MOSSAD/HINTERGRUND - Der Auslandsgeheimdienst steht vor
der Aufgabe der Reorganisation
Eine Legende kommt in die Jahre
In einer künftigen Geschichte von
Israels Geheimdienst wird man vielleicht auf die missglückte Abhöraktion von
Bern als Auslöser für den Rücktritt von Mossad-Chef Danny Yatom hinweisen.
Effektiv ist diese Sache, die nicht mehr als ein diplomatischer Schluckauf
ist, den die Schweizer Behörden am liebsten selber ignoriert hätten, kaum
Grund für einen Geheimdienstchef, den Hut zu nehmen. In der Retrospektive wird
man die Operation vielmehr als Beweis für den Umfang des Netzes ins Feld
führen, das Israels Spione gegen die Bedrohung der Hizbollah ausgelegt haben.
Ebenso wie 1991 eine ähnlich verpatzte Aktion auf Zypern den Mossad nicht
veranlasst hat, seine Arbeit einzustellen, kann man davon ausgehen, dass er
auch in Zukunft weitermachen wird.
VON YOEL COHEN
Das Unternehmen von Köniz war das letzte
Glied in einer Kette von Entwicklungen, deren Anfang in der äusserst ernsten
Meshal-Affäre zu sehen ist, als Mossad-Agenten im letzten September in Amman
vergeblich versuchten, Khaled Meshal, den politischen Chef von Hamas,
umzubringen. Unter Berücksichtigung der heiklen israelisch-jordanischen
Beziehungen entschied der Mossad sich gegen die Benutzung von Feuerwaffen und
für die «stille Methode», das heisst die Benutzung eines Giftes. Die Aktion
war aber schlampig geplant, fehlte doch ein Fluchtweg für den Fall einer Panne
- die dann tatsächlich eintrat, als Khaleds Leibwächter eingriffen, was zur
Verhaftung eines der Agenten führte.
Als Folge der entstandenen diplomatischen
Krise setzte Premier Netanyahu eine Untersuchungskommission ein. Die von Yosef
Ciechanover präsidierte Kommission besass keine gesetzlichen Vollmachten,
sondern hatte nur die Angelegenheit aufzuklären. Weil zudem die drei
Mitglieder des Gremiums Stellungen in staatlichen Körperschaften bekleideten,
kam weitum der Verdacht auf, Netanyahu habe die Kommission ernannt, um
reingewaschen zu werden und die öffentliche Kritik aufzufangen.
Der Bericht der Ciechanover-Kommission
kritisierte das dürftige Niveau der Planung und stellte die politische
Opportunität der Entscheidung in Frage, eine solche Operation auf jordanischem
Boden durchzuführen, was die speziellen diplomatischen Beziehungen zu Amman
krass gefährdet hat.
Neben der Ciechanover-Kommission
beschloss die Subkommission für Geheimdienste der Knesset, eine eigene
Untersuchung einzuleiten. Danny Yatom strebte derweil durch gezielte
Indiskretionen in den Medien die Reinwaschung seines Namens an. So war
gerüchteweise zu hören, die Enthüllung einer anderen Affäre habe zum Zweck
gehabt, Yatoms Reputation in der Öffentlichkeit im Anschluss an die Sache mit
Meshal wiederherzustellen. Die Affäre betraf den ehemaligen Mossad-Agenten
Yehuda Gil, der dem Vernehmen nach fast 20 Jahre lang falsche Berichte über
militärische Absichten Syriens gegen Israel fabriziert hat. Die Eröffnung des
Prozesses gegen ihn soll auf eine Entscheidung Yatoms zurückzuführen sein, und
die so kurz auf die Affäre Meshal erfolgten Enthüllungen sollen den Zweck
gehabt haben, den Mossad anzuschwärzen.
Andere wiederum vertreten die Ansicht,
Yatoms Probleme hätten schon vor der Affäre Meshal begonnen. Im Mossad, der
immer stolz auf seine Unabhängigkeit war, wurde die Ernennung Yatoms, der
vorher Yitzhak Rabins Militärberater war, im Sommer 1996 mit Misstrauen
begrüsst. Shabtai Shavit und Nachum Admoni, die beiden vorhergehenden Chefs,
kamen von innerhalb der Organisation. Zwar war es früher auch schon
vorgekommen, dass hochrangige Armeeoffiziere an die Spitze des Mossads
katapultiert worden waren, doch Yatom war es nicht gelungen, sich in die
Führungsschicht des Geheimdienstes zu integrieren. Das zwischenmenschliche
Zusammenspiel fehlte einfach. Man muss ihm einerseits zugute halten, dass er
jede geplante Aktion bis ins kleinste Detail prüfte, doch vielleicht ging er
dabei zu weit mit Leuten, deren Leben sich seit Jahren im Bereich der
Subversion, Spionage und Täuschung abspielt.
