-- Schwerpunkt: Israel und Nahost
Judentum und Israel
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Zahlenspiele um die Wiedergutmachung

Etti Polak, 1939 im polnischen Vilna geboren, lebt mit einer „ausradierten Kindheit“. Ihre Eltern flüchteten im Winter vor den Deutschen. „Vielleicht wurden sie auch vertrieben“, erzählt die 68-jährige. „Mein Vater trug mich auf dem Arm, als jemand schrie, das Baby sei tot“, erzählt die pensionierte Rundfunkredakteurin. Einer der Menschen im Flüchtlingstreck irgendwo in Polen oder Russland schlug vor, das Baby in den eiskalten Fluss zu werfen...

Der Schock erweckte sie zum Leben, aber niemand bemerkte, dass ihre Hände und Füße im Wasser erfroren waren. An den Folgen leidet sie noch heute. Jeden Winter, „ob in Kasachstan, wo wir den Krieg in einem Kamelstall überlebt haben oder auf der Flucht über Polen, Deportiertenlager in Deutschland und Frankreich nach dem Krieg oder schließlich in Tel Aviv, kommen die Frostbeulen wieder hervor.“ Ihr Leben lang habe sie falsch aufgetreten. Ein Arzt attestierte ihr eine unheilbare Rückenverkrümmung. Jetzt steht sie vor dem Nichts. Etti Polak hat nie eine Familie gegründet und blieb kinderlos. Ihre Eltern sind tot. Der Erlös ihrer bescheidenen Wohnung reicht nicht, um in ein Altersheim zu ziehen.

Obgleich sie durch Flucht oder Vertreibung dem Holocaust entronnen ist, bezeichnet sie sich nicht als „Holocaustüberlebende“, sondern als „Kriegskind“. Ihre Eltern schlugen ein Angebot deutscher „Wiedergutmachung“ aus, weil sie von Deutschen nichts annehmen wollten. Inzwischen sind sie tot. Außer einer älteren Tante ist Etti Polaks ganze Familie im Holocaust ausgerottet worden. „Meine Eltern verzichteten auf Finanzhilfe aus Deutschland. Aber mich, damals ein kleines Mädchen, haben sie nicht gefragt, ob auch ich verzichte“, sagt sie bitter.

Wie 175.000 aus der ehemaligen Sowjetunion seit 1990 eingewanderte Holocaustüberlebende ist auch Etti Polak zwischen alle Stühle gefallen. Der Anwalt Micha Handelsmann hat schon Prozesse gegen den Staat Israel beim Obersten Gericht gewonnen, weil Wiedergutmachungsgelder für Infrastruktur und andere Projekte entfremdet worden seien, anstatt sie Holocaustüberlebenden zugute kommen zu lassen. Die Verhandlungen mit Adenauer seien von jüdischer Seite geführt worden, „ohne Hausaufgaben zu machen“. Nicht jeder Holocaustüberlebende hätte ein Anrecht auf Entschädigung, sondern nur solche, die den gelben Judenstern tragen mussten, im KZ waren oder Zwangsarbeit machten. Wer bis Oktober 1953 nach Israel eingewandert war, konnte Entschädigung nur vom Staat Israel und nicht von Deutschland einklagen. Sowjetische Juden blieben von der Wiedergutmachung ausgeschlossen. Zudem habe Adenauer durchgesetzt, dass die damalige Bundesrepublik nur zwei Drittel der abgesprochenen Wiedergutmachung zu zahlen habe. Israel sollte sich mit der DDR über das letzte Drittel einigen. Das ist nie geschehen.

Minister Rafi Eitan habe nach Angaben von Handelsmann keine Neuverhandlungen über die abgeschlossenen Luxemburger Verträge von 1952 gefordert, wie Haaretz meldete. Vielmehr legitimiere das nie von der DDR ausgezahlte „letzte Drittel“ israelische Forderungen. Eitan denke an eine „Erweiterung“ der Abkommen für jene Härtefälle, die nicht berücksichtigt wurden und nun dem Staat Israel auf der Tasche liegen, zumal Israel eine Verjährung für Antragsfristen aufgehoben habe. Der akute Anlass seien die „peinlichsten Demonstrationen aller Zeiten“, denen sich die israelische Regierung gegenüber sah, als Holocaustüberlebende mit Judenstern an der Brust oder in gestreiften KZ-Anzügen von ihrer Regierung dringende Unterstützung einforderten. Ministerpräsident Ehud Olmert konnte sich derartige Kritik nicht erlauben. Überstürzt sagte er den Holocaustopfern Hilfe in Höhe von 350 Millionen Euro zu.

