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Judentum und Israel
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Seminar:
Verfassungsverständnis und
Verfassungsgerichtbarkeit im
internationalen Vergleich

Israel

Leitung: Prof. Dr. Gerhard Robbers,
Universität Trier, WS 1996/97

von Yoram Moyal

I. Geschichtliche Entwicklung und ihr Einfluß
   auf das geltende Verfassungsrecht

1. Vorstaatliche Ära

a) Osmanische Herrschaft
b) Britische Mandatszeit
c) Zionistische Organisationen

2. Staatsgründung

a) Niederlegung des Mandats
b) Unabhängigkeitserklärung

3. Verfassungsrechtliche Entwicklung nach der Staatsgründung

  1. Law and Administration Ordinance

  2. Erster Verfassungsentwurf

  3. Transition Act

  4. Harari Resolution

  5. Die Grundgesetze

  6. Israel als jüdischer und demokratischer Staat

 

I.
Geschichtliche Entwicklung und ihr Einfluß auf das geltende Verfassungsrecht

1.
Vorstaatliche Ära

a) Osmanische Herrschaft

Das Osmanische Reich herrschte in dem Raum, aus dem später der Staat Israel werden sollte, von 1516 bis zur britischen Eroberung im Jahre 1917. Das damals geltende Recht basierte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegend auf islamischen Rechtsgrundsätzen. 1867 begann dann der achtjährige Prozeß der Kodifikation, dessen Ergebnis das Osmanische Gesetzbuch, die Mejelle, war. Ihre Rechtsgrundsätze kamen hauptsächlich aus zwei Quellen; zum einem wurde sie von dem Geist des Islam (fiqha) inspiriert und zum anderen von verschiedenen europäischen Gesetzbüchern, davon in beachtlicher Weise vom französischen Code Napoléon.

Einige noch heute in Israel geltende Rechtsprinzipien und Konzepte entstammen noch in ihrer Struktur der Osmanischen Rechtssetzung, so etwa das (aus Frankreich stammende) System der Gerichtshierarchie und in seiner Struktur das Familienrecht.

b) Britische Mandatszeit

1917 erobert das Britische Empire das Gebiet Palästina; drei Jahre später erhält Großbritannien auf seine Anfrage vom Völkerbund das Mandat mit dem Ziel, eine Heimstätte für das jüdische Volk dort zu errichten. Darauf richtete Großbritannien eine koloniale Verwaltung ein und setzte 1922 mit dem ‘Palestine Order in Council’ eine Verfassung für Palästina ein.

Diese Verfassung sah unter anderem in Art. 46 vor, daß die Zivilgerichte das Recht, das am 1. November 1914 in Palästina galt, weiter anwenden sollten. In ungeregelten Rechtsräumen, in Fällen von Lacunae im Recht (Rechtsfragen, auf die der Richter weder im Gesetz, noch in der ständigen Rechtsprechung noch gestützt auf einen Analogieschluß Antworten findet), sollten jedoch die Prinzipien des englischen common law und equity angewandt werden. Allerdings wurden Lacunae in fast allen Rechtsbereichen angenommen, selbst wenn es zu bestimmten Rechtsfragen klare osmanische Regelungen gab. So liegt die Vermutung nahe, daß Art. 46 nicht angewendet wurde, um Fehlendes zu ergänzen, sondern um Gegebenes zu beseitigen. Dies führte schließlich dazu, daß ein überwiegend kontinental-europäisch geprägtes Rechtssystem innerhalb von kürzester Zeit in ein common law und equity System umgewandelt wurde.

Art. 43 sah weiterhin vor, daß der Oberste Gerichtshof mit der Kompetenz ausgestattet wurde, Entscheidungen über Angelegenheiten, die in die Bereiche der angelsächsischen prerogative writs fallen, zu treffen und somit beauftragt wurde, über die Verwaltung des Staates zu wachen. Der Oberste Gerichtshof erhielt somit Rechtsprechungsgewalt über Gegenstände, die keine Rechtssachen oder Teile von Prozessen sind, sondern Anfragen oder Anträge, die nicht von anderen Gerichten entschieden werden, doch notwendig sind um, Ungerechtigkeiten zu vermeiden.