So kollidierte Yatom zum Beispiel mit
«R», dem Leiter der Mossad-Abteilung, die für die Alija von Juden aus den
Ländern verantwortlich ist, aus denen die Emigration ein Problem darstellt.
Yatom wollte die Abteilung redimensionieren, da er glaubte, sie habe sich
überlebt. «R» schied aus dem Dienst aus.
Innerhalb des Geheimdienstes warf man
Yatom vor, die Verantwortung für die Affäre Meshal auf untergeordnete
Schultern abwälzen zu wollen. «H», Leiter der operationellen Abteilung, welche
die Aktion ausführte, trat zurück. Dabei war «H» von Yatom für den Posten des
stellvertretenden Mossad-Chefs vorgesehen, sobald die bisherige Nummer 2, «A»,
das Amt niederlegen würde. Ein Mitglied der Kommission Ciechanover - Rafi
Peled - und ein Angehöriger der Knesset-Subkommission - Yossi Sarid -
empfahlen die Entlassung Yatoms. Die Mehrheit jedoch wies die Verantwortung
für Yatoms Schicksal Premier Netanyahu zu. Dieser war zwar bereit zu warten,
bis im Sommer Yatoms Amtszeit beendet sein würde, was dem Mossad-Chef einen
ehrenvollen Abtritt ermöglicht hätte, doch war es nun klar, dass der Premier
Yatom nicht mehr unterstützte. Dieser kämpfte jedoch weiter und drohte sogar
mit einer Anrufung des Obersten Gerichts. Yatoms Weigerung abzutreten trübte
seine Beziehungen zu «A» und anderen Veteranen des Mossad. Kaum jemand
zweifelt daran, dass die Information über die missglückte Aktion in der
Schweiz als Teil eines Putsches gegen Yatom aus dem Mossad selber stammte.
Mehr Öffentlichkeit
Dass Israels Medien
Verteidigungsinstitutionen wie die Armee und den Shabak-Geheimdienst heute
allgemein kritischer beleuchten, bedeutete auch für den Mossad, dass die
Journalisten sich diese einst heilige Kuh nicht mehr durch die rosa gefärbte
Brille hindurch anschauen. Veränderungen innerhalb der Medienwelt, wie das
Ende des Monopols der Israelischen Rundfunkbehörde, die Schaffung eines 2.
TV-Kanals und von Lokalradiostationen, kombiniert mit dem Aufschwung lokaler
und regionaler Zeitungen, führten dazu, dass die Entscheidungsträger
Geheimnisse der erwähnten Art nicht mehr länger hüten konnten. Pannen und
Fehlverhaltungen von Geheimdiensten, die in der Vergangenheit mit offiziellem
Segen unter den Tisch gewischt worden waren, bleiben heute der gewachsenen
öffentlichen Aufmerksamkeit nicht mehr vorenthalten.
Kooperation mit Jordanien
Mit der Ersetzung Yatoms werden ebenso
kurzfristige, in seiner Kadenz aufgetretene Schäden behoben werden müssen wie
auch Probleme langfristiger Natur. In kurzfristiger Hinsicht muss die
Geheimdienst-Kooperation mit Jordanien wieder normalisiert werden. Jordanien
ist zu einer der wichtigsten Mossad-Stationen im Nahen Osten geworden, die
nicht nur wertvolle Informationen über das Königreich selber liefert, sondern
auch über Syrien und Irak. Das Büro des Mossad in Jordanien war dem Vernehmen
nach schon vor dem Friedensschluss von 1994 aktiv, als die Beziehungen
zwischen israelischen und jordanischen Führungspersönlichkeiten sich hinter
den Kulissen abspielten. Einer der erfolgreichsten Bürochefs war Ephraim
Halevy, die spätere Nummer 2 des Mossad. Halevy galt als Vertrauter des
haschemitischen Königshauses. So war es kein Zufall, dass bei Ausbruch der
Affäre Meshal Halevy aus Brüssel, wo er heute EU-Botschafter ist, gerufen
wurde, um den Schaden zu reparieren. Nach der Affäre Meshal unterbrach
Jordanien alle Kontakte zum Mossad und machte deren Wiederaufnahme von einer
Ablösung Yatoms abhängig.
Zur Vermeidung weiterer fahrlässiger
Beschlüsse wie jener der Durchführung der Operation auf jordanischem Boden
muss die in Richtung Premierminister fliessende Information künftig ohne
Zweifel aus mehr Kanälen als bisher kommen.
Sowohl der Ciechanover- als auch der
Knesset-Bericht setzen sich für vermehrte Information für den Premier ein.