Schon seit Monaten werden stille Gespräche zwischen Israel und Deutschland geführt. Im Juli war Rafi Eitan in Berlin und redete auch mit dem Finanzministerium, sagte eine vertrauliche Quelle. Doch die Israelis stießen in Berlin auf „taube Ohren“. Deshalb sei Eitan am Freitag an die Öffentlichkeit gegangen. Sein undiplomatisches Vorpreschen löste in Deutschland wie in Israel Empörung aus. „Die plumpe Art hat mehr geschadet denn geholfen“, klagt Etti Polak. Sie träumt von der Errichtung eines Altenheimes mit deutscher Finanzierung, mit Schild und feierlicher Einweihung, worauf die deutsche Regierung dann stolz sein könnte. Das Finanzministerium in Berlin befürchte Forderungen in Milliardenhöhe, während die Israelis unfähig seien, ihre Argumente überzeugend vorzubringen, meinte der Vertrauensmann mit Insiderkenntnissen in Jerusalem wie in Berlin über den gegenseitigen „Mentalitätsblock“.

Inzwischen redet Eitan nur noch von einer gemeinsamen Kommission, besteht aber auf deutscher Verantwortung für Holocaustüberlebende aus der Sowjetunion, für deren Wohlfahrt Israel aufkommt. Der parlamentarische Staatssekretär im BMF, Karl Diller, wurde vor zwei Monaten bei einem Besuch in Israel von Eitan auf das Problem angesprochen. Diller antwortete gemäß Medienberichten: „Israels Regierung muss anerkennen, dass sie keine Forderungen mehr Deutschland stellen kann.“ Für Israel gilt jedoch, dass Folgeschäden der Naziverbrechen und die Masseneinwanderung aus Russland von niemandem vorhergesehen wurden und jetzt nicht Israel aufgebürdet werden dürften.

Wie der Sprecher des Bundesministeriums für Finanzen mitteilte beziffert sich „nach einer aktuellen Übersicht aus der Fachabteilung unseres Hauses die Gesamtsumme der von der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Israel und an in Israel lebende NS-Verfolgte erbrachten Leistungen im Rahmen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts bis Ende 2006 auf rd. 26 Mrd. Euro.“

Der Löwenanteil ging freilich an Vertriebene, Flüchtlinge aus der „sowjetischen Besatzungszone“ und andere nicht-jüdische Verfolgte. Die „Israel-Verträge“ von 1952 fallen nur mit 1,7 Milliarden Euro ins Gewicht. „Wiedergutmachungsrenten“, von denen etwa 40 Prozent nach Israel gehen, machen lediglich 0,1 Prozent des deutschen Sozialbudgets aus.

© Ulrich W. Sahm / haGalil.com

Category: Deutschland
Posted 11/12/07 by: admin

Comments

wrote:
Der Grund für die Not der leidenden Überlebenden sind nicht zu geringe Entschädigungsleistungen, sondern deren falscher Verwendung durch die Jewish Claims Conference bzw. durch den Staat Israel. Wer Reparationen großzügig für Gedenkprojekte statt für die Medikamente der Opfer ausgibt, ist Adressat für den Unmut der Überlebenden. Daß ein israelisches Regierungsmitglied gerne einen Sündenbock für eigenes Versagen aus dem Ärmel zieht, ist politisch verständlich, sollte von deutscher Seite aber keinesfalls akzeptiert werden.
11/13/07 14:14:27

wrote:
Ja, Johannes, immer wieder gern die Verantwortung an andere abgeben.

Heute noch vom geraubten Geld zu leben, haben Sie sicher keine Probleme?