Diese Kompetenz, die ursprünglich nur der Krone als eines ihrer außerordentlichen Rechte zustand, beinhaltet folgende Grundsätze: mandamus, prohibition, certioari und habeas corpus.

Habeas Corpus ist das wohl bekannteste Prinzip und schützt den Einzelnen vor unwillkürlicher Verhaftung. So darf niemand ohne richterlichen Haftbefehl verhaftet und ohne gerichtliche Untersuchung in Haft gehalten werden. Eine Mandamus Verfügung ergeht, wenn das Gericht eine Behörde oder eine sonstige mit Verwaltungsaufgaben betraute Einrichtung anhält, tätig zu werden und einen Verwaltungsakt zu erlassen. Prohibition wird erteilt, wenn die unteren Gerichte oder Verwaltungsbehörden mit einer Quasi-Gerichtsbarkeit aufgefordert werden sollen, Beschlüsse in einer Angelegenheit zu fassen. Und Certiorai ist schließlich eine Anordnung, die die obengenannten Gerichte nach einem Urteil verpflichtet, die Gerichtsakten an den Obersten Gerichtshof zu übergeben, damit dieser die getroffene Entscheidung überprüfen kann.

Diese Übertragung auf den palästinensischen Obersten Gerichtshof und ihre Beibehaltung nach der Staatsgründung im Gerichtswesen Israels diente als Basis für die größten Teile des Verfassungs- und Verwaltungsrechts.

Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen; einen Tag später endete die Mandatszeit, und die Briten verließen ein Gebiet, das innerhalb von 30 Jahren entschieden von ihnen geprägt wurde.

c) Zionistische Organisationen

Im Weiteren sollten auch die vorstaatlichen jüdischen und zionistischen Organisationen, die die Entstehung des folgenden Staates herbeiführten, nicht unerwähnt bleiben. So beeinflußten die Strukturen der ‘Zionistischen Bewegung’ und der in Palästina organisierten jüdischen Gemeinschaften (Yishuv) nicht unbeträchtlich die Struktur einzelner Institutionen im Staate Israel. Es wurde zum Beispiel das System der direkt proportionalen Wahl zur ‘Elected Assembly of Jewish Communities’ wortwörtlich für die allgemeinen Wahlen zum israelischen Parlament entnommen. Ebenfalls wurde das Prinzip der ‘Mehrparteien-Regierungsform’, der ‘Koalitions-Geschäftsführung’ sowie die relativ schwache Position des Premier-Ministers als primus inter pares den prästaatlichen jüdischen / zionistischen Organisationen entnommen.

2.
Staatsgründung

a) Niederlegung des Mandats

Nachdem sich die Niederlegung des Mandats durch Großbritannien bereits ankündigte, verabschiedete die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 den Teilungsplan für Palästina; dieser Plan sah vor, daß zunächst zwei Staaten in diesem Gebiet geschaffen werden sollten, ein jüdischer und ein arabischer; daß diese Staaten ferner demokratisch konzipiert und eine Verfassung innehaben sollten. Dieser Teilungsplan wurde von dem Yishuv akzeptiert, wohingegen sie von den arabischen Vertretern abgelehnt wurde.

