aus griff Sharansky die Polizei ab, die gegen fragwürdige Einwanderer aus der UdSSR ermittelte, und von dort aus führte er eine Zeitlang einen lautstarken Krieg gegen Shas, ohne ihr jedoch in wichtigen politischen Fragen zu widersprechen.

Man kann nicht umhin, sich zu fragen, wo Nathan Sharansky heute wäre, wenn er statt nach Israel in die USA ausgewandert wäre. Ich nehme an, er wäre ein hoher Mitarbeiter in einem Meinungsforschungsinstitut, oder ein gefragter Dozent an einer der Universitäten, er würde sicherlich zur intellektuellen Elite zählen, Petitionen unterschreiben und als Gemeindeführer hohen Ansehens gelten.

Aber Sharansky kam nach Israel, und erschloss sich den Reihen der zynischen, stotternden und unklaren Politiker an. Die Atmosphäre im Heiligen Land hat ihm mit einem Schlag seiner Größe beraubt, und seine geistigen Ausmaße schrumpften auf seine physischen zusammen. Obwohl er wusste, wie man sich zurecht findet, ging er bei uns verloren. Die Unterdrückung der Rechte von Minderheiten rührten sein Herz z.B. kaum noch. Er lebte die Vergangenheit, nicht die Gegenwart.

Nathan Sharansky war das deutlichste Symbol der alten "russischen" Einwanderung, der ideologischen, armen, zionistischen und kämpferischen. Damit ist es nun vorbei. Das neue Symbol sieht völlig anders aus. Sein Name: Arkadi Gaydamak.

Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv

Category: Gesellschaft
Posted 11/22/06 by: admin

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