Dieser ist funktional zwar verantwortlich für Mossad und Shabak, doch die
Zeit, die ein Regierungschef den Aktivitäten dieser Organisationen widmen
kann, ist zwangsläufig begrenzt. Zur Verbesserung der Überwachung durch den
Premier empfahl die Kommission Ciechanover die Ernennung eines
Geheimdienst-Beraters für den Regierungschef, während die Subkommission der
Knesset für die Bildung eines nationalen Sicherheitsrates nach US-Vorbild im
Büro des Premierministers eintrat. Netanyahu selber hatte vor seinem
Amtsantritt einen solchen Rat gefordert, verzichtete aber infolge der
Opposition von Verteidigungsminister Yitzchak Mordechai auf die Idee.
Mordechai sah gefährliche Herausforderungen für die Machtbereiche seines
Ministeriums und der militärischen Abwehr.
Beraterstelle konzipiert
Die Idee eines dem Premierminister
zugeordneten Beraters für Geheimdienstangelegenheiten geht auf die fünfziger
und sechziger Jahre zurück. Sie entstand nach den Skandalen um die Versuche
des Mossad, in Ägypten deutsche Wissenschaftler, die für Nasser Raketen
bauten, zu töten. Die Idee gewann aber erst im Gefolge der Agranot-Kommission
an Momentum, als die Geheimdienstschlappe im Vorfeld des Jom-Kippur-Krieges
von 1973 untersucht wurde, die den arabischen Überraschungsangriff erst
möglich gemacht hatte. Der ehemalige Mossad-Chef Zwi Zamir wurde damit
beauftragt, die Stelle eines Geheimdienstberaters im Büro des
Ministerpräsidenten theoretisch zu konzipieren. Zamir betonte, dass einem
solchen Berater nicht nur die monatlichen, wöchentlichen und täglichen
Lageberichte, Einschätzungen und Analysen aller Dienste vorgelegt werden
müssten, sondern er auch das Recht haben müsste, das «Rohmaterial» selbst, die
Berichte der Agenten im Feld einzusehen. Ausserdem müsse der
Geheimdienstberater kraft seines Amtes an den Sitzungen eines aus den Chefs
der einzelnen Dienste gebildeten Komitees teilnehmen dürfen. Netanyahu hat nun
offenbar vor, auf die Empfehlung von Zamir zurückzukommen und den Posten des
Geheimdienstberaters zu schaffen. Sein bevorzugter Kandidat scheint Uri Saguy
zu sein, ein ehemaliger Kommandant der militärischen Aufklärung. Die
Etablierung eines solchen Postens und sein reibungsloses Funktionieren dürfen
aber weitgehend auch vom «Goodwill» des Aussen- und des
Verteidigungsministeriums abhängen.
Der neue Mossad-Chef muss sich um die
Hebung der Moral innerhalb seines Dienstes kümmern. Ex-Premierminister Yitzhak
Schamir, selbst ein ehemaliger Bürochef des Mossads in Paris, rief dazu auf,
den Posten des Mossad-Chefs an einen Insider zu vergeben. So wurde auch
vorgeschlagen, den Posten für eine Interimsperiode an einen ehemaligen
Mossad-Chef wie etwa Shavit oder Halevy zu vergeben, bis sich innerhalb des
Mossads ein passender Kandidat finden lasse. Auch die Möglichkeit, einen
derjenigen Mossadleute zu ernennen, die den Dienst in den letzten Monaten
quittiert haben, wurde vorgeschlagen. Netanyahu scheint aber mit General
Amiram Levine, dem Chef des Armee-Nord-Kommandos, wieder einen Aussenseiter zu
bevorzugen. Netanyahu und Levine kennen sich aus gemeinsamen Tagen in der
Elite-Kommando-Einheit «Sayeret Matkal», als Netanyahu als gewöhnlicher Soldat
unter Levine diente. Angeblich hatte Netanyahu ursprünglich vor, Levine zu
Yatoms Stellvertreter zu ernennen. So sollte sich Levine im Schatten Yatoms
einarbeiten. Dies hätte es ermöglicht, die Situation des Aussenseiters unter
den Mossad-Leuten mit der Zeit zu konsolidieren. Nach Yatoms Rücktritt ist
dies nun nicht mehr möglich. Der neue Mossad-Chef wird auch einem Dienst
vorstehen, dessen ständiger Personalbestand von angeblich etwa 600 Beamten in
den siebziger Jahren auf heute vermutlich über 1600 angewachsen ist. Der
Geheimdienst zieht heute auch nicht mehr nur die besten Rekruten an wie einst.
Vielen jungen Israeli erschien eine Karriere im lukrativen Sektor der
Privatindustrie attraktiver als ein Leben im Dienste der Verteidigung des
Landes.
Offensichtliche Mängel
Ineffizienz und Fehler in der
Organisation wurden in der Affäre um Yehuda Gil vor einigen Wochen offenbar.