Kurz vor der Gründung des Staates wurde durch die jüdischen Repräsentativkörperschaften ein provisorischer Regierungssauschuß (Rat der 37) sowie ein Exekutivausschuß gegründet, die gemeinsam nach der Unabhängigkeit die Regierungsgeschäfte bis zu den ersten allgemeinen Wahlen weiterführen sollten. Am 14. Mai 1948 wird die Unabhängigkeit erklärt und die ‘Medinat Yisrael’ durch den Vorsitzenden des Provisorischen Regierungsausschusses, David Ben Gurion, ausgerufen.

b) Unabhängigkeitserklärung

Die Unabhängigkeitserklärung bestimmte in Übereinstimmung mit dem UN Teilungsplan die Schaffung einer Verfassung und legte einen Termin für ihre Verabschiedung fest, den 1. Oktober 1948. Desweiteren statuierte sie eine Liste von Bürgerrechten, wie sie in demokratischen Verfassungen üblich ist:

"Der Staat Israel ..., wird auf den Grundlagen der Freiheit, der Gerechtigkeit, und des Friedens, im Geiste der Lehren der Propheten Israels aufgebaut werden. Er wird völlige gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung allen seinen Bürgern gewährleisten ohne Unterschied des Glaubens, der Rasse und des Geschlechts. Er wird die Freiheit des Gewissens, der Sprache, der Erziehung und der Kultur verbürgen. Er wird die heiligen Stätten aller Religionen schützen und den Grundsätzen der Vereinten Nationen Treue wahren."

Dieser Katalog von Bürgerrechten ließ alsbald die Frage aufkommen, ob nicht die Unabhängigkeitserklärung den Charakter einer Verfassungsurkunde habe und als solche zu interpretieren sei. Dies wurde allerdings durch den Obersten Gerichtshof in einer seiner ersten Entscheidungen (1948) verneint: Die Unabhängigkeitserklärung verleiht dem Bürger keinen Anspruch, der mittels einer gerichtlichen Klage durchsetzbar wäre. Sie beinhaltet allenfalls eine Verpflichtung der staatlichen Einrichtungen, sich in ihrem Tun an ihren Grundsätzen zu messen.

Obschon sie daher weder den Bürgern Rechte gewährt, noch dem Staat Pflichten auferlegt, so ist ihre rechtliche Wirkung dennoch nicht zu unterschätzen. Aus der Verpflichtung der staatlichen Institutionen, sich an der Unabhängigkeitserklärung zu messen, entwickelte der Oberste Gerichtshof die fundamentalen verfassungsrechtlichen Prinzipien des Staates als jüdischer und demokratischer Staat. Diese Prinzipien wurden mittlerweile in dem 1992 verabschiedeten Grundgesetz über die Würde und Freiheit des Menschen schriftlich fixiert. Aus diesem aus der Unabhängigkeitserklärung hergeleiteten Prinzipien entwickelte der Gerichtshof später Grundsatzentscheidungen zur Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und dem Gleichheitsgrundsatz.

Desweiteren dient die Erklärung den Gerichten als Quelle der Gesetzesinterpretation. So setzte sich die Praxis durch, daß ein Richter bei alternativen Auslegungsmöglichkeiten eines Gesetzes in der Regel jene Auslegung bevorzugt, die mit der Unabhängigkeitserklärung übereinstimmt und den Menschenrechten den größeren Schutz verleiht.

Eine neue Entwicklung im Verfassungsrecht Israels hat der Unabhängigkeitserklärung schließlich auch im politischen Bereich Geltung verschafft. Nach der zweiten Ergänzung des obengenannten Grundgesetzes sollen die in diesem Gesetz gewährten Rechte im Geiste der Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung geachtet werden. Dieser Einschub stellt eine kleine Revolution in der verfassungsrechtlichen Entwicklung des Staates Israel dar, die die israelische Unabhängigkeitserklärung in eine ähnliche Position führt, wie die Präambel der Verfassung der V. Französischen Republik. Dieser wurde 1972 durch eine Entscheidung des Conseil Constitutionnel ein supra-legislativer Verfassungsrang zugestanden. Inwieweit ein solcher Verfassungsrang für die Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 besteht, ist bisher von den Gerichten nicht entschieden und wird die weitere Auslegung des Obersten Gerichtshofes zeigen.

Zur Einstiegsseite: Verfassungsrecht in Israel

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Literatur

 


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