"ch habe Neuigkeiten für Sie: Aus wirtschaftlicher Sicht haben die Mörder ein tolles Geschäft gemacht. Zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und dem II. Weltkrieg waren die Juden, als Gruppe, eine außerordentlich reiche Gemeinde – Dank ihrer Fähigkeiten und Begabungen und ja, auch aufgrund der Tatsache, dass Juden keine Abscheu vor Geld haben. Im II. Weltkrieg wurden nicht nur Leben, Karrieren und die nächste jüdische Generation geraubt, sondern Unsummen jüdischer Gelder. Die Söhne der 3. Generation in Europa profitieren immer noch von diesem Raub. Er ist einer der Gründe für ihren wirtschaftlichen Aufschwung."
11/14/07 08:57:44

wrote:
"Heute noch vom geraubten Geld zu leben, haben Sie sicher keine Probleme?"
Was ist denn das für eine dämliche Aussage!?
Keine Ahnung in welcher Welt Sie leben, aber in dieser hier (gemeinhin als Realität bezeichnet) lebt keiner mehr vom jüdischen Geld! Den Beweis müssen Sie erstmal antreten, dass sich die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit daran gesundgestoßen hat. Das geraubte Vermögen (egal ob als Geld oder Sachwert) floß seinerzeit direkt in irgendwelche Projekte, z. B. Rüstungsvorhaben. Somit haben in erster Linie nur einige wenige daran verdient. Dummerweise wurden nicht unerhebliche Werte nach dem Krieg durch die Siegermächte "beschlagnahmt". So ging zum Beispiel das im Bergwerk Merkers gelagerte Gold direkt in die USA.
Man könnte auch sagen, die Räuber wurden ausgeraubt.
Und nun? Ganz einfach, dass Märchen vom bösen deutschen Volk, welches nach Darstellung einiger hier den Aufbau nach dem Krieg zu einer der führenden Industrienationen nur durch Verwendung jüdischen Vermögens geschafft hat, ist schlichtweg falsch und läßt tief blicken, wie neidisch man doch auf die geleistete Aufbauarbeit ist.
11/14/07 11:00:29

wrote:
Ach, der nächste allseitsbekannte Blogantisemit, ab zur NPD.
11/14/07 13:28:24

wrote:
"eine außerordentlich reiche Gemeinde – Dank ihrer Fähigkeiten und Begabungen und ja, auch aufgrund der Tatsache, dass Juden keine Abscheu vor Geld haben"

Ja, ja, DIE JUDEN. Diese Verallgemeinerung entspricht der gleichen falschen Gesinnung, nach der DIE JUDEN angeblich auch krumme Nasen, die Weltmacht und den Beelzebub im Nacken haben. Ist es nicht gerade ein Wesensmerkmal des Antisemitismus, dem jüdischen Volk Eigenschaften einzig und allein aufgrund seiner Religion zuzuordnen?!

"Die Söhne der 3. Generation in Europa profitieren immer noch von diesem Raub. Er ist einer der Gründe für ihren wirtschaftlichen Aufschwung."

Unbewiesene und unbeweisbare Behauptung. Aber selbst wenn dem so wäre, was wäre die Schlußfolgerung? Daß Beutekunst bzw. Grund und Boden rückübereignet werden muß, ist selbstverständlich und wird auch gemacht, siehe Karstadt-Gelände in Berlin oder Klimt-Gemälde in Österreich. Wie man immaterielles Leiden entschädigt, ist schwierig zu bestimmen und war international nie einheitlich. Was bekommt ein vietnamesisches "Agent Orange"-Opfer, ein irakisches ziviles Opfer von ungerechtfertigter Blackwater-Gewalt etc? Zumeist überhaupt nichts.

Sowohl Israel als auch die Jewish Claims Conference haben die Luxemburger Verträge akzeptiert und eingenverantwortlich ausgehandelt.

Also...

"Ja, Johannes, immer wieder gern die Verantwortung an andere abgeben."

...muß ich keine Verantwortung abschieben, sonder diese wurden von der Claims Conference bzw. Israel selbst gerne wahrgenommen. Auch in Form von Zweckentfremdung von Entschädigungen.

Sofern die BRD weitere Zahlungen leisten sollte, geschieht dies aus keinerlei Verpflichtung, sondern aus dem Wunsch, daß den Überlebenden ein Lebensabend in Würde nicht versagt bleiben soll.

" Ach, der nächste allseitsbekannte Blogantisemit, ab zur NPD."

Ein Fundamentalist Ihres Formats sollte allerdings nicht am Verhandlungstisch sitzen, sonst werden die Ergebnisse nicht sonderlich erfreulich ausfallen.
11/14/07 16:45:47

wrote:
Ach nicht? Wenn man jemanden einen Antisemiten nennt, der sich hier schon sehr lange als solcher betätigt, ist man also Fundamentalist?

Aja.
11/14/07 19:09:26

wrote:
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11/28/07 17:22:17

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