Wie war es möglich, das sowohl die Kontrollmechanismen innerhalb des Mossads
als auch innerhalb des militärischen Geheimdienstes derart versagten, dass die
gefälschten Berichte von Gil nicht als solche erkannt wurden? Yehuda Gil
fabrizierte seine Berichte während der gesamten Amtsperioden von Shavit und
Admoni, der beiden Vorgänger von Yatom im Amt. 1996 berichtete Gil zum
Beispiel, dass die Verlegung der 14. Division der syrischen Armee Teil eines
Planes sei, die Golanhöhen in einem Überraschungsschlag zurückzuerobern. Gils
bewusst gefälschte Analyse wurde an die Amerikaner weitergegeben, was nach
Auffliegen der Affäre den Ruf des Mossad in den USA und anderswo nachhaltig
schädigte. Trotz des Berichtes von Gil konnten der Verteidigungsminister und
der Generalstabschef glücklicherweise nicht davon überzeugt werden, die
israelischen Truppen in Alarmzustand zu versetzen oder gar Reservisten
einzuberufen. Offen bleibt, inwieweit die Analysen von Gil, der für kurze Zeit
Generalsekretär der rechtsnationalen Moledet-Partei war, noch 1993 letztlich
die Position der Regierung Rabin gegenüber Syrien beeinflusst haben. Hat Gil
durch seine falschen Analysen gar ein Abkommen mit Syrien verhindert? Seit dem
Bekanntwerden der Affäre versuchen Teams des Mossad und der militärischen
Aufklärung herauszufinden, ob Gils Lageanalysen einen Einfluss auf die
Formulierung der Politik gegenüber Syrien gehabt haben. Abgesehen von den
politischen Implikationen reflektiert die «Affäre Gil» aber zunächst einmal
ebenso wie die «Affäre Mashaal» berufliches Unvermögen.
Reform und Reorganisation
Der nächste Mossad-Chef wird auf verschiedenen
Gebieten eine Reorganisation durchführen müssen. Zunächst einmal besteht die
Notwendigkeit der Präzisierung der Arbeitsteilung zwischen den israelischen
Diensten, dem Mossad, dem militärischen Geheimdienst «Aman» und dem internen
Sicherheitsdienst «Schin Beth». «Aman» sammelt oft auch Informationen jenseits
der Staatsgrenzen Israels und unterhält so etwa im Libanon Agenten. Schon
lange vor den Osloer Abkommen sammelte der militärische Geheimdienst
Informationen in Gaza. Der ehemalige Mossad-Chef Schabtai Schavit versuchte,
die Geheimdienstarbeit im Ausland unter seinem Dach zu vereinigen und sie so
zu rationalisieren. Der interne Sicherheitsdienst seinerseits wollte die
Verantwortung für die Geheimdienstarbeit in den unter palästinensischer
Kontrolle stehenden Gebieten an den Aman übergeben. Ein Grossteil der vom
Schin Beth seit 1967 aufgebauten Netzwerke zur Informationsbeschaffung ist
bekanntlich nach dem israelischen Rückzug aus den Städten der Westbank
zerstört worden. Uri Saguy vom Aman widersetze sich Shavits Absichten
erfolgreich. Auch Danny Yatom gelang die Klärung der Kompetenzen nicht. Ein
grosses Fragezeichen steht auch über der Zukunft derjenigen Mossad-Abteilung,
welche für die Juden in der Dispora verantwortlich ist. Bis anhin kümmerte man
sich um die Bereiche der Organisation der Einwanderung aus Ländern, in denen
Juden verfolgt waren, als auch um die Sicherheit jüdischer Gemeinden in aller
Welt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Friedensprozess mit der
arabischen Welt, wolle Yatom diese traditionelle Mossad-Aufgabe zurückstufen.
Viele Mossad-Stationen dienten in Zeiten, da Israel diplomatisch isoliert war,
als inoffizielle Vertretungen des jüdischen Staates. Heute, da fast alle
Länder der Dritten Welt und viele arabische Länder mehr oder weniger
offizielle Beziehungen zu Israel unterhalten, ist die Geheimdiplomatie des
Mossads überflüssig geworden. Heute kann es gar zu Situationen kommen, da sich
die Arbeit einer lokalen Mossad-Station und einer Botschaft überlappen, was
mitunter zu politischen Schwierigkeiten führt. Eine Neudefinition der Aufgaben
des Mossad scheint zumindest in bestimmten Bereichen nötig. Wenn aber aus den
Affären der letzten Wochen und Monaten noch etwas gelernt werden muss, dann
das, dass Mossad-Operationen hinter dem Management israelischer Aussenpolitik
und einer breiteren Definition des nationalen Interesses zurückstehen müssen.
Übersetzung Jacques Ungar/Simon Erlanger